Meine Mutter stirbt

30. März 2015 in Kommentar


Ich arbeite jeden Tag daran, meine Mutter zum Lächeln zu bringen - und sie lächelt immer noch so gern, obwohl die Krankheit ihr mittlerweile die Sprechfähigkeit genommen hat. Sie wird mit ihrem Lächeln immer mehr zum Kind Gottes. Von Barbara Wenz


Rom (kath.net/Blog Elsas Nacht(b)revier) Meine Mutter stirbt an Amyotropher Lateralsklerose, kurz "ALS". Manch einer entsinnt sich noch an die "Ice Bucket Challenge", um international für Spenden zur Erforschung dieser Krankheit, die auch ganz junge Menschen treffen kann, zu werben.

Ich habe keinen einzigen Arzt erlebt, der sich den Satz " Sie tun mir Leid. Da kommt was auf Sie zu" erspart hätte nach dieser Diagnose. So viel zu sentimentalen Ärzten.

Ich arbeite jeden Tag daran, meine Mutter zum Lächeln zu bringen - und sie lächelt immer noch so oft und gerne, obwohl die Krankheit ihr mittlerweile die Sprechfähigkeit genommen hat. Sie wird mit ihrem Lächeln und Lachen immer mehr zu einem Kind Gottes.

Ich darf das erleben.

Ich koche ihr jeden Tag ihr Lieblingsessen, das natürlich püriert werden muss, oder einen Pudding, egal, irgendetwas, was sie noch schlucken kann, auch wenn die Krankheit, also die Lähmungserscheinungen, längst den Schluckapparat erreicht haben, Essen immer mehr zur Qual wird und Ersticken die nächste Option ist, die an die Tür klopft.

Ihre Schultern werden immer schmaler, ihr weißer Kopf senkt sich immer öfter wie in Resignation - sie ist schwach, unterernährt, weil sie keine künstliche Ernährung möchte, das hat sie mehrfach schriftlich verfügt. An manchen Tagen kann ich kaum aus dem Bett aufstehen, um mich der Situation zu stellen. Doch wenn ich schließlich Mut fasse, dann lacht sie mich an. Ich sage: "Und wie geht es meinem Maikäferchen?" Und dann ist da dieses Lachen.

Ihre Augen irrlichtern umher, das ist zum Teil der Demenz geschuldet, in diesem Falle eine gnädige Demenz. Natürlich ist sie erschöpft, alles strengt sie unermesslich an, und selbst wenn sie "künstliche Ernährung" verfügt hätte - sie würde die Vollnarkose zum Setzen der Sonde nicht überleben. Also koche ich zarte, musige Sachen, Gemüse, zerquetschte Kartoffeln mit Butter übergossen, Milchreis, Spinat, Polenta und Grießbrei. Gebe ihr Astronautennahrung, zusätzlich.

Ich tue, was ich kann.

Und meine Mutter wird durch meine Hand nur Güte, Liebe und Hilfe erfahren. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich vor ihr auf die Knie ging, um ihre Schuhe und Socken auszuziehen. Sie presst sich ein Taschentuch vor den Mund, denn sie hat keine Kontrolle mehr über ihr Speicheln.

Natürlich leidet sie, und manchmal hat sie Weinkrämpfe. Doch sofort kann man sie wieder aufmuntern und selbst wenn es ihr noch so schlecht geht, das Alpenveilchen an ihrem Fenster, das mir sowas von egal ist, hat sie immer noch im Blick. Es darf nicht verdursten. Mit herrischen Bewegungen weist sie mich an, es zu tränken. Nichts darf verloren gehen, nichts soll Not leiden, auch wenn sie selbst so große Not leiden muss.

Meine Kindheit war voller Tiere - irgendwie musste es sich rumgesprochen haben, dass, wenn man krank ist, man nur zu meiner Mamma in den Hof fliehen muss - sie wird einen schon umsorgen. Den meisten hat sie helfen können, viele von ihnen pflegte sie wieder gesund.

Und heute: Die Schwalben könnten jetzt um diese Zeit, Ende März, kommen! Die Werkstattüre muss für sie aufbleiben! Sonst finden sie vielleicht kein Obdach!

Das ist meine Mutter.

Jeden Abend, wenn sie zu Bett liegt, zeichne ich ihr mit Weihwasser ein Kreuz auf die Stirn. Eigentlich ist sie protestantisch, aber sie liebt Weihwasser. Ich sage: "Gott segne dich" oder "Gott behüte dich!". Jedesmal gluckst sie glücklich wegen des Rituals.

Natürlich habe ich Tage, wo ich es nicht mehr aushalte. Wo ich an meine psychischen und physischen Grenzen komme. Ausgerechnet an denen ist dann Jesus irgendwie so fern. Aber sie gehen vorüber.

Ich bitte ihn, ihr das Schlimmste, den Erstickungstod, zu ersparen. Jeden Tag: "Mein Jesus-Barmherzigkeit!"

Doch meine Hand soll verdorren, verfaulen und abfallen, wenn ich es jemals wagen sollte, dieser Frau, die mir das LEBEN geschenkt hat, irgendetwas zu Leide zu tun, anstatt ihr Glückseligkeit, Hilfe und Fürsorge zu gewähren.

Ich war noch ganz klein und sie war kaum Vierzig, da fragte ich sie bange: Mamma, ich habe Angst! Muss ich denn auch einmal sterben? Und sie hat, obwohl sie gerade ausgehen wollte, sich eine halbe Stunde Zeit genommen, um mir zu erklären, so leicht stirbt man nicht. Du musst nicht sterben. HAB KEINE ANGST, und außerdem bin ich doch bei dir.

Ich habe diese Situation nie vergessen. Und ebenso, wie meine junge Mamma damals mir die Angst nahm vor dem Sterben, so werde ich alles was in meiner Macht steht und was ich tun kann, tun, um ihr die Angst auf diesem letzten Wegstück zu nehmen und ihr die Gewissheit zu geben: Mamma, du gehst. Aber wenn du gehen musst, so gehst du an meiner Hand. Hab keine Angst. Ich bin doch bei dir.

Die Autorin und Journalistin Barbara Wenz im kath.net-Interview: „Ich fühle mich als Frau in der Kirche nicht diskriminiert“.

kath.net-Buchtipp
Das Farnese-Komplott. Kriminalroman
Von Barbara Wenz
Taschenbuch
2014 Emons, 224 Seiten
ISBN 978-3-95451-313-0
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