Tag 187: Faustdick Fistik

27. März 2015 in Buchtipp


Auszug 2 aus dem "Tagebuch eines Jerusalempilgers. 14.000 Kilometer - 14.000 Hunde - Ein Priester" von Johannes Maria Schwarz


Linz (kath.net) Ich weiß nicht mehr, welchen Film wir angesehen hatten. Ich weiß auch nicht mehr, ob wir im „Apollo“ oder im „Kolosseum“ gewesen waren. Und auf mein exaktes Alter könnte ich nicht schwören. Neun oder Zehn, glaube ich. Aber ich weiß noch, wie wir nach dem Kino an jenem warmen Abend im Herbst einen Eissalon besuchten und unsere Blicke über die Auswahl schweifen ließen. Und, dass ich an jenem Abend dem Gelatier, der mit einer Waffeltüte hinter der Theke auf meine Ansage wartete, feierlich die Antwort gab: „Pistazie und Schtratztschatella“ (Stracciatella). Ich gestehe, diese Entscheidung fiel nicht, ohne ein bisschen auf meine ältere Schwester und ihre damals beste Freundin geschielt zu haben. Aber das spielt hier keine Rolle. Für mich war es ein Meilenstein im Erwachsenwerden. Ich betrat die Bühne einer neuen Welt; einer Welt, in der man auch im Herbst Eis essen konnte; einer Welt des völlig neuen geschmacklichen Erlebens. Pistazieneis. Wer hatte so etwas schon gehört? Das andere mit den Schokostückerln, das Straz … , Schra … war auch nicht schlecht, aber Mann, das Pistazieneis! An jenem Abend ließ ich die Combo Erdbeer-Vanille- Schoko für immer zurück.

Warum ich den Leser dieses Tagebuchs tief in meine Kindheit entführe und ihm – literarische Geisel, die er ist – das Erleben meiner ersten Pistazieneiskugel aufnötige? Nun, weil ich heute in die Welthauptstadt der grünen Nuss (welche sie botanisch gar nicht ist) eingelaufen bin. „Fistik“ (Pistazie) steht in Gaziantep an jedem zweiten Laden. In nicht weniger als 180 Patisserien gibt es alle erdenklichen Pistazien-Leckereien, allen voran die „grüne Variante“ des Baklava.

Aber ich sollte wohl besser vorne anfangen. Der Tag begann natürlich dort, wo er gestern geendet hatte. Und er begann mit einer wundervollen Stille. Ich hatte kaum meine Gebete beendet, da kündeten Glocken vom Ende der Andacht und vom Kommen der blökenden Schöpfung. Der Hirte, der sie begleitete, rief mir aus einiger Entfernung etwas zu. Ich zuckte mit den Achseln, zeigte auf mich und gab „Avusturya“ (Österreich) zur Antwort. „Suriye?“ (Syrien?) kam es zurück. „Yok, yok, Avusturya“ (Nein, nein, Österreich), versuchte ich es noch einmal, aber der Hirte war stehen geblieben. Er griff zum Handy – ja, es ist nicht mehr viel geblieben von der alten Hirtenromantik – und telefonierte. Ich fuhr mit dem Packen fort und ging anschließend zum Frühstück über. Granatapfel, Kekse und Pistazien. Der Hirte hatte 200 Meter von mir Stellung bezogen und warf gelegentlich einen skeptischen Blick herüber.

Dann knatterte es hinter den Hügeln und ein Motorrad mit zwei Männern tauchte auf. Sie blickten gewichtig und ernst, waren aber sichtlich erleichtert, dass ich nur ein „Turist“ war. „Avusturya!“ rief einer der beiden dem Hirten lachend zu. „Na, sag ich doch!“, murmelte ich und winkte grinsend den scheuen arabischen Teenager herüber. Aufgrund der sprachlichen Barrieren konnten wir uns nicht wirklich unterhalten. Ich teilte meine Pistazien und wir kauten eine Weile in Stille. Dann wünschte ich ihnen einen gesegneten Tag und zog weiter. Ich dachte zurück an gestern, als mich ein Ladenbesitzer nach meiner Herkunft gefragt hatte: „Afghanistan?“ So ähnlich war es wohl dem jungen Hirten gegangen, der mich vermutlich für einen einen islamistischen Kämpfer auf dem Weg nach Syrien gehalten hatte.

In Frieden, gleich meinen Absichten für die Welt, ging ich die nächsten Stunden durch schöne alte Olivenhaine und die Hügel vor Gaziantep. Dann kam die übliche Vorstadt, gefolgt vom Menschengewühl der Innenstadt. All das führte mich zu einem günstigen Hotel, dessen Einrichtung mich nostalgisch an weitere Szenen meiner Jugend erinnerte: die Schullandwoche in Weyer.

Kultur und Pistazien waren das Programm für den Nachmittag. Geduscht und frisch gewandet, machte ich mich auf den Weg zum neu eröffneten Zeugma-Mosaik-Museum. Ein paar Stunden später verließ ich die gut aufbereitete Ausstellung mit einem Schmunzeln. Dafür sorgten nicht nur naive Elefanten-, Hyänen- und Gepardendarstellungen, sondern ein paar Hundeportraits aus kleinen Steinen. Auch hier, in den heiligen Hallen der Kunst also, war ich auf den Hund gekommen. Es ist das Los meiner Reise.

Dr. theol. Johannes Maria Schwarz ist Priester des Erzbistums Vaduz/Liechtenstein, Vizedirektor des Priesterseminars Leopoldinum/Heiligenkreuz und kath.net-Mitarbeiter. Siehe auch kathpedia: Johannes Maria Schwarz. Näher kennenlernen kann man ihm auch im Beitrag von Alexa Gaspari: „Unterwegs sein mit Gott“.

kath.net-Buchtipp:
Tagebuch eines Jerusalempilgers: 14.000 Kilometer - 14.000 Hunde - Ein Priester.
Von Johannes Maria Schwarz
Gebundene Ausgabe, 464 Seiten
Eigenverlag 2015
ISBN: 978-3200039773
Preis 15,90

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