Kopftuchurteil stößt auf ein zwiespältiges Echo

14. März 2015 in Deutschland


Bundesverfassungsgericht erlaubt Kopftücher an öffentlichen Schulen.


Karlsruhe (kath.net/ idea)
Das jüngste Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Das ergab eine Umfrage der Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) in Kirchen- und Lehrerkreisen. Das höchste deutsche Gericht hat in einem am 13. März in Karlsruhe veröffentlichten Urteil entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot bei Lehrern an öffentlichen Schulen nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar sei.

Das Tragen eines Kopftuches solle künftig nur dann untersagt werden dürfen, wenn eine konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität und den Schulfrieden bestehe. Damit korrigierte das Gericht seine eigene Rechtsprechung aus dem Jahr 2003. Damals war entschieden worden, dass vorsorgliche Kopftuchverbote möglich sind, wenn es dafür eine gesetzliche Grundlage gebe. Viele Bundesländer erließen daraufhin solche Verbote in ihren Schulgesetzen.

Kirchenrechtler Heinig: Politik verliert Orientierungssicherheit

Auf den Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Prof. Hans Michael Heinig (Göttingen), hinterlässt das Urteil einen zwiespältigen Eindruck. Positiv sei, dass das Bundesverfassungsgericht nochmals betont habe, dass das Grundgesetz keinen Laizismus (die strikte Trennung von Kirche und Staat) propagiere. Heinig: „Der Staat des Grundgesetzes ist offen für die Religionen seiner Bürger.“ Andererseits sei er überrascht, dass das neue Urteil deutlich von der früheren Rechtsprechung abweiche, „ohne die Gründe dafür hinreichend kenntlich zu machen“.

Der Jurist hält in einem idea vorliegenden Kommentar fest: „So verliert die Politik an Orientierungssicherheit.“ Er bezweifelt, „dass die nun gebotenen Einzellösungen vor Ort mehr Rechtsfrieden bringen als eine gesetzliche Entscheidung für das ganze Land“. Heinig, auch Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen, ist davon überzeugt, dass der radikale Kurswechsel in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung „mehr schadet als nützt“.

Lehrerverband befürchtet Probleme bei der Umsetzung

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus (Ergolding bei Landshut), zeigte sich ebenfalls überrascht von dem Urteil. Er rechne mit Problemen bei der Umsetzung, wenn nun die Schulen beweisen müssten, dass von der jeweiligen Lehrerin mit Kopftuch eine Gefahr ausgehe.

„Was passiert, wenn in einer Schule eine Lehrerin mit Kopftuch auftritt und 20 Elternpaare dagegen Widerspruch einlegen?“ Dann gebe es ähnliche Probleme wie beim Kruzifixurteil, meint Kraus. Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte hatte 2009 zunächst entschieden, einer aus Finnland stammenden Klägerin eine Entschädigung zu zahlen, weil Kruzifixe in der Schule ihrer Kinder in Italien nicht entfernt worden waren. 2011 war der Beschluss aufgehoben worden, da das Anbringen des Kruzifixes nicht gegen die europäische
Menschenrechtskonvention verstoße.

Evangelikaler: Christliche Traditionen nicht aufweichen

Der Leiter des Arbeitskreises Islam der Deutschen Evangelischen Allianz, Ulrich Neuenhausen (Bergneustadt/Oberbergisches Land), begrüßte das Urteil als Beleg für die in Deutschland geltende Religionsfreiheit. Das Kopftuch sei ein persönliches Kleidungsstück, das durchaus als Zeichen für Anstand und Schicklichkeit verstanden werden könne. Andererseits habe das Urteil auch einen „schalen Beigeschmack“. In der Gesellschaft herrsche ein Klima, in dem die christliche Tradition immer mehr aufgegeben oder eingeengt werde.

Neuenhausen, Leiter von Forum Wiedenest (Früher: Missionshaus Bibelschule Wiedenest): „Da werden Kreuze in Klassenzimmern abgehängt und Nikolaus- und Weihnachtsfeiern bereits in Kindergärten abgesagt – aus Sorge, sie könnten Muslime verletzen oder ausgrenzen.“ Dabei seien christliche Feste für die meisten ihm bekannten Muslime kein Problem. Neuenhausen: „Wir Christen sollten das Kopftuchurteil zum Anlass nehmen, freudig zu bekennen, was uns der christliche Glaube bedeutet.“

Grünen-Politiker Beck: Guter Tag für die Religionsfreiheit

Der Sprecher für Innen- und Religionspolitik von Bündnis 90/Die Grünen, der Bundestagsabgeordnete Volker Beck, begrüßte das Urteil: „Das ist ein guter Tag für die Religionsfreiheit.“ Das Bundesverfassungsgericht habe klar gemacht: Deutschland gründe nicht auf eine bestimmte Religion, sondern auf Religionsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz. Beck: „Kopftuch, Kippa und Schleier gefährden den Schulfrieden nicht.“ Es könne nicht schaden, wenn Schüler verschiedene Lebensentwürfe und Glaubensvorstellungen kennenlernten. Es sei überfällig gewesen, Kopftuch und Nonnenschleier gleichzustellen.


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