Warum ich nicht Olaf bin, aber Volker Beck mag

24. Februar 2015 in Kommentar


„Selten habe ich die geistliche Anspannung in unserer Gesellschaft so sehr wahrgenommen wie in den letzten Wochen.“ Gastkommentar von Johannes Hartl


Augsburg (kath.net) Selten habe ich die geistliche Anspannung in unserer Gesellschaft so sehr wahrgenommen wie in den letzten Wochen. Die Diskussion um Pegida hat deutlich gemacht, wie tief der Graben ist, der durch unser Land zu gehen scheint. Für die einen ist man schon ein Faschist, wenn man für ein Einwanderungsgesetz oder gegen Gender ist, für die anderen sind alle „Altparteien“ mitsamt ihrer „Lügenpresse“ ein Moloch der abgekarteten Boshaftigkeit.

Und jeden Tag kommt etwas Neues dazu, was einen als Christ auf die Palme bringen kann. Und das Problem ist: es bringt einen auch auf die Palme. Ich merke, wie ich die Nachrichten lese und wütend werde. Wütend darüber, dass wahre Ursachen für Probleme verschleiert werden, dass man bestimmte Fragen nicht stellen darf und so weiter.

Und ich spüre wie die Wut zunimmt. Die Wut der Linken gegen alle, die sie „rechts“ nennen wollen. Die Wut jener, die sich in den Medien nicht oder falsch repräsentiert fühlen. Und auch die Wut unter uns Christen, gerade in den sozialen Netzen.

Wie leicht fällt es mir dann, mich über Angela Merkel zu ärgern. Oder noch besser: über Claudia Roth oder Volker Beck. Oder über Pierre Vogel. Oder über Pegida. Oder über die Antifa. Oder über Gender. Über den Islam. Über die böse Welt.

Das Problem ist, dass aus Wut selten gute Reaktionen kommen…

Und plötzlich dieser Wunsch, mich von alledem zu reinigen. Einen dicken Strich zu ziehen. Klare Verhältnisse zu schaffen. Etwas in mir möchte dieses „das muss doch mal gesagt werden“. Und oft genug kommt das, was dann gesagt sein will, schnell, lieblos, scharf und plump heraus. Und viele applaudieren…

Wer das dann kritisiert, dem entgegne ich schnell, es sei aber die Wahrheit. Und die dürfe man doch noch sagen. Klar, stimmt schon. Aber…

Das Problem ist: in einem Klima, in dem man bestimmte Wahrheiten offensichtlich nicht mehr sagen darf, kommen sie von denen, die sie sagen wollen, oft mit besonderer Schärfe, Härte und Lieblosigkeit. Kann man auch verstehen. Aber auf einmal fragt man sich: regiert bei dieser Äußerung wirklich noch die Liebe zur Wahrheit? Oder mischt sich der Wunsch nach Vergeltung mit hinein? Hat diese Art der „Wahrheit“ noch etwas mit Jesus zu tun? Ja, was würde Jesus tun?

Hat Jesus die Missstände seiner Zeit angekreidet?

Naja… Manchmal schon. Doch eigentlich weniger, als man meinen möchte. Er hat in erster Linie Menschen mit seinem Vater bekannt gemacht und zu radikaler Umkehr gerufen.

Um es ganz klar zu sagen: ich bin für das Ankreiden von Missständen. Ich bin dankbar für die Christen früherer Jahrzehnte, die dem Zeitgeist aus dem Licht des Evangeliums heraus klar widersprochen haben. Das brauchen wir!

Und doch gibt es eine Art, die Wahrheit zu sagen, die die ausgesagte Wahrheit selbst trübt. Man kann als Christ auf eine Art und Weise die Wahrheit sagen, die das Zeugnis von Jesus insgesamt verdunkelt.

Und mein Verdacht ist: wo wir aus Wut oder Angst heraus handeln, passiert das besonders oft.

Nach einigen Wochen von Beobachtung und Gebet komme ich zu dem Schluss, dass der Ton bedeutend wichtiger ist, als wir manchmal ahnen.

Warum lieben alle den scheidenden Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky? Seine Thesen in „Neukölln ist überall“ unterscheiden sich an etlichen Stellen garnicht sosehr von Thilo Sarrazin. Doch letzterer wird als Nazi gehasst. Der Unterschied? Man spürt bei Sarrazin nur die harte Kritik. Und man spürt bei Buschkowsky Empathie. Eine echte Sorge um die Menschen, und zwar alle beteiligten.
Das klingt jetzt banaler, als es ist.

Doch ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die in ihrem Herzen der Wahrheit gegenüber offen sind. Doch nicht selten sind sie von der Härte und dem Perfektionismus abgeschreckt, der bei vielen von uns Christen spürbar wird.

Ich kann es nicht verleugnen. Schon wiederholt sah ich Diskussionen zwischen Christen und Nichtchristen im Fernsehen und die Nichtchristen waren mir sympathischer.

Darf ich das sagen: ich finde Jens Spahn sympathischer als manche bibeltreuen Verteidiger der christlichen Werte. Ja, Jens Spahn ist schwul und wahrscheinlich würden wir ganz viele Dinge verschieden sehen, zum Beispiel damals das mit dem „Bildungsplan“. Doch er ist deshalb nicht einfach böse oder schlecht oder verstockt oder ein Lügner.
Und darf ich noch weiter gehen?

Ich finde den Kurs der grünen Partei schrecklich. Und ich bin in großer Gefahr, mich über Volker Beck zu ärgern - vielleicht mehr noch über Claudia Roth, wenn ich ehrlich bin.

Aber Jesus sagt, wir sollen unsere Feinde lieben… Nun ist Volker nicht mein Feind, aber wir sehen Dinge sicherlich sehr sehr verschieden. Neulich hat er mir auf Twitter zurückgeschrieben. Ich hatte geschrieben, dass ich es komisch finde, dass die Grünen die Dresdner Polizei anzeigen, wo doch die Grünen nicht dafür bekannt seien, sich für eine Stärkung der Polizei auszusprechen.

Er schrieb mir dann etwas frech, aber nicht boshaft zurück, die Grünen machten sich schon seit 20 Jahren für eine Stärkung der Polizei stark. Ich wusste das nicht (weiß jetzt auch nicht, ob es stimmt), aber musste eingestehen: hier hatte ich mich zu einer ungeprüften, vorschnellen Aussage hinreißen lassen. Ich bat Volker Beck um Verzeihung.

Und ich dachte mir: hey, vielleicht würde ich ihn als Mensch mögen. Klar, ich finde seine Ansichten richtig schlimm. Aber kenne ich sein Herz? Kenne ich seine Geschichte? Und könnte ich ihm einfach herzlich und unverkrampft begegnen? Und ihm danken für seinen Einsatz für unser Land, auch wenn wir wohl oft ganz unterschiedliche Werte vertreten? Wie sähe es aus, wenn ich ihn auch achten würde, dafür, dass er staatliche Verantwortung trägt (vgl. 1 Tim 2,2)?

Und ich nahm mir vor, regelmäßig für ihn zu beten. Und irgendwie fällt es mir seither schwer, ihn als „Feind“ zu sehen.

Ich glaube, dass der Ton sehr sehr viel ausmacht. Und ich glaube, dass das, was den Diskurs rings um Pegida von vornherein vergiftet hat, mehr mit dem Tonfall zu tun hatte, als mit den Inhalten. Immer wieder wurde auf die 19 Punkte von Pegida verwiesen, die sich doch weitgehend auch in Parteiprogrammen mancher bürgerlicher Parteien fänden. Und doch war da etwas an Pegida, was wirklich eigenartig war. Und was irgendwie stärker zu wirken schien als die 19 Punkte…

Es war ein geistlicher, ein atmosphärischer Eindruck, der auch mich negativ berührte. Ich sage „auch mich“, denn ich bin einer derjenigen, der es für falsch hielt, Pegida sofort in die Nazi-Ecke zu stellen. Denn die besagten 19 Punkte verdienen allesamt eine aufrechte Diskussion und keiner davon war faschistisch. Und ich glaube nicht, dass alle davon gebührend in unserem politischen Diskurs vorkommen. Und ich glaube, dass die Reaktionen auf Pegida wirklich diffamierend und unfair waren.

Und doch war da etwas Wütendes, Rebellisches, das man schwer in Worte fassen konnte und auch bei mir einen komischen Nachgeschmack hinterließ. Als schließlich die wirklich erschreckenden Zitate von Lutz Bachmann bekannt wurden, fühlten viele sich bestätigt. Hier gab es doch einen deutlichen Kern von Verachtung und Hass… Und den spürten die Leute.

Wie wäre es, wenn sie die Liebe Jesu gespürt hätten? Wie wäre es, wenn sie die bedingungslose Annahme des Vaters spüren würden? Und wie wäre es, wenn wir dann und eingepackt in diese Liebe auch unsere Kritik anbrächten?

Ich habe hier kein Rezept. Und ich glaube, dass es gesellschaftliche Missstände geben kann, die so massiv sind, dass man sie klar benennen muss. Gerne auch in einer Demonstration.

Doch ich sage zu mir selbst: wenn ich aus Wut agiere, dann hab ich schon verloren. Wenn ich für meinen „Feind“ nicht herzlich bete, dann agiere ich schon wie der Feind selbst. Und wenn wir nur mit den Waffen dieser Welt kämpfen - mit Empörung und Wut - dann bringen wir die größte Wahrheit dennoch um ihre größte Wirkung.

Und so nehme ich jetzt mit Besorgnis die Geschichte mit Olaf Latzel wahr. Ja, ich bin auch der Meinung, dass es klare Unterschiede im Gottesbild zwischen Islam und Christentum gibt. Und ja, ich bin der Meinung, dass man das auch sagen darf. Und ja, ich bin auch der Meinung, dass unsere Gesellschaft ein bisschen hysterisch und paranoid ist, bei einem Pfarrer wegen solcher Zitate „Volksverhetzung“ zu schreien, doch bei Zehntausenden von antiisraelischen Demonstranten letzten Sommer („Hamas, Hamas - Juden ins Gas“ und solche Rufe…) schließlich 45 von 49 Strafverfahren fallen lässt.

Und dennoch: nein, der Tonfall von Olaf geht garnicht. Es ist nicht OK wenn wir Christen religiöse Bräuche anderer beschimpfen. Es geht einfach nicht, so können wir nicht sprechen.

Olaf ruft auf zu einer radikalen Reinigung. Ich stimme ihm zu. Doch wieder und wieder merke ich: es ist nicht sosehr die Reinigung von Buddhastatuen, sondern es geht mehr ums Herz. Also klar: Buddhastatuen braucht ein Christ wirklich nicht, das darf er auch sagen. Doch wie wäre es, das Herz von der Bitterkeit und der Wut zu reinigen? Ich unterstelle Olaf keineswegs, dass er das nicht getan hätte. Und mit keiner Silbe billige ich die Hetzkampagne gegen ihn.

Doch wie wäre es, wenn unser Herz wirklich in Liebe bricht für die Menschen aus arabischen Ländern, dem Iran, der Türkei… Und wir deshalb und auch erst dann sagen, warum wir den Islam kritisch sehen. Oder wenn wir sagen, dass wir es nicht mit unserem Gewissen vereinen können, mit Muslimen gemeinsam zu beten. Aber spürbar wird, dass wir das bedauern. Weil wir den Menschen gerne als Menschen begegnen würden… Und man das nicht nur verbal sagen würde, sondern auch spüren ließe…

Irgendwie fühle ich mich da in einer Zerreißprobe. In einer Zeit, in der wirklich immer mehr verwischt und verwässert wird, kann ich die Sehnsucht nach klarer Positionierung so gut verstehen! Und da danke ich Olaf Latzel auch für seinen Eifer!

Und zugleich: mein Stolz, meine Selbstgerechtigkeit, mein Nicht-Zuhören, meine kleinen Lieblosigkeiten sind nicht harmloser. Wir sollen uns reinigen? Ja. Doch dann eben auch von unserer Gebetslosigkeit, unserem Kleinglauben, unseren Flirts mit der Pornographie, unserem Lästern über andere Christen, unserem Geiz wenn es ums Spenden geht, unserer Anpassung an das Mittelmaß, unserer fehlenden Leidenschaft für Jesus, dem fehlenden Engagement für die Armen und Ausgegrenzten…

Im Letzten sind nie Menschen unsere Feinde. Ein wie großes Problem stellte im 1. Jahrhundert der römische Machtapparat für die Ausbreitung des Evangeliums dar? Gar keins!

Brutalste Verfolgung, Zwangsherrschaft, sexuelles Durcheinander, Vielgötterei: das römische Reich war nicht wirklich „besser“ als unsere heutige Kultur. Und kritisiert Paulus das im NT? Ja, mitunter. Doch es ist wenig Angst zu spüren, erst Recht keine Wut. Vielmehr absolutes Wissen, dass das Reich Gottes stärker ist. Und so war es auch! Trauen wir Gott zu, dass unsere heutige säkulare Gesellschaft in Deutschland (oder auch die Lebenswelt der Muslime in unserem Land) ebenso radikal vom Evangelium erschüttert werden kann wie die römische Antike!

Liebe Freunde… wie wäre es wenn wir auf unsere Probleme in Deutschland genauso schauen würden? Ja, es gibt diese Widerstände. Doch sie sind vergänglich. Und sie dürfen uns niemals in den falschen Kampf locken. Denn der wahre Kampf geht um von Gott unendlich geliebte Menschen, die jetzt noch nicht wissen, dass sie sich weit von ihm entfernt haben. Und die wir durch Wort und Werk zurücklieben sollen… Und es ist niemals ein Kampf der menschlichen Mittel, sondern immer des Gebets.

Ich sage all das zu mir selbst. Denn mir selbst fällt es auch viel leichter, eine scharfe Pointe loszulassen, als in Liebe zu reagieren. Und ich bin auch FÜR das Bekanntmachen. Wir dürfen klar in den Themen sein, auch da, wo wir menschlich liebevoll und sanft sind. Wir müssen uns einmischen, wir sollen sagen, was Sache ist. Doch was dabei in meinem Herzen abgeht, ist genauso wichtig wie das, was ich sage.

Ich habe Glauben dafür, dass Jesus richtig viele Muslime, Linke, Rechte, Grüne, Homosexuelle, Satanisten, Kommunisten, Pegida- und Nopegida-Anhänger und auch Sonstige erreichen will. Sie sind nicht „die Anderen“ und „die Feinde“ sondern in der Regel Menschen, die die unglaubliche Kraft und Liebe Jesu noch nicht kennen. Ich will mich heute entscheiden, diese Menschen zu lieben. Diese Menschen, von denen die allermeisten versuchen, ein gutes Leben zu führen. Aber die aus welchen Gründen auch immer eine andere Vorstellung davon haben, wie dieses zu erreichen ist. Doch die nicht einfach nur „böse“ sind, sondern vielleicht verletzt, verwirrt oder einfach nur rebellisch gegen eine Art von Christentum, die einfach abstoßend war.

Und ja, ich werde auch weiterhin mal was Kritisches posten. Doch ich will es seltener aus der Wut heraus tun und öfter versehen mit einer geistlichen Deutung. Und dafür will ich lieber einmal öfter für Volker Beck beten, meinen Kumpel mit den ziemlich unerträglichen Ansichten.

Dr. Johannes Hartl (Foto) ist katholischer Theologe und leitet das Gebetshaus Augsburg.

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Dr. theol. Johannes Hartl (Gebetshaus Augsburg): Der Maleachi-Ruf


Foto Johannes Hartl (c) Gebetshaus Augsburg/Ruth Brozek


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