Benedikt XVI. – ‚Licht des Glaubens’

10. Februar 2015 in Aktuelles


Der Fels und die Demut der Wahrheit – Ein Kirchenlehrer auf dem Stuhl Petri. Am 19. April 2005 wurde der Kirche Benedikt XVI. geschenkt. Zum zehnten Jahrestag der Beginn einer kath.net-Reihe zum Lehramt Benedikts XVI. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) 19. April 2005: Joseph Kardinal Ratzinger wird zum 265. Nachfolger des Apostels Petrus, Stellvertreter Christi, Papst der universalen Kirche und Bischof von Rom gewählt. Nach einem großen Papst Johannes Paul II. trat ein „einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“ seinen Dienst an, der bis zum 28. Februar 2013 und 20:00 Uhr dauern sollte. Und der jetzt emeritierte Römische Pontifex tröstete die verunsicherten Gläubigen und die Kirche, die ob seines Amtsverzichtes den Atem anhielten: „Dies bedeutet nicht, dass ich die Kirche im Stich lasse, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, wie ich es bis bislang versucht habe, doch auf eine Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist“ (Angelus, 24. Februar 2013).

Benedikt XVI. verließ den Stuhl Petri als „einfacher Pilger, der nun die letzte Etappe seines Weges auf dieser Erde antritt“, der so auf neue Weise mit seinem Gebet, mit seinem Denken, mit allen seinen geistigen Kräften für das allgemeine Wohl, für das Wohl der Kirche und der Menschheit weiterarbeitet (vgl. letzte öffentliche Ansprache in Castel Gandolfo, 28. Februar 2013). Der Emeritus „arbeitet weiter“: der „aktive“ Pontifikat ist zu Ende, er ist Geschichte, er gehört zur Geschichte, es wird die Geschichte sein, die immer mehr die Größe der Gestalt Benedikts XVI. erkennen wird. Der „kontemplative“ Pontifikat begleitet den Weg der Kirche.

Der Papst des Logos ist verstummt. Umso eindringlicher klingen die Worte seines Lehramtes, seiner Theologie, seiner Spiritualität, seiner vom Heiligen Geist durchdrungenen Menschlichkeit. Umso deutlicher wird der Kern der Botschaft Benedikts XVI.: „In Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist“ (vgl. Eph 1,10). Die ganze Wirklichkeit muss in Christus vereint werden. Das ist die Wurzel des gesamten Wirkens Benedikts XVI. Das einst aktive Lehramt und jetzt das neue Lehramt des emeritierten Papstes drängen dazu, das Evangelium neu zu verkündigen, zu erkennen, dass die Kirche Christus gehört, dass die Kirche keine am Tisch ausgedachte und konstruierte Institution ist, sondern eine lebendige Wirklichkeit, ein lebendiger Organismus, der in seinem Wandel und Wachstum immer in seinem Wesen gleich bleibt, der in den Seelen der Menschen erwacht, dessen Herz allein Christus ist (vgl. letzte Ansprache an das Kardinalskollegium, 28. Februar 2013).

Ziel muss es bleiben, das Lehramt Benedikts XVI. nicht zu vergessen und in seinem Reichtum auszuschöpfen. Dazu gehören die 348 Katechesen zu den Generalaudienzen, die sich in verschiedene Reihen gliederten: von den zwölf Aposteln hin zur entstehenden Kirche, von den apostolischen Vätern hin zu den Kirchenvätern und Kirchenlehrern, der Apostel Paulus im Paulus-Jahr, die eindringlichen Worte an die Priester im Priesterjahr, die großen Heiligengestalten des Mittelalters und der Neuzeit – um nur einige Themen zu nennen. Ein reiches Lehramt in unzähligen tiefgehenden Ansprachen, in dreiundzwanzig großen Auslandsreisen. Ein Lehramt, das mit den Predigten und Ansprachen zum Gebet des Angelus das Kirchenjahr begleitete. Ein Lehramt, das seinen höchsten Ausdruck in drei Enzykliken und vier nachsynodalen Apostolischen Schreiben fand. Ein Lehramt in der Demut der Wahrheit des „cooperator veritatis“.

Um dieses Lehramt eines Kirchenlehrers auf dem Stuhl Petri zu würdigen, zu vertiefen und auch in Erinnerung zu rufen, wird kath.net im Jahr des 10. Jahrestages der Wahl Benedikts XVI. jede Woche bedeutende und auch einschneidende Äußerungen des nunmehr emeritierten Papstes veröffentlichen. Die Reihe beginnt am 11. Februar 2015 mit der Veröffentlichung der „Regensburger Enzyklika“ vom 12. September 2006. Diese Wortmeldung war die erste von vier großen Ansprachen an die Welt der Kultur und Universität. Ihr sollten dann die nichtgehaltene Ansprache an der römischen Universität „La Sapienza“ (2008), die Ansprache in Paris (Collège des Bernardins, 2008) und die Ansprache in der City of Westminster (Westminster Hall, 2010) folgen.

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Hunderttausende von Touristen stehen jedes Jahr unter der Peterskuppel in Rom. Wenn sie über den mächtigen Baldachin hinweg den Blick nach oben erheben, so werden sie nicht nur von den mächtigen Mosaiken der vier Evangelisten beeindruckt, die den Abschluss der die Kuppel tragenden Pfeiler bilden. In der Kuppel können sie in großen Buchstaben auf goldenem Hintergrund ein Zitat aus dem Evangelium des heiligen Matthäus in lateinischer Sprache lesen (Mt 16,18-19): „Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam“. „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“, erklärt dann der Kirchenführer. Klar: Es kann nicht anders sein, dass über dem Grab des Apostelfürsten, in der vatikanischen Basilika, die ununterbrochen sein Gedächtnis bewahrt, dieses Wort steht. Kaiser Konstantin hatte im 4. Jahrhundert sogar den Vatikanhügel abgraben lassen, um es zu ermöglichen, dass dieses Grab den Mittelpunkt der ersten Peterskirche bildet.

„Du bist“ sagt Jesus dem Fischer Simon. Aber das Zitat aus dem Evangelium geht weiter: „et portae inferi non praevalebunt adversum eam. Tibi dabo claves regni caelorum“ – „Und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben“. Simon wird von Christus zu Petrus gemacht, zum ersten der Apostel, ihm gibt er die oberste Gewalt über die Kirche, eine Kirche, die die Mächte der Hölle nie überwältigen werden, sollten sie sich auch noch so sehr anstrengen. Petrus ist der erste, der die Verheißung Christi für seine Kirche hört. Er ist dazu berufen, als „Diener der Diener Gottes“, wie dies der heilige Papst Gregor der Große so ergreifend ausdrückte, für die Einheit der Kirche und die Wahrung und Weitergabe des rechten Glauben zu sorgen.

Das Zitat schließt dann mit den Worten: „et quodcumque ligaveris super terram, erit ligatum in caelis, et quodcumque solveris super terram, erit solutum in caelis“ – „Was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“. Die Befugnis des Petrus ist keine rein irdische. Als Stellvertreter des Heilands ist er in seiner Person, gestärkt durch den Heiligen Geist, von Gott autorisiert und dazu bestellt, sein Gesetz zu deuten und zu lehren und entsprechend diesem in die Schöpfung eingeschriebenen Gesetz „zu binden“ und „zu lösen“.

Christus selbst also ist es, der dem Simon das Sein des Petrus gibt, der aus jedem Papst als Nachfolger des Apostels Petrus den Ort und die Autorität macht, die dem Wohlergehen seiner Kirche, das heißt seines mystischen Leibes dienen. Die anderen Apostel und deren Nachfolger sind Hirten und „Bischöfe“ allein dadurch, dass Petrus die Schlüssel des Himmelreiches erhalten hat, die er diesen weitergibt. Christus verleiht seiner Kirche eine Form, und diese Form hat einen Namen: Petrus. Die Kirche ist in ihrer Universalität durch den Petrusdienst geformt. Durch Petrus wird Kirche als die Kirche wirklich. Ohne ihn wäre sie nichts anderes als eine der vielen Erscheinungsformen menschlicher Sozialität. Wie der heilige Papst Leo der Große schreibt, ist Petrus das Haupt, von dem aus sich die göttlichen Gaben im ganzen Leib verbreiten. Er ist nach Origenes „Mund und Haupt“ der Apostel.

So wie Simon mit den Worten Christi aufhörte, Simon zu sein und Petrus wurde, so stirbt jeder Nachfolger des Petrus im Moment seiner Wahl zum Papst und wird zu einem anderen, der alles in den Dienst Gottes und seiner Kirche stellt. Benedikt XVI. ist ein anschauliches Beispiel dafür. Joseph Ratzinger starb 19. April 2005. Er ging ganz in Benedikt XVI. auf, dieser stammt von Petrus ab und wurde unmittelbar von Christus selbst gestiftet. Damit ist das besondere Handeln des Papstes ein Wirken, dessen Matrix der Wille Gottes selbst ist.

Der Papst ist Fels. Er ist die Garantie der Festigkeit, die Garantie von Gegenwart und Zukunft aus dem Wesen der Geschichte des Christentums heraus. Er ist der Fels und Damm in der Geschichte der Kirche und in der Geschichte der Menschheit, was gerade in dieser Gegenwart besonders erkenntlich wird. Das Heute ist gezeichnet von einem Relativismus, der es sich zum Ziel setzt, alle Dämme zu brechen, im Namen einer Freiheit, die sich als Hin-und-her-treiben-lassen definiert. Im Tollhaus des Relativismus, der nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich setzt, ist alles erlaubt. Wo aber alles erlaubt ist, ist Gott tot und vergeht das Menschliche. Wo alles erlaubt ist, wird der Mensch auf dem Altar des unbegrenzt Möglichen geopfert – in seiner Gegenwart und Zukunft. Die Gesellschaft wird zu einem Chaos, das durch Regeln geordnet wird, die ihr Prinzip und Fundament nicht angegeben können und sich somit nicht dem Chaos widersetzen, sondern zu dessen Negativbild werden. Folge ist eine absolute Desorientierung, angefangen beim persönlichen Lebensvollzug bis hin zur soziologischen Reflexion über Sinn und Zweck der Gesellschaft als solcher.

Die moderne relativistische Kultur neigt zu einem Selbsthass, zu einer Selbstverleugnung, worauf Benedikt XVI. einige Male hingewiesen hatte. Sie vergisst ihre Geschichte, sie lehnt ihre Geschichte ab, laut schreiend flüchtet sie sich in ein unbestimmtes „Man sagt, man tut“, sie hält den Aufruf zur Wahrheit nicht aus.

Aus diesem Grund war ein Mann wie Benedikt XVI. „lästig“: ein Stachel im Fleisch eines Lebens, das vor der Wahrheit wie vor einem Pestkranken flüchtet. In den Massenmedien, an den Hauptplätzen von Finanz und Politik, innerhalb verschiedenster Lobbys und „pressure groups“ wurde Benedikt XVI. als blockierendes Element in einem Getriebe empfunden. Er störte den gewollten Selbstlauf der Maschine, die es darauf abgesehen hatte und hat, einen universalen Konsens zu schaffen und durch diesen globalisierend Bewusstsein und Gewissen zu formen.

Je glaubwürdiger die Botschaft der Kirche, je glaubwürdiger und überzeugender die Lehre Benedikts XVI. war, desto intensiver wurden sie angegriffen. Alles in allem ein gutes Zeichen: angesichts der bodenlosen Aggressivität, der Benedikt XVI. oft gegenüberstand und mit der ein neues Weltbild verteidigt werden sollte, muss das, was er sagte, wahr und deshalb so unbequem gewesen sein, dass es für die „anderen“ notwendig war, mit schwerer Artillerie dagegen anzukämpfen.

Der Papst gibt ein Maß vor, ein Maß, das vor allem den Christen dienen soll, um durch ihr Zeugnis die Wirklichkeit zu „reformieren“ oder – wie es im Evangelium heißt – Samenkorn zu werden, das in den Boden fällt, stirbt und daher umso reichere Frucht hervorbringt. Benedikt XVI. war nie mutlos. Seine ruhige, aber entschlossene Hand, sein sanfter Blick, dem man nicht ausweichen konnte, repräsentierte eine ständige Ermutigung für den Christen, gerade angesichts des Chaos nicht zu verzweifeln. Es wurde zunehmend deutlicher, dass der Papst in einer Welt der Unordnung, der Gewalt, des Chaos, in einer Welt der Kriege und Ausschweifungen die einzige wirklich verbleibende Autorität war.

Der Papst – er ist das Gewissen aller Katholiken, er ist das Gewissen der Welt. „Non nisi in obscura sidera nocte micant“ – die Sterne glänzen umso mehr, desto finsterer die Nacht: so steht es über dem Eingangstor des Benediktinerklosters in Subiaco, an jedem Ort, an dem Kardinal Ratzinger am 1. April 2005 seinen letzten Vortrag gehalten hatte, in dem er Wege für die Zukunft Europas aufzeichne wollte. Und er forderte die Menschen mit einer Frage heraus: Wie wäre es, wenn wir wieder einmal so leben würden, als ob es Gott gäbe, statt so zu tun, als wäre die Abwesenheit Gottes die wahre Gewährleistung der individuellen und gesellschaftlichen Freiheit? Ein „revolutionärer“ Vorschlag in einer nachaufklärerischen Zeit, die meint, Gott nicht nur bewusst aus dem Leben entfernen zu müssen, sondern ihn mit einer banalen, unreflektierten und langweiligen Gleichgültigkeit ersetzt. Benedikt XVI. führte den Vorschlag Kardinal Ratzingers fort.

Gegen die konsolidierten Strukturen einer Welt, die Gott an den Rand drängt und sogar herausfordernd ablehnt, läutete der Papst die Revolution ein, eine Revolution, die den innersten Kern der „benediktinischen Reform“ ausmachte. Benedikt XVI. war ein revolutionärer Papst, der den Kampf weder innerhalb noch außerhalb der Kirche scheute. Wie revolutionär er war, zeigte er am Schluss mit seinem Amtsverzicht, ein Akt, der die Kirche und das Papsttum für immer verändern sollte.

Benedikt XVI. war ein Reformpapst der geistlichen Neugründung des christlichen Seins und Bewusstseins, woraus sich der revolutionäre Schwung gegenüber der säkularen Welt ergab. Es handelte sich bei dieser Revolution um eine „innere Explosion des Guten“, die der Papst verkündigte und die das Böse besiegt und so eine Kettenreaktion der Erneuerung erzeugen sollte. Das war für Benedikt XVI. der Sinn der einzigen wahren Revolution, deren die Menschheit bedarf.

Benedikt XVI. stand mit seiner entschlossenen Milde an der Spitze der Revolution Gottes und bestach dabei durch eine Eigenschaft, die in der Welt des Wissens und des schon Gewussten aufmerken ließ: seine Fähigkeit des Staunens. Nichts provoziert mehr Staunen als das Staunen, zumal wenn es sich um das Staunen eines Papstes handelt: ein Staunen, das ganz auf das Wirken Gottes in seiner Schöpfung ausgerichtet war.

Von dieser Grundlage aus war es Benedikt XVI., der „angriff“. Er attackierte den Relativismus, eine falsche Auslegung des II. Vatikanischen Konzils, einen falschen Begriff von Dialog und eckte als der Verteidiger der „nicht verhandelbaren Werte“ bei all jenen an, die grundsätzlich bereit sind, alles und jeden zur Verfügung zu stellen. Die Lehre Benedikts XVI. ist so eine beständige Provokation und Herausforderung jenes Denkens, das Prinzipien als Kompromisse definiert.

Je korrupter und dekadenter eine Gesellschaft ist, desto mehr gibt sie sich Fiktionen hin: Fiktionen des Wellness, des Gutmenschentum (das im Schweigen versinkt, das Tränen über Tiere vergießt, die zu wissenschaftlicher Forschung benutzt werden, während gleichzeitig hunderttausende von Kindern kommentarlos abgetrieben werden usw.). Eine derart dekadente Gesellschaft liebt es, wie in einer universal veranstalteten „Truman Show“ zu leben. Dem großen persönlichen und sozialen Problem der Brüchigkeit der Ehe in unserer Zeit steht das Schreien nach der Einführung der Ehe von Homosexuellen gegenüber. Eine Schwindel erregende Scheidungsrate veranlasst nicht zu einer eingehenden Reflexion über das eigentliche Problem, im Gegenteil: die Priesterehe wird „gefordert“. Demographischer Niedergang im Namen einer Selbstverwirklichung auf der einen Seite, künstliche Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik und Designer-Babys auf der anderen – all diesen und vielen anderen Widersprüchen stand und steht die Lehre der Kirche und des Papstes entgegen – und deshalb werden sie „zum Abschaum der Welt“, wie dies der Apostel Paulus nannte.

Benedikt XVI. begegnete den Angriffen gerade auch mit seinem Werk. Als ersten Band der Gesamtausgabe seines theologischen Schaffens ließ der Papst seine Hauptschrift zur Liturgie veröffentlichen, um verstehen zu lassen, warum wir glauben. Seinem ersten Buch über Jesus von Nazareth folgten zwei weitere: drei Werke, die den Grundstein einer neuen Annäherung an die Welt des evangelikalen Christentums darstellen. Den Angriffen gegen die Kirche setzte der Papst den Aufruf entgegen, sich wieder auf den Weg Jesu Christi zu begeben. Denn: „Was die Gebote sagen, ist im Leben Jesu zusammengefasst und zu lebendiger Gestalt geworden. So erkennen wir, dass diese Weisungen Gottes nicht Fesseln sind, sondern Weg, den er uns zeigt. Wir dürfen ihrer froh sein, und wir dürfen uns freuen, dass sie in Christus als gelebte Wirklichkeit vor uns stehen. Im Mitgehen mit Christus geht uns die Freude der Offenbarung auf“.

Benedikt XVI. war keine „moralische Autorität“. Das wäre zu wenig, zu weltlich, zu banal gewesen. Benedikt XVI. war „mehr“. Der Papst ist mehr. Er ist das Gewissen der Welt im doppelten Sinn des Wortes. Die Lehre des Papstes macht deutlich, dass Wissen und Wahrheit komplementär zusammengehören. Dem folgt, dass Gewissen nichts mit einem relativen oder subjektiven Zustand zu tun hat, sondern das Wort und das Wissen um das Wort eines absoluten Gesichtpunktes in der brüchigen endlichen Wirklichkeit ist. Das Gewissen verwirklicht sich nicht als Selbstbehauptung, sondern als Anerkennung des Offenbarten als des Absoluten, dem zu gehorchen ist. Denn nur der Glaube kann einen Egoismus in Freude verwandeln. Nur die liebende Hinwendung zum offenbarten Gott vermag es, rechte Beziehungen zum Anderen zu knüpfen. Im Gewissen steht der Mensch vor seiner Seele und vor Gott. Das ist der wahre Damm gegen die Verwüstung des Menschen und die Herabwürdigung von allem, was ist, auf das rein Machbare und Manipulierbare. Benedikt XVI. forderte daher gegen das Projekt der Säkularisierung der Gesellschaft, deren absolute Werte die Abwesenheit von Werten und der Relativismus sind, dass sich Individuum und Gesellschaft nicht als Gegensatz erkennen. Das Absolute ist kein Hindernis für die Freiheit. Nur Wahrheit macht frei. Der Papst ist der Fels, auf dem diese Freiheit zu stehen kommt.

Um noch einmal darauf zurückzukommen: In Subiaco hatte Kardinal Ratzinger den Vorschlag gemacht, zunächst einmal so zu leben, als ob es Gott gäbe, um dann zu kontrollieren, ob ein derartiges Leben nicht von großem Vorteil ist. Diesen Vorschlag kann man auch weiterführen, sowohl für die Kirche als auch für die Welt: Wie wäre es, wenn man der Lehre Benedikts XVI. einfach mal folgen würde, um dann zu schauen, wie die Sache läuft? Wie wäre es, wenn man einmal darüber nachdenken würde, dass Religionsfreiheit nicht auf Gewissensfreiheit reduziert werden kann? Was würde geschehen, wenn man die Sache mit den „nicht verhandelbaren Werten“, der unverletzlichen Würde des Menschen, der transzendenten Gründung der Menschenrechte Ernst nehmen würde?

Doch dazu bedürfte es einer großen Demut, einer Demut, wie sie Benedikt XVI. Tag um Tag in Denken und Handeln an den Tag legte: der Demut der Wahrheit. So kann es sich geziemen, zusammen mit dem seligen Kardinal John Henry Newman zu beten: „Herr Jesus Christus, als Dein Leiden begann, hast Du für Deine Jünger gebetet, auf dass sie eins seien, wie Du mit dem Vater und der Vater mit Dir eins ist: Reiße die Barrieren der Spaltung nieder, die die Christen voneinander trennen. Lehre alle, dass der Stuhl des Petrus, die Heilige Kirche von Rom, das Fundament, der Mittelpunkt und das Werkzeug dieser Einheit ist. Öffne ihnen das Herz für die seit langer Zeit vergessene Wahrheit, dass unser Heiliger Vater, der Papst, Dein Vikar und Stellvertreter ist. Und wie es im Himmel nur eine einzige heilige Gemeinschaft gibt, so soll auf dieser Erde nur eine Gemeinschaft sein, die Deinen heiligen Namen bekennt und verherrlicht“.


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Papst Benedikt XVI. - Erste Worte nach seiner Wahl 2005



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