Quo vadis, ÖVP?

6. Februar 2015 in Kommentar


Der Parteichef der ÖVP hat am Ende der Klubklausur der Parlamentsabgeordneten seiner Partei mit liberalen Thesen aufhorchen lassen. Ein kath.net-Kommentar von Johannes Graf


Pöllauberg/Wien (kath.net/jg)
„Wie gehen wir vorwärts, und wo ist vorne?“ Das sei eine der wichtigsten Fragen, die sich die Österreichische Volkspartei (ÖVP) stellen müsse, sagt ihr Bundesparteiobmann Vizekanzler Reinhold Mitterlehner am Ende der Klausurtagung des Parlamentsklubs seiner Partei im steirischen Pöllauberg. Das halbstündige Referat des ÖVP-Chefs Ende Januar 2015 zeigt in einer konzentrierten Form, wie weit sich die ÖVP in den letzten 30 Jahren von ihren früheren Positionen entfernt hat.

‚Der Islam ist Teil unserer Gesellschaft’

Beim Islam halte er es mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, wird Mitterlehner in der Wiener Zeitung zitiert. „Der Islam ist ein Teil unserer Gesellschaft, wir haben eine multikulturelle Gesellschaft“, stellt der österreichische Vizekanzler wörtlich fest.

Ich will mich zu diesem Thema kurz fassen, weil dazu bereits genug gesagt und geschrieben worden ist.

Mitterlehner will wohl zwischen Islam und Islamismus trennen. Der (gute, friedliche) Islam, gehört zu Österreich, der (böse, kriegerische) Islamismus hingegen nicht. Deshalb fordert er in derselben Rede ein konsequentes Vorgehen gegen Dschihadisten. Es ist aber mehr als blauäugig so zu tun als ob der Islamismus nichts mit dem Islam zu tun habe. Der Islamismus ist als Reaktion auf westliche Einflüsse in den arabischen Ländern nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches entstanden. Er strebt eine Reislamisierung der arabischen Länder an, und orientiert sich an den ersten Generationen der Moslems, wie der Islamwissenschaftler Samir Kalil Samir SJ schreibt. (Samir Kalil Samir / Michaela Koller, Muslime und Christen, S. 130 – 138)

Wie auch immer, eine Aussage wie die oben zitierte wäre von einem Politiker der ÖVP noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Die „multikulturelle Gesellschaft“ wurde vor etwa dreißig Jahren zuerst von den Grünen gefordert. Dank hoher Zuwanderungsraten und nur teilweiser Integration ist der Satz „Wir haben eine multikulturelle Gesellschaft“ eine zutreffende Feststellung. Neu ist, dass der Vorsitzende einer sich als christdemokratisch bezeichnenden Partei eine multikulturelle Gesellschaft mit direktem Bezug zum Islam als gegeben akzeptiert. Anders gesagt: Die ursprünglich linke Forderung nach einer multikulturellen Gesellschaft ist mittlerweile bis weit in die politische Mitte vorgedrungen. Nicht einmal die ÖVP glaubt mit einem Thema wie „Heimat“ oder „österreichische Identität“ politisch punkten zu können.

Mit der Definition der österreichischen Gesellschaft als „multikulturell“ ist es aber noch nicht getan, dessen ist sich auch der Vizekanzler bewusst. Nun müsse man Integration leben, um „Parallelgesellschaften mit unterschiedlichen Spielregeln“ zu verhindern und das staatliche Gewaltmonopol zu verteidigen, schreibt die Wiener Zeitung.

In diesem Zusammenhang ergeben sich gleich mehrere Punkte für eine Integrationsdebatte, die bis jetzt noch niemand beantwortet hat. Offenbar gibt es einen Unterschied zwischen vielen Kulturen, die in einer (multikulturellen) Gesellschaft zusammenleben können und dem Nebeneinander von Parallelgesellschaften in einem Staat, aus dem Probleme bis hin zur Gewalt entstehen können. Wo ist hier die Grenze zu ziehen? Was ist eine akzeptable kulturelle Differenz, was führt zum Entstehen von Parallelgesellschaften? Was bedeutet Integration konkret und wen will man wohin integrieren? Will man, um Mitterlehners Beispiel aufzugreifen, Islamisten zu (gemäßigten) Moslems machen? Wie geht das und wo setzt man hier an? Was tut man, wenn sich jemand nicht integrieren will? Zwei Landeshauptmänner der SPÖ haben den Vorschlag gemacht, über Strafen für Integrationsverweigerer nachzudenken. Mit dem Hinweis, dies sei kontraproduktiv, weil es die betroffenen Personen nur unter Druck setzen würde, wurde die Idee abgelehnt. All das zeigt, dass eine wirkliche Debatte zur Integration in Österreich nicht geführt wird, ein Manko, das man nicht nur der ÖVP anlasten kann. Die Politik bleibt großteils in Phrasen und Schlagworten verhaftet: Integration, Toleranz, Offenheit Multikultur – ja, Radikalismus, Fundamentalismus, Rassismus, Intoleranz – nein.

Religionsunterricht ‚weiterentwickeln’

Einen Teil der Integrationsaufgabe soll die Schule übernehmen. Mitterlehner wünscht sich eine „Weiterentwicklung“ des Religionsunterrichts. Darunter versteht er, den Ethikunterricht und den wertschätzenden Vergleich der Religionen zu verstärken. Er könnte sich auch einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler vorstellen und übernimmt dabei erneut eine Forderung der Grünen.

‚Es gibt keinen Wettbewerb der Neigungen’

Einen bemerkenswerten Schwenk will Mitterlehner seiner Partei auch bei der Bewertung homosexueller Partnerschaften verordnen. Im Rückblick habe es „in unseren Gedanken eine Über- und Unterordnung“ gegeben, „und die sollte da nicht sein“, zitiert ihn der linksliberale Standard. Möglicherweise hätte die Partei früher einen Wettbewerb gesehen. „Es gibt keinen Wettbewerb der Neigungen, jemand ist entweder so, wie er ist, oder er ist es nicht“, sagt Mitterlehner.

Wenn es keine Über- und Unterordnung geben soll, warum tritt Mitterlehner nicht gleich für eine völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe ein? Ganz so sicher scheint sich die Partei in dieser Sache aber ohnehin nicht zu sein. Einer Presseaussendung des Parlamentsklubs zufolge, forciere die ÖVP „das traditionelle Familienbild, bestehend aus Vater, Mutter, Kind“. Auf Nachfrage des Standard habe eine Sprecherin Mitterlehners geantwortet, dass beides nebeneinander möglich sei, die Forcierung des traditionellen Familienbildes und Gleichbehandlung. Die ÖVP versucht sich wieder einmal an der Quadratur des Kreises.

Die Mitgliederbefragung im Zuge der „Evolution Volkspartei“ genannten Neuausrichtung der Partei spricht hier eine deutliche Sprache. 87,6 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, dass folgende Sätze in das Grundsatzprogramm aufgenommen werden sollen: „Unser Leitbild sind Familien mit Kindern (Vater-Mutter-Kind), wir schreiben den Menschen aber nicht vor wie sie zu leben haben. Daher respektieren wir auch andere Formen des Zusammenlebens. Das Wohl der Kinder hat dabei Vorrang vor allen anderen Interessen.“ Wie es aussieht, ist die Parteibasis sehr wohl der Meinung, dass es einen Vorrang für die traditionelle Familie geben soll.

Quo vadis, ÖVP? Der Meinungsforscher Peter Ulram entwirft folgendes Szenario: Mit einem liberaleren Kurs verliert die Partei zwar katholische Wähler, die zur FPÖ, dem Team Stronach oder den Christen wechseln würden. Das sei aber nicht wirklich relevant. „Wir reden hier von ein paar tausend Leuten“ zitiert die Tageszeitung Die Presse. Die Wähler die auf der einen Seite verloren gingen, würde die ÖVP bei den urbanen, bürgerlichen Wählern dazu gewinnen. Er hofft auf Wähler der liberalen Neos oder der Grünen.

Diese Politik verfolgt die ÖVP schon seit Jahrzehnten und hat damit kontinuierlich Wähler verloren. Seit Mitte der achtziger Jahre ist die Partei von knapp über 40 Prozent auf etwa 25 Prozent der Stimmen bei Nationalratswahlen gesunken. Die Mitgliederbefragung zeigt bei einigen Themen starkes Votum für die traditionelle Parteilinie. Man darf gespannt sein.


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