Evangelische Kirche Österreichs zwischen Euthanasie und Lebensschutz

26. Jänner 2015 in Kommentar


Das Institut für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie Österreichs hat seine Position zur Euthanasie veröffentlicht. Euthanasie und Suizidbeihilfe werden abgelehnt, ein umfassender Schutz des Lebens fehlt. Kath.net-Kommentar von Johannes Graf


Wien (kath.net/jg)
Vertreter der evangelischen Kirche in Österreich haben sich gegen eine Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zum Suizid in der Verfassung ausgesprochen. Das neu gegründete Institut für öffentliche Theologie und Ethik (IöThE) der Diakonie hat zum Thema Sterbehilfe ein „Argumentarium“ veröffentlicht, in dem die Position der evangelischen Kirche in der Debatte dargelegt wird.

Der Theologe Ulrich Körtner, der Direktor des IöThE, hält das derzeit geltende gesetzliche Verbot der Tötung auf Verlangen und der Suizidbeihilfe für gut, weil damit „die Schwächsten, nämlich Todkranke und Sterbende geschützt werden“. Ein entsprechendes Verfassungsgesetz würde allerdings die Verunsicherung für Ärzte und Patienten vergrößern, „welches medizinische Tun oder Unterlassen als Verstoß gegen das Euthanasieverbot oder gegen das Verbot der Suizidbeihilfe zu beurteilen ist.“ Im Argumentarium wird diese Position damit begründet, dass „die Grenzen zwischen Therapiebegrenzung und aktiver Sterbehilfe im medizinischen Alltag nicht immer einfach und eindeutig zu bestimmen“ seien. Diese Unklarheit werde durch eine verfassungsgesetzliche Bestimmung erhöht.

Diese Argumentation scheint gleich aus mehreren Gründen problematisch. Ob ein Gesetz Klarheit oder Unklarheit schafft, hängt nicht davon ab, ob es in Verfassungsrang steht oder nicht, sondern von seiner legistischen Qualität. Wird ein Gesetz als Verfassungsbestimmung bezeichnet und mit Zweidrittelmehrheit vom Parlament beschlossen, steht es in Verfassungsrang. Es bedarf dann einer erneuten Zweidrittelmehrheit, um es zu ändern oder aufzuheben. Es hat dann, juristisch ausgedrückt, „erhöhte Bestandskraft“, ist also auch bei sich ändernden Mehrheitsverhältnissen schwieriger abzuändern. Weiters kann der Verfassungsgerichtshof eine in Verfassungsrang stehende Bestimmung nicht auf Übereinstimmung mit der Verfassung überprüfen und eventuell aufheben, außer wenn sie die Grundprinzipien der Verfassung (also Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Republik, usw.) betrifft. Sonst besteht kein Unterschied zu einer einfachgesetzlichen Bestimmung.

Für die angesprochene Frage heißt das: Wenn es unklar ist, ob bestimmte medizinische Tätigkeiten oder Unterlassungen als aktive Sterbehilfe zu qualifizieren sind oder nicht, dann ist es nicht von Bedeutung, ob es sich um ein einfaches Gesetz oder um ein Gesetz in Verfassungsrang handelt. Die Begründung des IöThE ist so, wie sie im Argumentarium dargestellt wird, nicht schlüssig.

Aus diesem kurzen juristischen Exkurs wird auch deutlich, warum die katholische Kirche eine Verankerung des Verbotes der Tötung auf Verlangen und der Suizidbeihilfe in der Verfassung verlangt. Dieses Verbot könnte nicht von einer einfachen Mehrheit im Parlament aufgehoben werden. Der gesetzliche Schutz der Todkranken und Sterbenden wäre damit noch fester im österreichischen Rechtssystem verankert.

Die weitere Behandlung der Beihilfe zum Suizid im Argumentarium geht ebenfalls in eine sehr zweifelhafte Richtung. „Beihilfe zum Suizid soll nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden und daher grundsätzlich verboten bleiben“, heißt es einleitend (Argumentarium S. 4, „Die evangelische Position“). Die Formulierung deutet bereits an, dass Ausnahmen vorgesehen sind. „Auch wenn Beihilfe zum Suizid grundsätzlich nicht zum ärztlichen Auftrag gehören, sind doch Fälle denkbar, in denen die Gewissensentscheidung von ÄrztInnen respektiert und ihre Mitwirkung an einem Suizid strafrechtlich nicht verfolgt werden sollte“, schreibt das IöThE wörtlich. Das Institut wünscht sich eine „offene Diskussion“ darüber. Auf Seite 6 wird das Thema erneut angesprochen. Die gesetzliche Regelung solle „für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen“, ist dort zu lesen.

Diesen Gedankengang kennen wir bereits aus der österreichischen Debatte um die Abtreibung. Aus der Indikationenregelung wurde vor mittlerweile vierzig Jahren die Fristenregelung. Abtreibung ist verboten, aber unter gewissen Umständen in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft straffrei. Sobald es Ausnahmen gegen die Unantastbarkeit des Lebens gibt, ist eine weitere Erosion des Lebensschutzes vorgezeichnet. Zunächst sollen es nur „dramatische Ausnahmefälle“ sein, bei denen doch jeder Verständnis haben müsste. Doch wer legt fest, was ein „dramatischer Ausnahmefall“ ist und was nicht? Was ist mit Fällen, die nur ein bisschen weniger dramatisch sind? Gegen eine weitere Aufweichung der Bestimmungen ist es dann schwer zu argumentieren. Es ist zu erwarten, dass der gesetzliche Schutz Schritt für Schritt ausgehöhlt wird.

Das gegenwärtige Strafrecht kann mit „dramatischen Ausnahmefällen“ durchaus umgehen. Es anerkennt Milderungsgründe, welche die Verantwortung eines Schuldigen für seine Handlung reduzieren und das Strafausmaß reduzieren. Das Vorliegen von Milderungsgründen ist für jeden Fall einzeln zu beurteilen und scheint deshalb eine Aushöhlung des Schutzes Kranker und Sterbender besser sicherstellen zu können als eine generelle Straffreistellung der Suizidbeihilfe unter bestimmten Umständen.

Die Gefahr einer weiteren Aufweichung des Lebensschutzes im Alter besteht durchaus. Einer steigenden Zahl von Pensionisten, die noch dazu immer älter werden, steht eine dank Zuwanderung etwa gleichbleibende Zahl Erwerbstätiger gegenüber. Durch die medizinischen Fortschritte und die höhere Lebenserwartung steigen die Behandlungskosten in den letzten Lebensjahren. Beide Faktoren belasten das ohnehin angespannte Budget. Hinzu kommt eine Mentalität, die dem nicht selbst ausgesuchten Leiden wenig Verständnis entgegenbringt. Die Tendenzen die hier eine Rolle spielen, können im Rahmen dieses Kommentars nur kurz angerissen werden. Sie zeigen aber, dass der Druck in Richtung einer Liberalisierung der Euthanasie angesichts dieser Umstände wohl zunehmen wird. Es wäre schön, wenn die katholische und die evangelische Kirche vereint die Stimme für einen umfassenden Schutz des Lebens erheben könnten.



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