Ich bin NICHT Charlie Hebdo!

11. Jänner 2015 in Kommentar


Die erschütternde Bluttat von Paris macht ratlos. Wie können Menschen so grausam sein? Fast genauso ratlos macht mich aber auch die Heroisierung der getöteten Redakteure und Zeichner der Zeitschrift „Charlie Hebdo“. Gastkommentar von Michael Schäfer


Paris (kath.net/Blog Summa summarum) Die erschütternde Bluttat von Paris macht ratlos. Wer die Bilder von der Erschießung eines wehrlos am Boden liegenden Polizisten gesehen hat, wird verstehen, was ich meine: Wie können Menschen so unbeschreiblich grausam sein? Wie verirrt und böse muss eine menschliche Seele sein, um eine solche Tat zu verüben und sie für einen Dienst an irgendetwas zu halten, perverserweise in diesem Fall wohl sogar für einen Dienst an einer Religion?

Fast genauso ratlos macht mich aber auch die Heroisierung der getöteten Redakteure und Zeichner der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ nicht nur in den deutschen Medien, sondern sogar in Teilen der katholischen Blogger-Szene.

Ich für meinen Teil muss es ganz klar aussprechen: „Ich bin nicht Charlie Hebdo“, sondern ich distanziere mich von diesem Blatt und seinen Machwerken.

Für einen Christen sollte es selbstverständlich sein, dass er mit den religiösen Ansichten und Gefühlen seiner Mitbürger respektvoll umgeht. Dies gilt ganz grundsätzlich und es gilt erst recht in einer Zeit, in der das Verhältnis zwischen Christen und Moslems in unserem Land, in Europa und auf der ganzen Welt nicht frei von Problemen und Spannungen ist.

Die Karikaturen von „Charlie Hebdo“ sind nicht Ausdruck eines bedingungslosen Einsatzes für die „Meinungsfreiheit“ und noch weniger können sie für sich nicht in Anspruch nehmen, der Rettung Europas vor einer „Islamisierung“ zu dienen (soviel an die Neu-Abendländer in Deutschland). Sie sind in ihrer Lust an „sexualisierter Provokation“ pubertär - viel schlimmer aber: sie sind vor allem völlig verantwortungslos (nicht umsonst nennt sich Charlie Hebdo im Untertitel ein „verantwortungsloses Journal“).

In fast allen Zeitungen wird jetzt ein Zitat von Stéphane Charbonnier abgedruckt:

Ich habe keine Angst vor Repressalien. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keine Schulden. Das klingt jetzt sicherlich ein bisschen schwülstig, aber ich sterbe lieber aufrecht, als auf Knien zu leben.

Nein, das klingt für mich nicht schwülstig, sondern eben schlicht verantwortungslos. Es ist jetzt nicht nur Stéphane Charbonnier „aufrecht gestorben“, sondern auch sein Leibwächter, ein Polizist und ein unbeteiligter Passant (alle vielleicht mit Kindern, Frauen, Autos und Schulden). Und wenn, was zu befürchten ist, die Angelegenheit Wellen schlägt, sterben vielleicht auch noch weitere Menschen. Für was? Für eine Handvoll blasphemischer Karikaturen ...

Dieser Gebrauch der Meinungsfreiheit erzeugt oder verstärkt die Probleme, gegen die er vorgibt zu kämpfen. Es sind solche Artikulationen „westlicher Kultur und Demokratie“, die den radikalen Moslems die nächste Generation an „Kämpfern“ in die Arme treibt und es sind die auf solchen Dingen fußenden islamistischen Gewalttaten, die in Europa die Vorbehalte gegen die ganz normalen, friedlichen moslemischen Mitbürger schüren.

Zur islamischen Kultur gehören Aspekte, die man - nicht nur als Christ - sehr kritisch sehen kann und muss. Im Streit um diese Dinge kann auch Polemik erforderlich sein, weil Polemik helfen kann, Probleme auf den Punkt zu bringen und Diskussionen in Ganz zu setzen, die aus einer Neigung zum „faulen Frieden“ vielfach vermieden werden. Blasphemie und Herabwürdigung der religiösen Überzeugungen und Gefühle anderer Menschen aber sind keine Polemik. Sie haben ihre Wurzel in Hass und Dummheit und sie multiplizieren Hass und Dummheit.

Daher noch einmal: Ich bete für die Opfer, ich wünsche die Bestrafung der Täter, aber ich bin NICHT „Charlie Hebdo“!

Dr. phil. Michael Schäfer (Foto) war Mitarbeiter am Romano-Guardini-Lehrstuhl der LMU München und arbeitet heute in der Geschäftsführung einer in Stuttgart ansässigen, international tätigen Unternehmensberatung. Er führt den Blog Summa summarum.

Spiegel-TV: Anschlag auf ´Charlie Hebdo´


Foto Schäfer (c) Michael Schäfer


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