Theologe Lütz kritisiert Gesundheitswahn

5. Jänner 2015 in Chronik


Deutscher Arzt und Theologe in "Profil"-Interview: "Gesundheitsreligion" übernimmt immer mehr Funktion der traditionellen Glaubensgemeinschaften


Wien (kath.net/KAP) Der deutsche katholische Theologe, Bestseller-Autor und Arzt Manfred Lütz (Foto) warnt vor einem übertriebenen Gesundheits- und Fitness-Wahn, der als "Gesundheitsreligion" immer mehr den Glauben an Gott ablöse. "Wenn Menschen aus Angst vor dem Tod nur noch mit hängender Zunge durch die Wälder rennen und ein Leben aus Verzicht und Kasteiung führen, wenn sie nur noch an sich selbst und ihre Gesundheit denken, dann wird es eiskalt in unserer Gesellschaft, denn die Gesundheitsreligion ist total egoistisch", so Lütz in einem "Profil"-Interview (aktuelle Ausgabe).

Das religiöse Vakuum, das zurzeit in der Gesellschaft besteht, werde immer mehr mit einer Art Gesundheitsreligion ausgefüllt. 2000 habe die Zahl der Fitnessstudiobesucher in Deutschland 4,9 Millionen erreicht, während die Zahl der katholischen Sonntagsgottesdienstbesucher auf 4,2 Millionen sank. Inzwischen, so Lütz, seien alle religiösen Phänomene im Gesundheitswesen angekommen: "Wir haben Ärzte als Halbgötter, Diätbewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen übers Land, welche in ihrem Ernst die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters bei Weitem übertreffen. Wir erleben den bruchlosen Übergang von der katholischen Prozessionstradition in die Chefarztvisite und blasphemisch können sie inzwischen nur noch im Bereich der Gesundheitsreligion sein."

Bedenklich stimmt den Autor auch ein damit verbundenes "falsches Verständnis von Gesundheit". Wenn die Weltgesundheitsorganisation Gesundheit als "völlig körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden" definiere, sei nach dieser Definition niemand wirklich gesund. Damit einher gehe eine "tiefe Veränderung" im Menschenbild. Wenn der gesunde Mensch der eigentliche Mensch ist, "dann ist der kranke, vor allem der unheilbar kranke, der behinderte, ein Mensch zweiter Klasse". Wer dagegen nicht in der Gesundheit seine Religion finde, sondern seine seriöse religiöse Grundlage habe, könne gelassener mit dem Leben und auch mit seiner Gesundheit umgehen.

Im Hintergrund der neuen Bewegung sieht der Theologe den Wunsch des Menschen nach ewigem Leben, "den viele Menschen heute nicht mehr in den Altreligionen ausleben, sondern in der Gesundheitsreligion". Was Menschen früher für "den lieben Gott" getan hätten - Wallfahrten, Fasten, Gottesdienst usw. - täten sie heute für die Gesundheit.

Gegen einen verantwortungsvollen Umgang mit Gesundheit richte sich seine Kritik aber nicht, so Lütz: "Ich wehre mich aber gegen die totalitären Zumutungen der Gesundheitsreligion. Wir sind Sklaven der Gesundheitsreligion" und das, obwohl die Gesundheit nur in etwa 30 Prozent von Umwelt und Lebensstil beeinflusst sei und der Rest von der Genetik abhänge. Und dennoch gebe es immer mehr Menschen, "die gar nicht mehr richtig leben, sondern nur noch vorbeugen". Schließlich gehe es nicht nur um ein langes sondern um ein erfülltes Leben. Lütz: "Wir haben von unserer Geburt bis zu unserem Tod nur eine relativ kurze Zeit zu leben. Und da ist es doch schade, dass für manche Menschen gilt: Um den Tod zu vermeiden, nehmen sie sich das Leben, indem sie unwiederholbare Lebenszeit in Fitnessstudios und Wellnesseinrichtungen verbringen."

Alternativ schlägt der Theologe das Streben nach einem guten Maß vor.

In Österreich sei die Situation noch einmal anders als in Deutschland, das mit seinem "preußischen Pflichtbewusstsein" einer "tyrannischen Gesundheitsreligion" mehr entgegen komme. "Da lobe ich mir doch einen gewissen liberalen österreichischen Schlendrian, der mehr Lust am Leben zulässt", so Lütz.

Copyright 2015 Katholische Presseagentur KATHPRESS, Wien, Österreich


© 2015 www.kath.net