Religion als Wurzel von Fanatismus und Gewalt?

2. Jänner 2015 in Kommentar


Erwiderung auf Thesen des „Spiegel“-Autors Stefan Berg. Gastkommentar von Pfr. Stephan Spiegel


Senden (kath.net) Was Stefan Berg in der Weihnachtsausgabe 2014 des „Spiegel“ in seinem Essay „Die Glaubensfrage“ schreibt, ist bemerkenswert. Papst Franziskus wird als Person respektvoll gewürdigt, seine auf Papst Benedikt fußende Aussage vor dem Europaparlament, dass Gottvergessenheit im Gegensatz zur Verherrlichung Gottes Gewalt erzeuge, dagegen zutiefst in Zweifel gezogen. Gerade die Gottesverehrung führe nach Berg zu Gewaltexzessen, wie die Geschichte und die Gegenwart lehrten. Daher sei der Glaube des Einzelnen, der Kraft aus der Transzendenz schenke, ein Segen, Religion hingegen sei Wurzel von Fanatismus und Gewalt. Daraus folge: Glaubensfreiheit ja, Religionsfreiheit nur eingeschränkt. Berg fordert auf, sich mit dem Thema weiter zu beschäftigen, um einen „richtigen Impfstoff“ gegen die Gewalt zu finden.

Nun, ich bin kein Doktor oder Professor der Philosophie oder Theologie. Aber als Pfarrer muss ich davon ausgehen, dass in den Weihnachtsferien doch der ein oder andere aus meiner Pfarrei den Spiegel gelesen hat, und damit mir anvertraute Gläubige mit den Gedanken dieses Essays konfrontiert worden sind. Und so verspüre ich eine gewisse Lust, darauf zu antworten. Das ist in diesem Fall anspruchsvoller als bei irgendwelchen ideologischen Polemiken. Denn Berg würdigt den Papst, er würdigt den Wert des Glaubens, und er hat nicht Unrecht, wenn er darauf verweist, das zweitausend Jahre christliches Abendland nicht eine Epoche andauernden Friedens waren. Wenn er auffordert, einen wirksamen Impfstoff zu suchen, muss man indes sehr sorgfältig an der Diagnose arbeiten, um dann eine richtige Therapie zu entwickeln.

Bergs Diagnose lautet: Religion beanspruche Wahrheitsgewissheit und fordere deshalb ein Mehr an Macht. Die Dynamik von Hierarchie, Gruppe und Anhängerschaft beinhalte ein großes Gefahrenpotential.

In der Tat ist es für jeden, der religiös in einem Amt mit Machtbefugnissen oder in einer Stellung mit Einfluss auf andere sich befindet, eine große Verantwortung, diese Position nicht zu missbrauchen, und sei es, dass man eigene Kleinkariertheiten den Anvertrauten überstülpt und ohne es zu merken diesen damit das Leben schwer macht.

Dennoch scheint mir Bergs Diagnose unvollständig zu sein. Denn die von ihm beschriebene Gruppendynamik aus Identifikation, die zu Fanatismus neigt, gibt es nicht nur in der Religion. Wer das nicht glaubt, möge sich einmal mit einem Werder-Bremen-Trikot in die Bayern-München-Fankurve stellen. Und trotzdem glaube ich nicht, dass Herr Berg nach so einer Erfahrung die Anregung geben würde, individuelle Sportausübung ist segensreich, Vereinssport dürfe man aber wegen Fanatismusgefahr nur beschränkt zulassen.

In Wirklichkeit reicht die Problematik ganz tief in die menschliche Psyche, und zwar in Bereiche, die im Vorfeld des Glaubens und der Religion sich befinden. In den Tiefenschichten der menschlichen Seele gibt es einen Magmakern, der bei entsprechenden Konstellationen sich in Grausamkeit, Fanatismus und Bosheit entladen kann. Theologisch hängt das für uns mit der Erbsünde zusammen.

Die einzige Therapie kann nur lauten: Die Liebe Jesu Christi, mit der Er sich für uns geopfert hat, um Sünde und Tod zu besiegen und uns zu erlösen. Die Päpste rufen in ihrer Verkündigung nun gerade dazu auf, in einer von der Vernunft erleuchteten und der Liebe geprägten Weise Jesus nachzufolgen. Die Warnungen von Berg sind so hilfreich wie die Warnung vor der Feuerwehr bei einem Dachstuhlbrand.

Allerdings müssen wir als Christen und Kirche uns den schmerzlichen und peinlichen Vorwurf gefallen lassen, dass die lange Zeit christlich-abendländischer Kultur oft und in vielen Fällen leider nicht dazu geführt hat, dass die „Therapie“ richtig wirken konnte. Die Verbindung von Macht, irdischen Interessen und dem erbsündlich geprägten Magmakern in den Tiefenschichten unserer Seele haben oft zu schlimmen Geschehnissen geführt, weil das Christliche nur der kulturelle oder traditionelle Überbau war. Daher trifft entsprechende Kritik uns ziemlich hart. Für die Zukunft kann es nur heißen: Die päpstliche Verkündigung annehmen und es im eigenen Leben versuchen besser zu machen.

Stephan Spiegel ist Pfarrer der Pfarrei St. Josef der Arbeiter in Senden/Bistum Augsburg

Geschenk von Papst Franziskus an das Europaparlament/Straßburg: Mosaik der Friedenstaube


Papst Franziskus - REDE vor dem EU-PARLAMENT - 25. November 2014


Foto (c) kath.net/Petra Lorleberg


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