Marx: 'Juden und Christen sollen biblischer Botschaft Stimme geben'

12. November 2014 in Chronik


Münchner Kardinal: Dabei gehe es um zentrale Begriffe „wie Menschwürde, Person, Gewissen, Autonomie, Freiheit oder Gleichheit“, die ohne die biblische Tradition nicht zu verstehen seien


München (kath.net/pem) Nach Ansicht von Reinhard Kardinal Marx (Foto) ist es die gemeinsame Aufgabe von Juden und Christen, „der biblischen Botschaft eine Stimme zu geben“ und diese Botschaft „in die gesellschaftlichen und kulturellen Debatten einzubringen“. Es gehe dabei um zentrale Begriffe „wie Menschwürde, Person, Gewissen, Autonomie, Freiheit oder Gleichheit“, die ohne die biblische Tradition nicht zu verstehen seien: „Die biblische Revolution hat eine kulturgeschichtliche Revolution eingeleitet, die bis in unsere Gegenwart wirksam ist“, erklärte der Erzbischof von München und Freising in seinem Vortrag „Die Revolution der biblischen Botschaft“ am Montagabend, 10. November, in München bei der 8. Rabbiner-Brandt-Vorlesung des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Kardinal Marx erinnerte in seinem Vortrag an die Reichspogromnacht am 9. November vor 76 Jahren und nannte den „Nationalsozialismus den wohl radikalsten Gegenentwurf zur biblischen Botschaft“. Marx verwies darauf, „dass der christliche Glaube nicht im altgermanischen oder antiken Mythos wurzelt, sondern in den hebräischen Schriften“, und dass dementsprechend der Antisemitismus nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstelle, sondern auch die christliche Identität zerstöre. So zähle etwa die Grunderfahrung des Exodus zu den Grundlagen von Judentum und Christentum und gehöre bis heute zu den politisch einflussreichen Erzählungen Europas und Nordamerikas, führte Marx aus: „Die Geschichte von Knechtschaft und Freiheit war und ist in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ebenso präsent wie in den katholischen Basisgemeinden Lateinamerikas.“

Das Revolutionäre der biblischen Botschaft, das sich in einem „neuen Verständnis von Gott, Menschen und Welt“ ausdrücke, bestehe unter anderem darin, dass der „Gott der Bibel ein Gott der Freiheit“ sei, sagte der Kardinal. Freiheit im biblischen Sinne bedeute aber nicht nur Freiheit von Unterdrückung und Knechtschaft, sondern auch „positive Freiheit, die Freiheit zur Gestaltung eines humanen Zusammenlebens“. Dies gelte für die jüdische Gemeinschaft heute ebenso wie für die Kirche und auch das staatliche Zusammenleben in einer Demokratie: „Bis heute ist der Glaube an die biblische Botschaft eine wichtige Quelle bürgerschaftlichen Engagements in unseren Demokratien.“

Bezugnehmend auf den Auszug Israels aus Ägypten unterstrich Marx, die Gerechtigkeit der Bibel sei „eine Gerechtigkeit aus der Perspektive derer, die wissen, was es heißt, arm, ausgegrenzt und unterdrückt zu sein“. Gottesdienst und gerechtes Handeln seien untrennbar miteinander verbunden: „Gottesdienst ohne Gerechtigkeit ist Götzendienst“, sagte Marx. Weder Macht noch Gewalt ließen sich von diesem Gottesverständnis herleiten: „Politische Machtausübung im Namen Gottes ist biblisch betrachtet ein usurpatorischer Akt, der Gott für menschliche Interessen instrumentalisiert.“

Schließlich hob Marx die „Gottesebenbildlichkeit aller Menschen“ als revolutionäre Botschaft der Bibel hervor, die „eine, wenn nicht die entscheidende, religiöse und kulturgeschichtliche Wurzel der modernen Idee der Menschenrechte“ darstelle. Diesem Universalismus entspringe auch „die universalistische Ethik der Moderne, die sich in internationalen Menschenrechtserklärungen, im Völkerrecht und in der Einrichtung internationaler Gerichtshöfe manifestiert“.

Foto Kardinal Marx (c) Erzbistum München und Freising


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