Kirche als Licht der Völker

14. November 2014 in Deutschland


„Die katholische Kirche in Deutschland durchlebt gegenwärtig eine ihrer schwersten Krisen. Die innerkirchlichen Richtungskämpfe nehmen zu“, „Teilnahme am Gottesdienst der Kirche ist seit Jahrzehnten rückläufig“. Von Bischof Heinz Josef Algermissen


Fulda (kath.net/Bonifatiusbote) Am kommenden Freitag vor 50 Jahren verabschiedeten die Bischöfe auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Konstitution über die Kirche, die dann von Papst Paul VI. öffentlich bekannt gemacht wurde. Diese Konstitution beginnt mit den Worten „Lumen Gentium“, Licht der Völker. Damit ist selbstverständlich Jesus Christus gemeint, dessen Herrlichkeit auf dem Antlitz der Kirche erscheint (vgl. LG 1). Er allein ist der Herr der Kirche, kein anderer.

In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“, Freude des Evangeliums“, hat Papst Franziskus Ende 2013 Wege für die Kirche in den kommenden Jahren aufgezeigt. Das Schreiben ist ein flammendes Plädoyer für eine „neue Etappe der Evangelisierung“ (EG Nr. 1), einen missionarischen Aufbruch der Kirche im Geist des Konzils. Ein solcher Aufbruch kann einzig aus dem Evangelium Christi heraus erfolgen. Nur wer Christus begegnet ist, kann ihn Menschen nahe bringen. Zustimmend zitiert der Hl. Vater seinen Vorgänger Benedikt XVI. In dessen Enzyklika „Deus caritas est“ (2005) schreibt der emeritierte Papst: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit eine entscheidende Richtung gibt“ (Nr. 217).

Aus der Begegnung mit Christus können wir einen neuen Blick auf die Kirche gewinnen, die allzu oft nur einseitig als Institution wahrgenommen wird. Grundlegend für das Kirchenverständnis des Konzils ist die Bestimmung der Kirche als Sakrament, als Mysterium und Zeichen. Die Kirche ist „in Christus gleichsam das Sakrament, d. h. Zeichen und Werkzeug für die innerste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Die Kirche ist ein Geheimnis und muss als solche eine gelebte und erfahrbare Wirklichkeit sein. Allein auf der Ebene des soziologisch Beschreibbaren können wir das Wesen und die Sendung der Kirche nicht erfassen. Sie ist eine „Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe“, die als „sichtbare Versammlung“ und „geistliche Gemeinschaft“ existiert (LG 8).

Dies gilt auch von der Kirche als pilgerndes Gottesvolk (LG 9-17). Sie ist Volk Gottes vom Leib Christi her (LG 7). Das Haupt der Kirche ist Christus, der durch seinen Geist unter uns gegenwärtig ist: in seinem Wort, seinen Sakramenten und im Nächsten, der unsere Hilfe braucht (LG 7 und 9).

Ich möchte auf meinen diesjährigen Fastenhirtenbrief zurückkommen und noch einmal erinnern: Die katholische Kirche in Deutschland durchlebt gegenwärtig eine ihrer schwersten Krisen. Die innerkirchlichen Richtungskämpfe nehmen zu, und es zeigen sich Struktur- und Kommunikationsdefizite. Der Missbrauchsskandal ist noch nicht aufgearbeitet. Neu ist die fortwährende Debatte um die Transparenz der kirchlichen Finanzen. Die Glaubwürdigkeit der Kirche hat infolgedessen in den letzten Jahren schwer gelitten. Doch täuschen wir uns nicht! Die Kirche hat nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Krise geht viel tiefer. Die Kirche ist mit einer dramatischen Glaubenskrise konfrontiert: Die Teilnahme am Gottesdienst der Kirche ist seit Jahrzehnten rückläufig, der Schwund ist eklatant. Die Feste des Kirchenjahres sind vielen Menschen weithin unbekannt. Nur noch wenige sind mit der christlichen Glaubenslehre vertraut. Statt einer bewahrenden Pastoral brauchen wir, wie Papst Franziskus sagt, eine missionarische Pastoral (Evangelii gaudium Nr. 15). Will die Kirche in unserem Land eine lebendige Zukunft haben, muss sie viel stärker evangelisierend tätig sein. Sie darf sich nicht mit dem zufrieden geben, was an Christsein und Kirchesein in unserer Gesellschaft eben noch anzutreffen ist.

Das Pontifikat unseres Papstes Franziskus ist für mich eine deutliche Herausforderung für unsere bürokratisierte Wohlstandskirche in Deutschland. Mit Recht warnt der Hl. Vater vor einer Verweltlichung der Kirche (vgl. Evangelii gaudium Nr. 93-97). Wer im Glauben nicht fest verwurzelt ist, der steht auch leicht in der Gefahr, sich sehr schnell säkularen Lebensstilen anzupassen. Mit dem von Johannes XXIII. eingeleiteten aggiornamento war aber nicht eine unterschiedslose Anpassung der Kirche an die geschaffenen Fakten der Welt gemeint, sondern eine Verheutigung der Kirche, um die Klopfzeichen des Herrn in dieser Welt und die Zeichen der Zeit richtig deuten zu können.
Eine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt, entfaltet keine Strahlkraft. Nur wenn wir es schaffen, aus unseren Strukturen, in denen wir uns wohnlich eingerichtet haben, aufzubrechen, können wir missionarische und evangelisierende Kirche sein. Christus zuerst und in der Mitte: Das muss die Maxime unseres Handelns werden.

Bischof Algermissen / Fulda über den Heiligen Bonifatius, den Glauben, die Nähe zum Petrusamt und die dringend nötige Neuevangelisierung



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