Das Vertrauen in die Wirklichkeit stärken

11. November 2014 in Chronik


Tagung über die Philosophie Robert Spaemanns an der Hochschule St. Pölten. Gastbeitrag von Veit Neumann


St. Pölten (kath.net) „Die Person – ihr Selbstsein und ihr Handeln“ lautete der Titel einer Fachtagung zur Philosophie des renommierten katholischen Philosophen Robert Spaemann (Foto), die am vergangenen Freitag und Samstag an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten stattgefunden hat. Ziel der Veranstaltung war es, grundlegende Aussagen Spaemanns zur Person herauszuarbeiten, um sie mit ihren zahlreichen Infragestellungen heute zu konfrontieren. Mitveranstalter der Tagung, an der zahlreiche Studenten sowie Gäste aus Niederösterreich teilnahmen, war der Verein der Freunde der Hochschule.

Zu Beginn der Tagung nannte Rektor Professor Reinhard Knittel Spaemann einen „konsequenten und der Wahrheit verpflichteten Denker, getragen vom breiten Strom der griechisch-abendländischen Tradition“. Er sei ein „wirklich Großer der deutschen Philosophie“, der jenseits eines „Urwaldes komplizierter Fachtermini“ immer zum Kern der Sache führe.

Professor Thomas Stark (St. Pölten) bezeichnete Spaemann als „einen der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart“ und nannte ihn im selben Atemzug wie Jürgen Habermas. Robert Spaemann sei außerdem „eine der herausragenden katholischen Persönlichkeiten unserer Zeit“. Die unaufgebbare Verbindung von Glaube und Vernunft sei der „Schwerpunkt, wenn nicht gar die Achse“ seines philosophischen Wirkens. Der größte Charme am Christentum sei es im Übrigen, so Professor Stark, „dass es in höchstem Grade vernünftig ist“. Spaemann sei ein entschiedener Verteidiger der Wirklichkeit gegen den Konstruktivismus. Bei der Verteidigung des Eigen-rechts der Wirklichkeit sei er nicht naiv, sondern ein Skeptiker, allerdings kein Skeptizist.

Professor Josef Kreiml, Fundamentaltheologe und Prorektor der Hochschule, verwies auf die Tatsache, dass Robert Spaemann nicht apodiktisch auf Positionen verharre, sondern stets das Gegenargument hören wolle, um sich gegebenenfalls vor dem stär-keren Argument zu beugen. Professor Spaemann denke die Vernunft wie auch das Denken als im „Unvordenklichen“ gegründet. Der philosophische Gottesbegriff selbst gründe dem Philosophen zufolge im Unvordenklichen. Naive Wissenschaft dagegen glaube, etwas sei zu verstehen wie es ist, wenn allein die Bedingungen seines Entstehens verstanden wurden. Dagegen bedeute glauben, dass Gott existiert, glauben, dass nicht Gott unsere Idee ist, sondern dass wir seine Idee sind. Spaemann wehre der Aufteilung der Philosophie in unzusammenhängende Sektoren und ermögliche den Blick auf den Horizont des Ganzen der Wirklichkeit, indem er sie unter den Gedanken des Absoluten stellt. Obendrein verwies Kreiml auf die Freundschaft Spaemanns mit Joseph Ratzinger, die sich zum Beispiel in der Widmung von Büchern zeigt.

Der Regensburger Professor Rolf Schönberger, Schüler Robert Spaemanns, sprach über „Sein und Bedeutung“ in der Philosophie seines Lehrers. Demnach könne die Evolutionstheorie die Entstehung des menschlichen Bewusstseins nicht erklären. Das Bewusstsein entstehe nicht aus einem höheren Komplexitätsgrad der Entwicklung, sondern aus dem Streben des Menschen, das ihm als Geschöpf mitgegeben ist. Die eigene Natürlichkeit sei für den Menschen nur dann nicht tödlich, wenn die Schöpfung aus Gott hervorgeht. Somit kann auch der Dualismus aus Natur und Vernunft überwunden werden, der an sich den Verzicht auf das Verstehen bedeutet.

Akademischer Direktor Helmut Müller von der Universität Koblenz-Landau, der wie Rolf Schönberger in der akademischen Linie Robert Spaemanns steht, erinnerte an dessen maßgeblichen Gedanken, dass die Philosophie die Aufgabe hat, das Vertrauen in die Wirklichkeit zu stärken. Für Spaemann sei die problematische neuzeitliche Analogie von Sein und Bewusstsein vor allem durch den Begriff des Lebens vermittelbar. In diesem Sinne begegne im Personsein das Wirkliche in der Weise von Nähe und Distanz.

Auch der Vortrag von Professor Michael Stickelbroeck, Dogmatiker an der Hoch-schule, war geeignet, anhand der Philosophie Robert Spaemanns angemessene Antworten auf die Infragestellung des Personseins in erheblichen Teilen der Wissenschaft heute zu finden. Stickelbroeck sprach über „Das cerebrale Subjekt. Anfragen an eine Neurophilosophie“. Maßgebliche Tendenzen der Hirnforschung sind dem-nach an der Dekonstruktion der Person beteiligt, indem behauptet wird, alle geistigen Zustände des Menschen seien komplett vom Zustand des Gehirns bestimmt. Überhaupt sei hier die Tendenz vorherrschend, die Person auf ihr Gehirn zu reduzieren und das Gehirn gleichzeitig zu personifizieren. Dies weise in die Richtung eines un-eingeschränkten Determinismus. Eine solche gegen den christlichen Personbegriff gerichtete Forschung erhalte erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit, da sie bei vielen Menschen Hoffnungen auf neue Heilungsmöglichkeiten eröffne. Als ihr Maßstab gilt, so Professor Stickelbroeck, das „Brainhood“ („Gehirnheit“). Der Dogmatiker stellte den einsichtigen Zusammenhang dieser Sicht des Menschen mit der Sicht des Menschen bei Descartes her, in dessen monistischem Materialismus der Geist allein als „ein Gespenst in der Körpermaschine mit Steuerungsfunktion“ erscheine. Diesen antipersonalistischen Tendenzen in der Wissenschaft im Sinne eines reduktiven Physikalismus habe Robert Spaemann entgegengehalten, dass ihnen die „Dimension einer vernünftigen Allgemeinheit“ fehle: „Wenn es nur um die Physik geht, geht es eigentlich um gar nichts. Der Mensch streicht sich einfach durch.“ Außerdem stehen mentale Akte nicht einfach für sich, sondern sind stets auf Handlungen hin ausgerichtet und lassen sich erst von diesen Handlungen her wesentlich bestimmen. Wer die Intentionalität der Handlungen übersieht, der komme nicht an die Spezifik der Dimension des Geistes heran. Stickelbroeck erinnerte an zentrale Aussagen Spaemanns, wonach eine Person überhaupt nicht begrifflich definiert werden kann. Ihrem Sein könne man vielmehr nur durch Anerkennung begegnen. Die Seele sei das Formprinzip, das den Körper beseele. Nur die Person könne sich im Gegensatz zu einer Maschine zu dem verhalten, was sie ist. Auch habe nur sie die Fähigkeit, sich zu Hand-lungen in der Vergangenheit zu positionieren. Das sei die Grundlage etwa für die Möglichkeit, zu verzeihen.

Professor Clemens Breuer, der in St. Pölten Sozialethik lehrt, sprach schließlich über die Bedeutung der Moraltheologie im Rahmen des philosophischen Denkens Spaemanns. Im Gespräch mit der Moraltheologie verstehe sich der Philosoph als gleichberechtigter Partner, auch wenn er moralphilosophische Gedanken vorwegschickt. Professor Breuer erinnerte an die Kritik des Konzepts der „autonomen Moral“ durch Spaemann. In der Enzyklika Johannes Pauls II. „Veritatis splendor“ von 1993, die unter der Federführung des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger entstand, wurde die Zurückweisung der autonomen Moral bestätigt. Auch wenn Robert Spaemann den australischen Philosophen Peter Singer nur sporadisch erwähnt, so Breuer, habe er doch in vielen Äußerungen dessen gegen die Menschlichkeit gerichteten Theorien widersprochen. Auch habe Spaemann mit seinen moralphilosophischen Gedanken einen erheblichen Einfluss gehabt auf den Ausstieg der katholischen Kirche in Deutschland aus dem System der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung mit der Ausstellung des Scheines, der zu einer straffreien Abtreibung berechtigt.

Zusammenfassend stellten die Teilnehmer der Tagung fest, dass die Philosophie Robert Spaemanns gerade in einer Zeit der Infragestellung des Personseins des Menschen wie auch seines Lebensrechtes nichts an Aktualität eingebüßt hat. Bereits zuvor hatte Gerhard Bonelli, Präsident des Vereins der Freunde der Hochschule, den bemerkenswerten Umgang Spaemanns mit den Gottesbeweisen in seiner Philosophie ansprechend gewürdigt.

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