«Das ganze Arsenal des Antijudaismus»

11. November 2014 in Chronik


Berliner Tagung über Luther und die Juden. Von Thomas Klatt (KNA)


Berlin (kath.net/KNA) Das Verhältnis Martin Luthers zu den Juden ist ein zwiespältiges. Bekannt sind zahlreiche antisemitische Äußerungen des Reformators. Daneben gibt es aber auch eine judenfreundliche Seite. Eine Tagung der Evangelischen Akademie Berlin ging am Sonntag und Montag der Frage nach Luther und seinem Verhältnis zu den Juden nach.

Martin Jung, Professor für Historische Theologie an der Universität Osnabrück, verwies darauf, dass die Wirkungsgeschichte der antijüdischen Schriften Luthers bis heute strittig sei. Dass Luther aber gegen Juden vorgegangen sei, sei hingegen unstrittig. Obwohl die heutige Forschung davon ausgehe, dass manche Predigten des Theologen im Nachhinein sprachlich geglättet wurden, seien sie bis heute noch schockierend, erklärt Jung: «Es findet sich bei Luther das ganze Arsenal des mittelalterlichen Antijudaismus, die Brunnenvergiftung, der Ritualmord, Christusfeindschaft, Enterbungstheorie, der Wuchervorwurf, geistliche Blindheit, Verstockung, Christuslästerungen, die Diasporaexistenz als Gottesstrafe, Hochmut, der Kollektivschuldgedanke, die Judensau und die Saujuden.»

Jung berichtete, dass der Reformator seinen «Treuen» die Ratschläge gegeben habe, Synagogen wie auch Wohnhäuser von Juden zu zerstören, ihre Bücher zu vernichten, ihre Gottesdienste zu verbieten, Rabbinern ein Lehrverbot zu erteilen und zumindest die jungen Juden in Zwangsarbeit zu nehmen. Überhaupt sollten Juden aus deutschen Landen vertrieben werden, so der Kirchenhistoriker.

Demgegenüber steht der Martin Luther, der den Juden freundlich zugewandt war, betonte der Neutestamentler und langjährige Leiter des Berliner Instituts Kirche und Judentum, Peter von der Osten-Sacken. Luther habe in seiner Hauptschrift «Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei» von 1523 den Juden als Menschen quasi «entdeckt». Nur Narren würden Lügen über Juden verbreiten, ist dort zu lesen. Den Juden solle man vielmehr mit Nächstenliebe begegnen.

Wie sich dieser extreme Sinneswandel erklären lässt, ist bis heute allerdings strittig. Eine Theorie besage, dass Luther stets die Bekehrung der Juden zu Jesus Christus erwartet habe, so von der Osten-Sacken. Aus Enttäuschung habe er sich in seinen späten Lebensjahren gegen die Juden gewendet. Auch soll er negative Erfahrungen mit den Hebräisch-Lehrern in Wittenberg gemacht haben, die in der Regel konvertierte Juden gewesen seien. Andere Wissenschaftler sehen einen antisemitischen Einfluss durch Luthers Ehefrau Katharina von Bora, die sich bei Juden verschuldet haben soll.

Ähnlich kontrovers wie Luthers Aussagen ist so auch seine Wirkungsgeschichte. So habe schon der Züricher Reformator Heinrich Bullinger Luthers Judenschriften von 1543 scharf kritisiert. Und der Rat der lutherischen Stadt Straßburg habe den Druck dieser Schriften wegen seiner Judenfeindschaft verboten, berichtete Jung. In anderen Gebieten, etwa im evangelischen Braunschweig oder Württemberg, habe Luthers Antijudaismus dagegen mehr Gehör gefunden.

Allerdings dürfe man die Diskussion um Judenfeindlichkeit in jener Zeit nicht auf den prominenten Reformator reduzieren, warnte die Berliner Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg. Antijüdische Äußerungen fänden sich ebenso bei anderen Reformatoren wie Martin Bucer (1491-1551) und Johannes Calvin (1509-1564), ebenso wie beim gegenreformatorische Theologen Johannes Eck (1486-1543) oder dem Humanisten Thomas Morus (1478-1535).

Vor allem müsse man Luther aus einer rein deutschen Engführung herausholen, mahnte Wendebourg. Während der Reformator von den Nationalsozialisten für ihren Antisemitismus geradezu instrumentalisiert worden sei, habe man Luther etwa in Skandinavien genau gegenteilig verstanden. «In Norwegen etwa hat die dortige Staatskirche sich mit Berufung auf Luther vor die Juden gestellt, als das nationalsozialistische Besatzungsregime begann, die Juden im Land zu verfolgen», erinnerte die Kirchenhistorikerin.

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