Kardinal Marx: Danke denen, die zum Fall der Mauer beigetragen haben

10. November 2014 in Chronik


„Jenen Männern und Frauen, die in der DDR als Oppositionelle und Dissidenten gewirkt haben, muss heute besonderer Dank gesagt werden.“


Berlin (kath.net/dbk) Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat am Wochenende in Berlin den Einsatz der Kirchen beim Zusammenbruch der DDR gewürdigt. Anlässlich eines von der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin veranstalteten Symposiums unter dem Leitwort „25 Jahre Berliner Mauerfall. Beiträge der katholischen Kirche in Deutschland. Eine Ermutigung zum Atmen mit beiden Lungenflügeln“, sagte Kardinal Marx: „Die Kirchen in der DDR waren gezwungen, in eigener Verantwortung ihren Weg zu gehen: Zu keiner Zeit waren sie fremdbestimmt oder ferngelenkt aus der Bundesrepublik. Vielmehr hat wohl gerade der repressive Charakter der DDR-Kirchenpolitik dazu beigetragen, dass sich unter Protestanten wie Katholiken knorrige Persönlichkeiten herausgebildet haben, die die Position ihrer Kirchen gegenüber dem Staat behaupteten.“

Mit rund 300 Teilnehmern und Diskussionsteilnehmern aus dem In- und Ausland lenkte das Symposium der Bischofskonferenz den Blick auf den Mauerfall und den damit verbundenen europäischen Kontext. Kardinal Marx hob hervor, dass zum Fall der Mauer, zum Sturz der SED-Diktatur und damit auch zur Möglichkeit der Wiedervereinigung verschiedene Kräfte beigetragen hätten. Dazu zählten neben der desolaten Verfassung der Wirtschaft in der DDR, die autoritäre und repressive Politik der Staatspartei, eine Staats- und Gesellschaftsordnung, die keinen Respekt vor den Freiheitsrechten der Bürger kannte und die fehlende demokratische Legitimation der Regierung. „Es waren also viele Faktoren, die – mit dem Rückenwind von Perestroika und Glasnost aus der Sowjetunion – den 9. November 1989 möglich gemacht haben. Aber nichts geschieht von selbst. Geschichte ist nicht determiniert. Und das heißt: Es bedurfte, um den geschichtlichen Umschwung herbeizuführen, derjenigen, die sich konkret und aktiv für die Überwindung der Mauer und eines Systems der Unfreiheit engagiert haben., Jenen Männern und Frauen, die in der DDR als Oppositionelle und Dissidenten gewirkt haben, muss deshalb heute besonderer Dank gesagt werden. Und auch all jenen, die im revolutionären Herbst 1989 auf die Straße gegangen sind. Sie haben Mut gebraucht, weil sie nicht wissen konnten, wie die Führung auf die Proteste reagieren würde“, so Kardinal Marx.

In Deutschland sei es vor allem die evangelische Kirche gewesen, „der große Verdienste für den gelungenen Wandel zukommen. Zum einen, indem sie Schutzräume für die Opposition eröffnet hat. Zum anderen, indem sie das mühsame Geschäft der Moderation zwischen den Aufbegehrenden und der Staatsmacht auf sich nahm. Und zum dritten, indem sie einen Geist des friedlichen Austrags der Konflikte zu evozieren vermochte“, sagte Kardinal Marx. Er fügte hinzu: „Man mag, wie stets nach Revolutionen, auch Kritisches über das Verhalten mancher Kirchenleute in der Diktatur sagen. Und es ist gut und wichtig, dass die Aufarbeitung nach dem Untergang des Kommunismus auch die Rolle der Kirchen intensiv beleuchtet hat. Aber das historische Verdienst an der friedlichen Revolution vermag – so scheint mir – durch nichts infrage gestellt zu werden, was im Nachhinein an problematischem Verhalten und an Versagen zutage gefördert wurde.“ Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz würdigte die Rolle der katholischen Kirche in Polen, die über eine „längere Zeitspanne als manifeste Oppositionskraft in Erscheinung getreten ist. Um dies richtig einzuordnen, darf aber nicht übersehen werden, dass die polnische Kirche eine historisch verbürgte Verkörperung des nationalen Willens nach Unabhängigkeit und Freiheit darstellte, wie es sie so in anderen Ländern mit anderer Geschichte nicht geben konnte.“

Kardinal Marx hob hervor, dass es trotz der Teilung Deutschlands immer eine lebendige Verbindung zwischen den Kirchen im Westen und im Osten gegeben habe: „Der Eiserne Vorhang war nie so undurchlässig, dass nicht doch irgendeine Art von Austausch, sei es von materiellen Dingen, sei es in menschlicher, intellektueller und geistlicher Art stattgefunden hätte.“ Der Untertitel des Symposiums in Berlin, „Eine Ermutigung zum Atmen mit beiden Lungenflügeln“, gehe auf ein Wort von Papst Johannes Paul II. zurück, mit dem er deutlich machen wollte, „dass das neu vereinte Europa lernen möge, mit beiden Lungenflügeln zu atmen. Damit ist auf die großen Kulturräume der europäischen Zivilisation angespielt, die gemeinsam Europa ausmachen: den Westen und den Osten, die lateinisch geprägten Länder und die östlichen, vor allem durch die Orthodoxie bestimmten Regionen. In diesem Wort des Papstes wird die Differenzierung Europas wahrgenommen und zur Sprache gebracht. Und zugleich wird der Zusammenhang der Kulturräume ins Wort gefasst. Wie die Lungenflügel in einem gesunden Körper zusammenwirken, so sollen – und dies ist ja zunächst einmal eine Hoffnung – der Westen und die östlichen Traditionen in eine Interaktion treten“, so Kardinal Marx. Dazu trage auch diese Veranstaltung in Berlin bei: den Fall der Mauer in einem europäischen Kontext zu interpretieren und mit den Gesprächspartnern aus dem Ausland eine gemeinsame Sicht der historischen Ereignisse zu gewinnen.


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