Burke: Vielen kommt es vor, als habe die Kirche den Kompass verloren

7. November 2014 in Interview


Kurienkardinal Raymond Leo Burke, Präfekt der Apostolischen Signatur, äußerte sich im Interview offen über seine Eindrücke von der Bischofssynode zu Ehe und Familie. Von Darío Menor (Vida Nueva)


Vatikan (kath.net/Vida Nueva) Für internationale Aufmerksamkeit sorgte das Interview, das Kurienkardinal Raymon Leo Burke, Präfekt der Obersten Signatur, der spanischen Zeitschrift „Vida Nueva“ über die Bischofssynode zu Ehe und Familie gegeben hat. kath.net veröffentlicht das Interview nun in voller Länge in eigener Übersetzung. Copyright für die deutsche Übersetzung © kath.net.

Vida Nueva: Welches Gefühl hat bei Ihnen die Synode hinterlassen? Gab es Konfrontation?

Burke: Es gab eine offene und kräftige Diskussion. Früher wurden die Wortmeldungen der Synodenväter immer veröffentlicht, jetzt aber nicht. Alle Informationen stammten aus den Zusammenfassungen von P. Lombardi und von den Treffen, die er mit der Presse organisierte.

Diese Zusammenfassungen überraschten mich, sie gaben den Inhalt der Diskussionen nicht gut wieder, [sondern] gaben den Eindruck, dass alles auf die von Kardinal Kasper vorgebrachte Position zusteuern würde.

Der eigentliche Schock kam mit der Relatio post disceptationem [Zusammenfassung der Wortmeldungen der ersten Synodenwoche]. Sie schien ein Manifest für die Änderung der Kirchendisziplin gegenüber den irregulären Verbindungen zu sein. Sie bot eine größere Offenheit für die ohne das Sakrament der Ehe zusammenlebenden Paare und für die Personen, welche den homosexuellen Zustand erleiden.

Vida Nueva: Teilten andere Synodenväter Ihre Ablehnung?

Burke: So ist es. Wir alle in meiner Kleinen Arbeitsgruppe [Circulus minor] waren überrascht. Wir verbrachten viel Zeit damit, das Schlussdokument auf der Heiligen Schrift und dem Lehramt zu gründen. Es mussten die Irrtümer berichtigt werden, wie zum Beispiel die Aussage, dass man positive Elemente finden kann in sündhaften Handlungen, wie der Kohabitation, der Unzucht, dem Ehebruch oder in sexuellen Handlungen zwischen Personen, welche an der homosexuellen Kondition leiden. Diese Verwirrung war sehr schlimm.

Wir haben versucht, die Schönheit des Ehestandes wieder aufscheinen zu lassen, als von Gott geschaffene unauflösliche, treue und auf Zeugung hin geordnete Verbindung.

Bei den schwierigen Situationen unterscheiden wir zwischen der Liebe für den Sünder und dem Hass gegen die Sünde. Wir Moderatoren und Relatoren der Kleinen Arbeitsgruppen [Circuli minori] haben darum gebeten, dass unsere Arbeiten veröffentlicht würden. Bis dahin wusste die Öffentlichkeit nicht, was wir dachten. Alles war kontrolliert und manipuliert, wenn ich das sagen darf.

Vida Nueva: Wurde versucht, die Synode in eine Richtung zu lenken?

Burke: Ja. Von dem Augenblick an, da Kardinal Kasper seine Meinung vorzubringen begann, las ein Teil der Presse daraus ab, dass die Kirche die Absicht hatte, ihre Disziplin zu ändern. Dies schuf gravierende pastorale Schwierigkeiten.

Viele Bischöfe und Priester kontaktierten mich und berichteten, dass Personen in irregulären Verbindungen in die Pfarreien gingen, in der Absicht, die Sakramente zu empfangen. Sie sagten, dass der Papst es so wolle.

Wir reden dabei nicht über eine leichtgewichtige, sondern fundamentale Angelegenheit.

Die Säule der Kirche ist die Ehe. Wenn wir diese Wahrheit nicht richtig lehren und leben, sind wir verloren. Wir hören auf, die Kirche zu sein. Auf der Synode kann man nicht die Lehren der Kirche und eine Position, die diesen widerspricht, auf die gleiche Stufe stellen.

Vida Nueva: Wird die Wahrheit der Ehe nicht mehr richtig gelehrt?

Burke: Es gibt eine große Verwirrung bezüglich der Unauflöslichkeit. Wenn die Person eine Beziehung lebt, die öffentlicher Ehebruch ist: Wie ist es dann möglich, Zugang zur Beichte zu erhalten, mit dem Entschluss, nicht mehr zu sündigen? Wie ist es dann möglich, Zugang zur Kommunion zu erhalten, ohne der Gemeinde Ärgernis zu geben? Man lebt öffentlich eine der schwersten Sünden.

Vida Nueva: Sehen Sie den von Kasper vorgeschlagenen Weg der Buße nicht als Möglichkeit, damit einige wiederverheiratete Geschiedene Zugang zu den Sakramenten erhalten?

Burke: Auf diesem Weg der Buße müssen die Beteiligten keusch leben. Wenn sie sich nicht trennen können, müssen sie wie Bruder und Schwester leben. Das ist eine alte Praxis. Sie sprechen vom Gesetz der Gradualität, aber die Wahrheit ist nicht graduell. Sie ist objektiv. Die Ehe ist unauflöslich. Wenn ich jemanden heirate, kann ich nicht mit jemand anderem leben.

Vida Nueva: Ein anderes heißes Thema ist das der Homosexuellen. Sie zitierten sie vorhin als “Personen, welche an der homosexuellen Kondition leiden”. Betrachten Sie es als eine Krankheit?

Burke: Es ist ein Leiden. Gott hat uns nicht geschaffen, damit der Mann mit dem Mann sei und die Frau mit der Frau. Das ist aus unserer eigenen Natur klar ersichtlich. Wir sind für die heterosexuelle Vereinigung geschaffen, für die Ehe. Ich weigere mich, von homosexuellen Personen zu sprechen, denn niemand identifiziert sich anhand dieser Tendenz. Es ist eine Person, welche diese Tendenz hat, die ein Leiden ist.

Vida Nueva: Wie fanden Sie das, als der Papst sagte, wer er sei, um über einen Gay zu urteilen?

Burke: Er sagte, dass er nicht über die Person vor Gott urteilen könne, was auch immer deren Schuldigkeit sein mag. Aber die Handlungen müssen beurteilt werden; Ich glaube nicht, dass der Papst anders denkt. Diese sind sündhaft und widernatürlich. Der Papst sagte nie, dass wir positive Elemente in ihnen finden können. Es ist unmöglich, positive Elemente in einer bösen Handlung zu finden.

Vida Nueva: Franziskus sprach in seiner Abschlussbotschaft zur Synode von einer “feindseligen Verhärtung” und bedauerte, dass Einige sich “innerhalb des Geschriebenen” einschlössen, ohne sich “von Gott überraschen” zu lassen. Wie interpretieren Sie seine Worte?

Burke: Es ist schwierig. Man kann sie in dem Sinn interpretieren, dass die Lehre und die Disziplin dem Wirken des Heiligen Geistes entgegengesetzt sind. Das ist nicht die katholische Art, zu denken. Die Lehre und die Disziplin sind die Voraussetzungen für die wahrhaftige Begegnung mit Christus. Ich habe Viele sagen hören, dass der Papst nicht auf die Lehre und auch nicht auf die Disziplin pochen möchte. Das ist nicht die angemessene Interpretation seiner Worte.

Vida Nueva: Einige Gläubige sind besorgt wegen des Weges, den die Kirche eingeschlagen hat. Was sagen Sie ihnen?

Burke: Viele haben mir diese Besorgnis kundgetan. In einem so kritischen Augenblick, in welchem es ein starkes Empfinden gibt, dass die Kirche wie ein Schiff ohne Steuer ist, egal aus welchem Grund, ist es wichtiger denn je, unseren Glauben zu studieren, eine gesunde geistliche Führung zu haben und ein starkes Glaubenszeugnis zu geben.

Einige sagen mir, beispielsweise, dass das Engagement in der Lebensrechtsbewegung nicht mehr wichtig ist. Ich antworte ihnen, dass es wichtiger denn je ist.

Vida Nueva: Sehen Sie die Kirche an einem Punkt, da scheint, dass niemand das Kommando hat?

Burke: Ich habe allen Respekt vor dem Petrusamt und möchte nicht den Anschein erwecken, dass ich eine Stimme gegen den Papst bin. Ich wöllte gern, mit all meinen Schwächen, ein Glaubenslehrer sein, der die Wahrheit ausspricht, die Viele heute empfinden. Sie leiden ein wenig an Seekrankheit, denn ihnen kommt es vor, als habe die Kirche den Kompass verloren.

Wir müssen die Ursache dieser Desorientierung einmal beiseitelassen, denn wir haben den Kompass nicht verloren. Wir haben die beständige Überlieferung der Kirche, die Lehren, die Liturgie, die Moral. Der Katechismus ändert sich nicht.

Vida Nueva: Was zeichnet dieses Pontifikat aus?

Burke: Der Papst spricht ja gerade von der Notwendigkeit, an die Peripherien zu gehen. Die Antwort der Leute ist sehr warmherzig gewesen.

Aber wir können nicht mit leeren Händen an die Peripherien gehen.

Wir gehen mit dem Wort Christi, mit den Sakramenten, mit dem tugendhaften Leben aus dem Heiligen Geist. Ich behaupte nicht, dass der Papst dies tut, aber es besteht die Gefahr, die Begegnung mit der Kultur falsch zu interpretieren.

Der Glaube darf sich nicht an die Kultur anpassen, sondern [muss] diese zur Bekehrung aufrufen. Wir sind eine kontrakulturelle, keine populäre Bewegung.

Vida Nueva: Sie sagten, dass die Evangelii gaudium nicht Teil des Lehramtes wäre. Weshalb?

Burke: Der Papst selbst sagt zu Beginn des Dokumentes, dass es nicht lehramtlich ist, dass es lediglich Hinweise auf die Richtung gibt, in welche er die Kirche führen wird.

Vida Nueva: Macht der Durchschnittskatholik diese Unterscheidung?

Burke: Nein. Deshalb bedarf es einer sorgfältigen Darlegung für die Gläubigen, in welcher die Art und das Gewicht des Dokumentes erklärt werden. Es gibt in der Evangelii gaudium Aussagen, welche die Gedanken des Papstes wiedergeben. Wir nehmen sie mit Respekt auf, aber sie stellen keine offizielle Lehre dar.

kath.net dankt José Beltrán, Chefredakteur von „Vida nueva“, für die freundliche Erlaubnis, das Interview „Raymond Leo Burke: ‚A muchos les parece que la nave de la Iglesia ha perdido la brújula‘“ in voller Länge auf Deutsch zu veröffentlichen, und Stefan Lentner für die Übersetzung.

Kurienkardinal Burke: Keine Sakramentenzulassung für wiederverheiratete Geschiedene, „wenn wir die Worte unseres Herrn ernst nehmen“ (engl.)



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