'Gut, dass wir einen meinungsfreudigen Präsidenten haben'

4. November 2014 in Deutschland


Debatte um Äußerung zur Linkspartei: Rückendeckung für Gauck aus der evangelischen Kirche


Berlin/Hamburg (kath.net/idea) Bundespräsident Joachim Gauck (Foto) erhält in der Debatte um seine kritischen Anmerkungen zur SED-Fortsetzungspartei „Die Linke“ Rückendeckung aus der evangelischen Kirche. Er hatte sich am 2. November in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ zu einer möglichen rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen unter Führung des Linken-Politikers Bodo Ramelow geäußert. Menschen seines Alters, die die DDR erlebt hätten, müssten sich „schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren“, sagte Gauck. Die Wahlentscheidungen der Bürger seien zu respektieren; gleichzeitig frage er: „Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?“

Der 74 Jahre alte Bundespräsident war zu DDR-Zeiten evangelischer Pfarrer in Rostock und Bürgerrechtler; nach der Wiedervereinigung leitete er von 1991 bis zum Jahr 2000 die Stasi-Unterlagenbehörde. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, warf Gauck Einmischung in Parteipolitik vor. Das gehöre sich nicht für einen Bundespräsidenten. Der Protestant Ramelow zeigte sich „seltsam irritiert“, dass ein Pastor solche Aussagen über einen anderen Christen mache.

Schneider: Ein Amt braucht Profil

Der EKD-Ratsvorsitzende, Nikolaus Schneider (Berlin), erklärte auf Anfrage der Nachrichtenagentur idea, der Wählerwillen in Thüringen und die sich daraus ergebenden politischen Konstellationen seien grundsätzlich zu respektieren. Die öffentliche Debatte darüber sei aber natürlich legitim. Ob und in welcher Weise sich ein Bundespräsident daran beteiligen sollte, ergebe sich aus den Erfordernissen des Amtes. Wichtig sei aber auch, dass ein Amt durch die Person, die es trägt, Profil bekomme. Schneider: „Seien wir froh, dass wir einen Bundespräsidenten haben, der meinungsfreudig ist.“

Rüß vermisst die ethisch-politische Stimme der Kirche

Zustimmung für seine Äußerungen zur Linkspartei erhält Gauck vom Vorsitzenden der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg). Wie er in einer Stellungnahme für idea schreibt, habe die Kritik des Bundespräsidenten aufgrund dessen eigener Erfahrung Kompetenz und Berechtigung: „Wie gut, dass er sich zum ethisch-politischen Sprachrohr jener macht, die unter der DDR und ihren Folgeerscheinungen zu leiden hatten.“ Er wünsche sich diese Sensibilität auch von SPD, Grünen und der Kirche. Rüß: „Wo war die ethisch-politische Stimme der Kirche, die sich zu fast allen politischen Facetten äußert?“ Aus reinem Machtkalkül verhülfen SPD und Grüne der Linkspartei zum Amt eines Ministerpräsidenten „ohne Rücksicht auf die Geschichte und menschenfeindlichen, diktatorischen Folgen der SED, ohne Rücksicht auf Gefühle und Empfindungen von Menschen, denen seinerzeit die Freiheit genommen wurde, die unterdrückt wurden und deren Lebensentwürfe zerstört wurden“, so Rüß. Obwohl man die SED von gestern nicht mit der Linken von heute gleichsetzen dürfe, könne man ihre Wurzeln nicht vergessen.

SED-Opfer: Kein Maulkorb für Gauck

Die Dachverbände der SED-Opfer verwahrten sich gegen Angriffe der Linken auf den Bundespräsidenten. Es sei „unverfroren, dass die Partei der Stasi-Spitzel und des Schießbefehls meint, unserem Bundespräsidenten einen Maulkorb verpassen zu können“. Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) und die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (beide Berlin) fordern SPD und Grüne in Thüringen auf, „nicht zum Steigbügelhalter der Partei der Unfreiheit zu werden“. Vorsitzender beider Organisationen ist Rainer Wagner (Neustadt/Weinstraße).

Göring-Eckardt begrüßt Debatte um Gauck

Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, EKD-Synodale Katrin Göring-Eckardt, begrüßte die Debatte um Gaucks Äußerungen. Man habe sich schließlich ein meinungsstarkes Staatsoberhaupt gewünscht, sagte sie im Deutschlandfunk. Die Linkspartei habe ihre Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet, denn dazu gehöre das Eingeständnis, dass es den SED-Unrechtsstaat gegeben habe. Ohne eine Entschuldigung bei den Opfern werde die Linkspartei nicht in Thüringen regieren können, so Göring-Eckardt. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi rief zu mehr Gelassenheit auf. 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sei es an der Zeit, die Linke als eine Partei zu akzeptieren, die Regierungsverantwortung in Bundesländern übernehmen könne. Der aus Westdeutschland stammende Ramelow sei niemals SED-Mitglied gewesen.


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