Stellvertreterkrieg auf deutschen Straßen?

10. Oktober 2014 in Deutschland


Wie christliche Experten die Ausschreitungen von Kurden und Salafisten bewerten


Hamburg/Bonn/Wiehl (kath.net/idea) In Deutschland wächst die Sorge, dass die Konflikte in Syrien und im Irak stellvertretend auch auf deutschen Straßen ausgetragen werden. Grund sind die jüngsten Ausschreitungen in Hamburg, Celle und Stuttgart. Anlass waren Kurdenproteste gegen den Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf die eingekesselte syrische Stadt Kobane. In Hamburg lieferten sich in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober jeweils rund 400 Kurden und mutmaßliche Salafisten - muslimische Extremisten - Straßenschlachten. Dabei kamen Messer, Macheten und Schlagstöcke zum Einsatz. Nach Angaben der Polizei wurden 14 Personen verletzt, davon vier schwer. In Celle kam es zu Auseinandersetzungen zwischen 400 jesidischen Kurden und muslimischen Tschetschenen. Beide Seiten versuchten, mit Knüppeln, Flaschen und Steinen aufeinander loszugehen und eine Polizeikette zu durchbrechen. Vier Beamte und fünf Demonstranten erlitten Verletzungen. In Stuttgart wurden bei Kurden-Demonstrationen Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen. „Ich sehe die Entwicklung mit großer Sorge“, sagte der evangelikale Islam-Experte Pastor Eberhard Troeger (Wiehl bei Gummersbach) gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Der Staat müsse sehr wachsam sein und stärker gegen radikale Muslime vorgehen: „Die Salafisten-Szene und das Umfeld der Sympathisanten sind weit größer, als man weithin annimmt.“ Salafisten forderten, zu den Anfängen des Islams im siebten Jahrhundert zurückzukehren. Deshalb gebe es unter Muslimen viele IS-Sympathisanten: „Denn IS will nur das nachmachen, was der Prophet Mohammed vorgemacht hat.“

Ausschreitungen haben auch einen religiösen Hintergrund

Für den Islamwissenschaftler Carsten Polanz (Bonn) haben die Ausschreitungen auch einen religiösen Hintergrund. Die Salafisten und IS-Sympathisanten seien überzeugt, dass sie die einzig wahren Muslime sind. Sie fühlten sich von Allah berufen, das islamische Kalifat (Gottesstaat) wieder aufzurichten und im Rahmen des Dschihad (Heiliger Krieg) die islamische Gesetzgebung (Scharia) weltweit durchzusetzen. Alle Menschen, die sich diesem Ziel widersetzten, dürften aus ihrer Sicht getötet, unterworfen oder – vor allem im Falle der Frauen – versklavt werden. Das gelte nicht nur für Christen und Jesiden, sondern auch für Muslime wie die Kurden in Syrien und im Nordirak. Sie seien für den IS wegen ihrer liberalen oder nationalistischen Ausrichtung „keine wahren Muslime“, erklärte Polanz gegenüber idea. Er ist Mitarbeiter des Instituts für Islamfragen der Evangelischen Allianzen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nach seinen Worten könnte es durch die Rückkehr der deutschen IS-Kämpfer zu einem Import von innerislamischen und innerreligiösen Konflikten kommen. Die brutale Eroberungspolitik des IS erhitze die Gemüter von Kurden – aber auch von Jesiden und Christen – hierzulande. Ihre Demonstrationen riefen wiederum die Salafisten auf den Plan, die ihre Solidarität mit dem IS bekundeten und seine Kritiker mundtot machen wollten. Polanz: „IS-Sympathisanten zeigen jetzt bereits sehr deutlich, dass sie nichts von den Spielregeln des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates halten.“

Vom IS-Terror nicht einschüchtern lassen

Polanz plädiert dafür, sich weder in der Politik noch in der gesamten Gesellschaft vom Terror der Islamisten einschüchtern zu lassen: „Die Gewaltbereiten jeglicher Couleur müssen mit allen Mitteln des Rechtsstaates verfolgt werden.“ Islamische Moscheeverbände hätten die Aufgabe, sich in der Jugendarbeit „endlich intensiver mit dem ideologischen Nährboden des Terrors“ zu beschäftigen. Sie sollten problematische Aspekte der eigenen islamischen Tradition wie die Diskriminierung Andersgläubiger und die Verfolgung von Konvertiten nicht länger ausblenden oder schönreden. Gesamtgesellschaftlich gelte es, Toleranz nicht länger mit Gleichgültigkeit zu verwechseln. Polanz: „Christen haben jetzt sowohl die Verantwortung, allen totalitären Tendenzen entschieden entgegenzutreten, als auch die Chance, auf die Einzigartigkeit ihrer frohen Botschaft hinzuweisen und dabei auch Muslimen in der Liebe Christi zu begegnen.“


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