Marxsche Dialektik

10. Oktober 2014 in Kommentar


Mit zweideutigen Aussagen zu Ehe und Familie will es der Münchner Erzbischof allen recht machen. Ein Kommentar von Johannes Graf


Rom/München (kath.net/jg)
Reinhard Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, ist einer der Teilnehmer der Bischofssynode zu Ehe und Familie, die vor kurzem in Rom begonnen hat. Dort hat er sich gegenüber Journalisten gegen eine „Glorifizierung einer vermeintlich guten alten Zeit“ ausgesprochen. Eine „ideale Realität von Ehe und Familie“ habe es laut Marx nie gegeben, weshalb man einen „Unterton“ in diese Richtung vermeiden sollte. Diese Sichtweise sei „ungeschichtlich“ und „ein bisschen reconquistamäßig“, zitiert die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) den Münchner Erzbischof. Kath.net hat berichtet.

Marx nennt zwar niemand konkret, doch es ist klar, gegen wen sich seine Wortmeldung richtet: Gegen die „Konservativen“, die ihre Utopie in einer verklärten Vergangenheit finden und die traditionelle Familie idealisieren. Dem Kardinal ist in gewisser Hinsicht zuzustimmen. Wie alle Institutionen der Welt nach dem Sündenfall ist auch die Familie von der Sündhaftigkeit der Menschen belastet. Das ist seit Kain und Abel so und wird sich auch bis auf weiteres nicht ändern. Wer das leugnet denkt tatsächlich ungeschichtlich.

Zwei Fragen drängen sich auf. Wer vertritt in der Kirche diese von Marx zu Recht angegriffene Position? Und zweitens: Haben diese Personen tatsächlich so viel Gewicht, dass von dieser Seite eine Gefahr für das richtige Verstehen der aktuellen Situation katholischer Ehepaare ausgeht? Baut Marx hier nicht einen reaktionären Popanz auf, der angeblich „reconquistamäßig“ einen früheren Zustand wieder herstellen will? Die Reconquista war die mehr als 700 Jahre dauernde christliche Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Mauren. Der von Marx verwendete Begriff hat also eine wohl nicht unbeabsichtigte militärische Konnotation. Auch wenn er sie durch die vorgestellte Formulierung „ein bisschen“ entschärfen will, ist das Wort in diesem Zusammenhang unpassend.

Die Gefahr für ein richtiges Verstehen von Ehe und Familie geht doch viel stärker von der Seite aus, welche die kirchliche Lehre relativieren und die Konsequenzen der Sünde verharmlosen will. Kaum jemand fordert, die Kirche solle die Ehescheidung einführen. Es geht derzeit um die kirchliche Anerkennung einer zweiten zivilrechtlich geschlossenen Ehe nach einer Scheidung. Dies verlangt etwa die österreichische „Pfarrerinitiative“. Auch Bischof Marx argumentiert in diese Richtung, wenn er „andere Formen der Anerkennung“ einer zweiten, eheähnlichen Beziehung verlangt.

Das Eheversprechen ist hier eindeutig. Es lautet: „Ich verspreche Dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will Dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.“ Treu sein, lieben, achten und ehren gilt für „alle Tage“, und zwar „bis der Tod uns scheidet“, und nicht „bis Du mich verlässt“ oder „bis ich keine Gefühle mehr für Dich aufbringe“. Die Ehepartner verpflichten sich, auch „in bösen Tagen“ ihre Treue, Liebe und Achtung aufrecht zu erhalten. Das kann mit Leid verbunden sein, etwa im Fall von Krankheit oder Untreue.

Als Christen sind wir aufgerufen, das Kreuz auf uns zu nehmen, im Wissen darum, dass Gott uns gerade dann besonders nahe ist. Doch das passt nicht in unsere Zeit, die nur „Kreuze“ akzeptiert, die sich die Menschen selber aussuchen, etwa um eine bessere Figur zu bekommen oder Höchstleistungen im Beruf oder im Sport zu erbringen. Dahinter steht eine utilitaristische Sichtweise des Lebens: Gut ist, was mir nützt. Was mir schadet, Leiden verursacht, ist schlecht und deshalb vermeide ich es so weit wie möglich. Nutzen und Leiden werden hier in einem innerweltlichen und subjektiven Sinn verstanden. Christus hat uns eine andere Perspektive gezeigt. Wir haben unser eigentliches Ziel nicht in dieser Welt, sondern in Gott, im ewigen Leben mit ihm. Salopp könnte man sagen: Die christliche Hoffnung besteht darin, dass es nach dem Tod erst so richtig losgeht. In dieser Sichtweise bekommt auch das Leiden eine andere Gewichtung. Der Apostel Paulus schreibt: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“ (Röm 8,18) Diese Dimension fehlt vielen in der Welt von heute, weshalb sie kein Verständnis dafür haben, warum man Leiden auf sich nehmen soll, wenn man es sich doch anders einrichten kann. Die katholische Lehre von der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe muss ihnen unter diesen Voraussetzungen sinnlos und hartherzig erscheinen. Eine Gegenüberstellung von Utilitarismus und Christentum muss im Rahmen dieses Kommentars kurz und unvollständig bleiben, doch ich hoffe, den wesentlichen Punkt deutlich gemacht zu haben. Ich will Kardinal Marx keine utilitaristische Haltung unterstellen, sondern auf eine in unserer Zeit wirkmächtige Geisteshaltung hinweisen, gegen die von Seite der Kirche klar Stellung zu nehmen ist.

Bei Marx geht es zwiespältig weiter. Die Lehre der Kirche sei kein „statisches Gebilde“ und müsse „weiterentwickelt“ werden. Die Bischofssynode habe nicht das Ziel, die Lehre zu verändern, man könne aber auch nicht sagen: „Wir rühren nicht an der Lehre und betrachten nur die Pastoral“, wird Marx von der KNA zitiert. Auch diese Aussage kann man im Sinne der kirchlichen Lehre interpretieren. Die Frage ist nur, was man mit „Weiterentwicklung“ meint. Die Kirche hat darunter immer eine Vertiefung der bestehenden Lehre verstanden. Entwicklung bedeutet ein besseres Verstehen, ein tieferes Eindringen in die göttliche Offenbarung. Sie bedeutet nicht, dass etwas, das bisher von der Kirche festgelegt war, plötzlich nicht mehr gilt. Da hier viele Missverständnisse ihren Ursprung haben, wäre eine Klarstellung von bischöflicher Seite wünschenswert. Wenn sie vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz käme, hätte sie umso mehr Gewicht.

Welche Wirkung erwartet sich der Kardinal von seinen Worten? Wenn er von einer Weiterentwicklung der Lehre spricht, müsste er doch wissen wie das von den meisten Journalisten verstanden wird. Marx bestätigt auf diese Weise Erwartungen auf eine Änderung der Lehre im Sinne einer Anpassung an die Welt, welche die Synode nicht erfüllen wird. Wenn die mediale Entrüstungswelle spätestens nach dem nachsynodalen päpstlichen Schreiben über die Kirche hinweg rollen wird, ist Kardinal Marx jedenfalls nicht einer der „bösen Verhinderer“ einer Anpassung der Ehelehre an die „Lebenswirklichkeit der Menschen“. Gleichzeitig will er es den Kirchentreuen Recht machen, indem er sagt, die Synode werde die Lehre der Kirche nicht verändern, sondern diese mit den heutigen Menschen „neu erarbeiten“ und einen „neuen Blick auf die Lehre werfen.“ Jeder kann sich hier heraussuchen, was ihm gefällt. Soll ein Nachfolger der Apostel so sprechen?

Bedenklich sind auch Marx’ Aussagen zu homosexuellen Beziehungen. Laut KNA-Meldung tritt der Erzbischof für eine „differenzierte Sicht“ ein. Über eine homosexuelle Beziehung, die über Jahrzehnte treu gelebt werde, können man nicht sagen, „das ist alles nichts“, zitiert die KNA den Kardinal. Die Kirche dürfe nicht „einfach alles über einen Kamm scheren“, verlangt Marx laut KNA. Tatsächlich tut die Kirche das auch nicht. Alles was Homosexuelle im Rahmen einer Beziehung einander an objektiv Gutem tun, bleibt natürlich gut. Die Kirche kann aber homosexuelle Akte nicht gut heißen, weil sie gegen die Schöpfungsordnung verstoßen.

Warum versucht Marx, in irregulären Verhältnissen häufig das Gute zu sehen, ohne gleichzeitig auf die Sünde in diesen Beziehungen hinzuweisen? Eine ausgewogene, dem Glauben entsprechende, wirklich differenzierte Stellungnahme würde beides ansprechen und auf diese Weise den Gläubigen die Lehre der Kirche vermitteln. Deshalb sei zum Abschluss eine Mahnung aus dem Instrumentum laboris der Bischofssynode zitiert. Absatz 12 setzt sich mit den Ursachen für die mangelnden Kenntnisse der kirchlichen Lehre zu Ehe und Familie unter den Gläubigen auseinander und nimmt die Hirten, also Priester und Bischöfe, in die Verantwortung. „Einige der eingegangenen Bemerkungen sehen die Verantwortung für die schwache Verbreitung dieser Kenntnis bei den Hirten selbst, die, entsprechend dem Eindruck einiger Gläubigen, selbst weder das Thema Ehe-Familie, wie es in den (kirchlichen, Anm.) Dokumenten dargelegt wird, wirklich kennen, noch die Mittel zu haben scheinen, um dieses Thema zu behandeln. Aus anderen Bemerkungen lässt sich erschließen, dass die Hirten sich manchmal nicht in der Lage oder unvorbereitet sehen, wenn es darum geht, Probleme im Hinblick auf die Sexualität, die Fruchtbarkeit und die Fortpflanzung zu behandeln, so dass sie es oft vorziehen, diese Themen nicht anzugehen. In einigen Antworten findet sich auch eine gewisse Unzufriedenheit bezüglich einiger Priester, die im Hinblick auf einige moralische Lehren indifferent erscheinen. Ihre mangelnde Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche bewirkt Konfusion im Volk Gottes. Es wird daher darum gebeten, dass die Priester bei der Erklärung des Wortes Gottes und in der Darstellung der Dokumente der Kirche im Hinblick auf Ehe und Familie besser vorbereitet und verantwortungsvoller sein sollen.“

Johannes Graf ist Chefkommentator der kath.net-Redaktion

Bayrisches Fernsehen: Kardinal Marx über die Bischofssynode zu Ehe und Familie


Foto Kardinal Marx (c) Erzbistum München und Freising



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