Kirche ja, Christus nein?

7. Oktober 2014 in Kommentar


Antwort auf David Bergers Artikel über schwule Priester. Von Georg Dietlein


Köln (kath.net/gd) Bei der Lektüre eines Artikels von David Berger („Warum schwule Priester perfekt für die katholische Kirche sind“) ereilte mich ein unschöner Verdacht, den ich schon seit einiger Zeit mit mir herumtrage. Christus ja, Kirche nein – mit dieser Parole brachten Christen gerade in den 68ern zum Ausdruck, dass für sie ein Leben mit Jesus Christus auch ohne Kirche denkbar ist. Meist waren Entfremdung und Enttäuschungen der Grund für den Bruch mit der Kirche. Doch es gibt auch die umgekehrte Haltung, die sich bereits in zahlreichen kirchlichen Kreisen eingeschlichen hat: Kirche ja, Christus nein! Wer mit dieser Einstellung auch noch ein kirchliches Amt anstrebt, wird zu einer tickenden Bombe.

Die Kirche – mehr als eine weltliche Institution!

Liest man den Beitrag von David Berger, so überkommt einen der traurige Eindruck, die Kirche Christi sei nicht mehr als eine weltliche Institution wie jede andere – eben ein Unternehmen, in dem es Produkte, Kunden, Mitarbeiter und Manager gibt. In seinem Essay für die Huffington Post bemerkt der ehemalige Religionslehrer und Dozent an der Päpstlichen Thomas-Akademie, der mittlerweile der Kirche den Rücken gekehrt hat: „Der katholische Priester ist durch den Zölibat unverheiratet, lebt in einer Männergesellschaft. Die feierlichen, monarchistischen Zeremonien und priesterlichen Kleidungen, der sogenannte Operetten-Katholizismus, wirken unglaublich anziehend auf viele schwule Männer.“ Der Beitrag Bergers gipfelt in der These: „Etwa 40 % der katholischen Priester sind homosexuell.“

Was ich in den Ausführungen Bergers vollständig vermisst habe: Der Priesterberuf ist nicht irgendein Beruf, sondern erfordert eine Berufung durch Gott. Das Interesse an kirchlichen Zeremonien und kostbaren Gewändern reicht nicht aus, um Priester zu werden. Grundlage jeder priesterlichen Berufung ist eine tiefe Freundschaft mit Jesus Christus.

Warum gehe ich eigentlich in die Kirche?

Dennoch beleuchtet Berger einen erschreckenden Missstand in der katholischen Kirche, der mich persönlich sehr nachdenklich gemacht hat: Warum gehen Katholiken heute eigentlich zur Kirche? Und: Warum werden junge Männer heute Priester? Geht es dabei allein um Äußerlichkeiten: das lateinische Hochamt als feierliche Zeremonie oder sogar als Show? Oder geht es um die Beziehung zu Jesus Christus, die bei jedem kirchlichen Handeln im Vordergrund stehen muss?

Freilich: Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum Menschen heute in die Kirche gehen (oder sich in der Kirche engagieren). Böse Zungen behaupten, so mancher bayerischer Bürgermeister besuche in Wahlkampfzeiten die katholische Sonntagsmesse allein deshalb, um auf Stimmenfang zu gehen. Wieder andere verstehen Kirche bloß als Netzwerk, um Mandaten zu akquirieren, oder besuchen die heilige Messe, weil das von ihnen beruflich erwartet wird. Soweit so gut. Sind das aber die einzigen Motive für den Kirchgang bzw. das Bekenntnis zur katholischen Kirche, so hat diese Form des „Christ-Seins“ nicht mehr viel mit Jesus Christus zu tun.

Eine Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen

Bereits 1958 machte der damalige Theologe Joseph Ratzinger, der gerade seinen ersten Ruf auf eine Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie erhalten hatte, auf dieses grundlegende Problem in der katholischen Kirche aufmerksam: „Das Erscheinungsbild der Kirche der Neuzeit ist wesentlich davon bestimmt, dass sie auf eine ganz neue Weise Kirche der Heiden geworden ist und noch immer mehr wird: nicht wie einst, Kirche aus den Heiden, die zu Christen geworden sind, sondern Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden“. Und weiter: „Dieses dem Namen nach christliche Europa ist seit rund vierhundert Jahren zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, das im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen her auszuhöhlen droht.“

Das größte Problem, das die katholische Kirche heute hat, sind nicht die, die sich von ihr bereits getrennt haben, sondern all jene „Taufscheinchristen“, die zwar formell noch Teil der Kirche sind, sich im Herzen aber längst von Christus verabschiedet haben. In besonderer Weise gilt dies für all jene Männer, die sich allein aufgrund von Äußerlichkeiten vom Priestertum angezogen fühlen. In ihrer „Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen“ stellt die Kongregation für das katholische Bildungswesen eindeutig fest, dass homosexuelle Tendenzen, die bloß Ausdruck eines vorübergehenden Problems sind, kein grundsätzliches Hindernis auf dem Weg zur Priesterweihe sind. Problematisch wird es dann, wenn Männer vor den Weihealtar treten, die eigentlich gar nicht berufen sind.


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