Soll das Inzestverbot gelockert werden?

25. September 2014 in Deutschland


Forderung des Deutschen Ethikrates stößt auf Kritik


Berlin (kath.net/idea) Die Forderung des Deutschen Ethikrates, das Inzestverbot in bestimmten Fällen aufzuheben, stößt auf Kritik. Das Gremium zählt dazu den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr erwachsener Geschwister sowie von Personen über 14 Jahren mit erwachsenen Geschwistern – vorausgesetzt, dass diese nicht mehr in der gleichen Familie leben. Kritik an dem Vorstoß übt der Leiter des evangelischen Fachverbandes für Sexualethik und Seelsorge „Weißes Kreuz“, Rolf Trauernicht (Ahnatal bei Kassel). Bei Beischlaf unter Geschwistern wachse die Wahrscheinlichkeit, dass daraus behinderte Kinder hervorgingen, sagte er der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Außerdem verurteile die Bibel im Alten Testament inzestuöse Beziehungen. Eine Antwort auf die Frage, wie mit Geschwistern verfahren werden sollte, die sich erst als Erwachsene begegnen und verlieben, hält Trauernicht für schwierig. Dagegen sprächen zwar auch die genannten Gründe. Ob allerdings das Strafrecht das richtige Mittel sei, bezweifle er. Kritik am Ethikrat kam auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Eine Abschaffung des betreffenden Paragrafen 173 sei „das falsche Signal“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker. „Der Wegfall der Strafandrohung gegenüber inzestuösen Handlungen innerhalb von Familien würde dem Schutz der unbeeinträchtigten Entwicklung von Kindern in ihren Familien zuwiderlaufen“

Einvernehmliche Beziehungen erwachsener Geschwister sollen straffrei werden

Nach dem Vorschlag des Ethikrates sollen künftig Beziehungen erwachsener Geschwister nicht strafrechtlich verfolgt werden. Dies gelte jedoch nur, soweit nicht zugleich Missbrauch, Nötigung, Vergewaltigung oder die Ausnutzung einer Zwangslage vorlägen. Auch solle das Verbot für Geschwister aufgehoben werden, bei denen einer der beiden noch unter 18 ist und die nicht mehr im selben Familienverbund leben. Dies beträfe beispielsweise Geschwister, bei denen der Bruder oder die Schwester in einer Adoptivfamilie aufwuchsen. Bei zusammen aufgewachsenen Geschwistern besteht nach Meinung des Ethikrates ohnehin nur eine geringe Inzestneigung.

Ethikrat vergleicht Inzestgegner mit Nationalsozialisten

Das Argument, aus inzestuösen Beziehungen hervorgehende Kinder litten häufiger unter Behinderung, weist der Rat mit Verweis auf die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten zurück. „Mit dem Argument, mit staatlichen Maßnahmen bestimmten genetisch unerwünschten Nachwuchs zu verhindern, wurden im Nationalsozialismus Menschen mit genetischen Abweichungen entrechtet und ermordet“, heißt es in dem Papier. Dieses Argument dürfe daher nicht zur Rechtfertigung für die Strafbarkeit des Inzests herangezogen werden, zumal auch bei Menschen mit Erbkrankheiten „kein Zeugungsverbot ausgesprochen werden dürfte“. In die innerste Sphäre der Person solle der Staat mit strafrechtlichen Verboten nur eingreifen, wenn es um Handlungen gehe, die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzten. Die Entscheidung fiel mit 14 zu neun Stimmen. Dem Ethikrat gehören 25 Mitglieder aus Politik, Wissenschaft und den Kirchen an.

Rechtslage ist international unterschiedlich

Ausgangspunkt der Beratungen war der Fall zweier Geschwister in Leipzig. Patrick S. musste wegen der Beziehung zu seiner Schwester Susan K., mit der er vier Kinder hat, für drei Jahre ins Gefängnis. In Anhörungen des Rates berichteten weitere Geschwisterpaare, die in inzestuösen Beziehungen leben, dass sie zu Heimlichkeit und Verleugnung ihrer Liebesbeziehung gezwungen seien und durch Dritte erpressbar würden. Der Ethikrat geht davon aus, dass durch künstliche Befruchtung die Zahl von Geschwistern, die sich wie Patrick S. und Susan K. erst als Erwachsene kennenlernen, weiter zunehmen wird. Die Rechtslage ist international unterschiedlich. Während in den meisten europäischen Staaten der Beischlaf unter Geschwistern unter Strafe steht, bleibt er in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Portugal, Spanien und Russland straffrei. Auch in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten sowie in Japan und Südkorea müssen Betroffene keine Verfolgung durch die Behörden befürchten.


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