'Ich merke, der Papst trifft das Herz der Menschen'

22. September 2014 in Kommentar


"In der Kathedrale, in der es so still war, dass man eine Nadel hätte fallen hören, brandet Applaus auf." Stimmungsbild von der Albanienreise des Papstes. Von Sr. Mirjam Beike / Albanien


Tirana (kath.net) 21.September, Sonntag, - meine Mitschwester und ich haben uns um 5 Uhr früh schon auf den Weg zum Platz „Nena Tereza“ gemacht, wo in sechs Stunden der Heilige Vater die Heilige Messe feiern wird. Am Vorabend hatten wir von befreundeten Schwestern gesagt bekommen, dass so viele Leute da seien, dass der Platz bestimmt um 6 Uhr schon voll sei, das hat uns dazu bewogen, uns so früh schon auf den Weg zu machen.

Neben uns hält ein Auto: Wohin geht Ihr? – „Auf den Platz Nena Tereza – zur hl. Messe mit dem Papst“ antworte ich. „Zoti ju bekofte“, „Gott segne Euch“, ist die Antwort, und der junge Mann fährt weiter. Es bleiben noch mehrere Autos stehen und fragen uns, und sprechen jeweils einen Segen aus. Es ist besonders, um 5 Uhr früh in Tirana.

Als wir ankommen sind schon viele Leute unterwegs, alle haben das eine Ziel, den Platz, an dem der Hl. Vater die Messe feiern wird. Noch ist der Zugang zum Platz nicht geöffnet, wir müssen bis um 7 Uhr warten, also fast 90 Minuten. Zufällig treffen wir eine Gruppe aus Südalbanien, die wir kennen, und bleiben erst einmal zusammen. Wir stehen sehr eng in einer Absperrung, und das ist ungemütlich, aber ein albanischer Priester, der mit einer Jugendgruppe gekommen ist, kann schon so früh sehr gut sehr humorvoll auf die Enge und das Warten reagieren. Würde er nicht Albanisch reden, würde ich meinen, er sei aus Köln, und die Session sei gerade eröffnet worden. Vor uns, auf der Straße auf der nachher der Papst einfahren wird, schläft ein Hund. Hund müsste man manchmal sein…

Um 7 Uhr sind wir mit die ersten, die auf den Platz gelassen werden, wir werden einen guten Blick haben. Leider ist das, was wie eine Straße aussieht, an der der Heilige Vater vorbeifahren könnte, keine Straße, sondern nur die Absperrung, die uns von dem Feld mit den Stühlen für geladene Gäste trennt. Nun heißt es warten. Wir setzen uns auf unsere mitgebrachten Plastiktüten. Auf einmal werde ich von links angesprochen. Da sitzt eine Gruppe Frauen aus Shkodra und die möchten, dass ich den Rosenkranz vorbete. Rosenkranz vorbeten auf Albanisch, am Boden sitzend und inmitten der ganzen Menschen – ich stocke manchmal, mache Fehler, mir fällt einmal sogar der Text des Ave Maria nicht ein, aber die Frauen ergänzen geduldig, was mir fehlt. Ich bin beeindruckt von diesen Frauen, und während ich ihn ihre guten Gesichter schaue, die davon Zeugnis geben, dass sie ein arbeitsreiches Leben führen, fällt mir auf, dass zwei von ihnen blaue Augen haben. Ganz anders, als wir uns Albaner vorstellen, denke ich.

Als dann Stunden später der Papst eintrifft ist der Jubel unbeschreiblich. Applaus brandet auf, die Leute versuchen, soviel wie möglich mitzukriegen. Als die heilige Messe anfängt, beginnt der Papst das Schuldbekenntnis auf Albanisch und nach kurzem Zögern fallen die Leute mit ein. Es ist ergreifend. Der Heilige Vater möchte dem Volk nahe sein, es sind diese kleinen Gesten, die so viel sagen. Während der Lesungen fängt es an, sehr stark zu regnen, wir stehen unter einem Dach von Regenschirmen, es ist kaum noch was zu hören, zu sehen ist gar nichts, und es tropft gewaltig, auch unter den Schirmen. Zum Glück hat es zur Predigt aufgehört.

Ich verstehe die italienische Predigt kaum, aber die Mehrheit der Albaner versteht sie wohl. Verschiedentlich brandet Applaus auf – ich merke, der Papst trifft das Herz der Menschen, sie antworten mit ihrem Applaus auf seine Worte und er ist ihnen nahe. Als später die albanische Übersetzung vorgelesen wird, verstehe ich, dass sie applaudiert haben, als der Heilige Vater den Familien Gottes Segen und Zusammenhalt wünschte, und als er an einer anderen Stelle den Friedhof von Shkodra erwähnte, an dem in der kommunistischen Zeit die Erschießungen stattgefunden haben.

Viel zu schnell ist die heilige Messe vorüber. Nach einem begeisterten Abschied von den Menschen, fährt Papst Franziskus zum Essen mit den Bischöfen. Wir gehen zur Kathedrale, zum Treffen des Papstes mit den Ordensleuten. Es regnet so stark, dass das Ganze nicht wirklich gemütlich ist, wir sind alle durchnässt. Zum Glück werden wir schon vor der vereinbarten Zeit eingelassen – mit Eintrittskarte und Personalausweis muss man sich legitimieren. Bei mir genügt ihnen das nicht. Mein Passbild wäre wohl nicht ich? Na ja, ich stehe zum Glück auf der Liste und schließlich darf ich doch rein…

Die Wartezeit vergeht mit Singen und Beten und auch mit Reden, wenn man Bekannte trifft. Als der Papst gegen 17 Uhr eintrifft sieht er sehr müde aus. Es werden vor der Vesper zwei Zeugnisse gegeben, von einem Priester und einer Ordensschwester, die während der Zeit des Kommunismus verfolgt wurden. Der Heilige Vater ist so ergriffen, von dem Zeugnis des Priesters, dass er sich umdreht und die Tränen abwischt – in der Kathedrale, in der es so still war, dass man eine Nadel hätte fallen hören, brandet Applaus auf. Es ist das, was so beeindruckend ist: der Papst macht keine Worte, er IST betroffen, es geht ihm zu Herzen.

Als der Priester vor ihm auf die Knie geht, ist es dem Papst sichtlich unangenehm, und als der Priester ihm die Hände küsst, küsst der Papst ebenfalls die Hände des Priesters, und dann folgt eine Umarmung. Es ist ein Augenblick, in dem ich kaum Luft holen kann. Wo bin ich hier?, frage ich mich. Zeitgleich fallen mir Maximilian Kolbe und Dietrich Bonhoeffer ein. Aber dennoch, meine ich, 40 Märtyrer wegen ihres Glaubens, haben wir die? Vermutlich schon? Und doch kommt es mir hier anders vor, noch näher an der Zeit dran, und explizit gegen die Ausübung des Glaubens gerichtet. Als ich während dieser Woche über den Boulevard in Tirana ging, wo sehr groß die Bilder der 40 Märtyrer hängen, war mir jedes Mal sehr mulmig zumute. Es ist kaum auszuhalten, und noch viel weniger vorstellbar. Ich stehe jedes Mal davor und denke mir: im Grunde kenne ich dieses Land und seine Geschichte nicht, und vermutlich ist alles so tief und komplex, dass ich es nie verstehen werde. Es bleibt ein großes Staunen, Ehrfurcht und Respekt übrig und ein tiefes Schweigen.

In seiner Predigt sagt uns der Papst, was wir schon oft gehört haben, dass wir Ordensleute uns keinen Trost außerhalb von Christus suchen sollen, weil uns das nicht glücklich machen würde. Er sagte, ich möchte es nicht, aber ich habe die Aufgabe, Euch ein wenig zu schlagen…

Nach der Vesper gingen wir dann nach Hause. Was hat dieser Tag gebracht, was wird er bewirken? Ich habe gehört, dass die Albaner stolz darauf sind, die Sicherheitsmaßnahmen souverän durchgeführt zu haben, und sich so in das Niveau der europäischen Länder eingereiht haben. Ich kann auch nur sagen, dass zwar alles sehr anstrengend war, aber wie am Schnürchen lief. Gut angekommen ist auch die Botschaft des friedlichen Zusammenlebens der Religionen, etwas, was Albaniens Reichtum darstellt, so dass dieses arme Land auch einen Reichtum an Werten zu geben hat.

Am Abschluss des Tages bleibt mir nur die Dankbarkeit, dabei gewesen zu sein!

Papst Franziskus Vesper in Albanien mit berührenden Zeugnissen


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Foto © kath.net/Sr. Miriam Beike


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