Bischof: Ohne schärfere Sanktionen kein Friede in der Ukraine

6. September 2014 in Chronik


Katholischer Bischof Szyrokoradiuk gegenüber "Kathpress": Versorgungslage für Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten kritisch - Krieg "kein Konflikt zwischen den Religionen"


Kiew (kath.net/KAP) Einen eindringlichen Appell, Russland "endlich mit Taten statt mit Worten" zum Ende des Krieges mit der Ukraine zu drängen, hat der römisch-katholische Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk, Leiter der die gesamte Ostukraine umfassenden Diözese Charkiw-Saporischja, geäußert. Die von der EU angekündigte Verschärfung der Sanktionen gegen Russland sei notwendig, sei Europa doch bisher viel zu wenig konkret gewesen, habe zu lange gezögert und "stets nur gerechnet, ob das nicht zu teuer kommt", so der Bischof am Samstag im Gespräch mit "Kathpress". Ohne Einlenken gehe Europa das Risiko ein, dass sich der Konflikt bald nicht mehr bloß auf die Ukraine beschränke, wie schon der Abschuss eines Passagierfliegers durch Rebellen angedeutet habe.

Skeptisch äußerte sich Bischof Szyrokoradiuk, der zugleich Präsident der römisch-katholischen "Caritas-Spes" der Ukraine ist, über ein Andauern der am Freitagabend begonnenen Waffenruhe zwischen den Kriegsparteien. "Jeder Friede ist zwar gut, doch glaubt niemand in der Ukraine ernsthaft, dass Russland ohne Unterstützung der Ukraine aus dem Westen dauerhaft Ruhe gibt. Die Lügen und Aggressionen gehen weiter, und jeden Tag auch die schlechten Nachrichten, dass Menschen sterben." Fast 3.000 Todesopfer forderten die Kämpfe in der Ostukraine laut UN-Angaben bis Ende August bereits.

Alle derzeitigen Kriegsschauplätze gehören zu der 2002 errichteten Diözese von Bischof Szyrokoradiuk. Katholiken gebe es hier nur wenige, etwa in den drei Donezker Pfarren nur einige Tausend. Viele von ihnen seien inzwischen geflohen, viele im Krieg gestorben, berichtete der Bischof. "Auch Kirchen sind zerstört, doch Gebäude kann man wieder aufbauen." Christsein sei gefährlich angesichts der russischen Agitation gegen die katholische Kirche: "Man bezichtigt uns des Terrorismus". Seinen Priestern habe er angeordnet, die Kriegsregion zu verlassen, seien doch bereits zwei von ihnen von den Separatisten verhaftet worden und nur infolge großer Anstrengungen wieder freigekommen.

Flüchtlinge hungern

Während in der Metropole Charkiw die Regierungsarmee für Ruhe sorge, sei die Situation 300 Kilometer weiter südöstlich im kriegszerstörten Lugansk entsetzlich: "Es gibt dort keinen Strom mehr und schon seit einem Monat kein Wasser. Was jetzt bevorsteht, ist eine humanitäre Katastrophe", warnte der Caritas-Präsident. Kirchliche Hilfeleistungen seien hier aufgrund der Besetzung durch Separatisten und russische Soldaten momentan nicht möglich.

Besorgt äußerte sich der Bischof auch über die Lage der Flüchtlinge aus den Kriegsregionen. 260.000 von ihnen sind laut UN-Angaben in der Ukraine registriert, ihre Gesamtzahl wird mit über einer Million beziffert, viele andere sind zudem bei Verwandten oder Bekannten in anderen Landesteilen untergekommen. "Es gibt ein großes staatliches Programm, um mit dieser Situation zurechtzukommen, wobei etwa in Charkiw frühere Militärkasernen oder leerstehende Waisenhäuser als Unterkünfte genutzt werden", berichtete Szyrokoradiuk.

Auch die verschiedenen Kirchen beteiligen sich an der Flüchtlingsversorgung, darunter die Caritas, die in ihren Zentren Menschen aus Lugansk aufgenommen hat. Die Hilfe stoße jedoch an Kapazitätsgrenzen und die Lage spitze sich zu: "Viele Leute haben einfach Hunger, und es ist schwierig für sie, zumindest ein Mittagessen zu finden", so der Bischof. In Charkiw stellt die römisch-katholische Kirche täglich 200 Mittagessen zur Verfügung, ähnlich die anderen Konfessionen. Derzeit errichte die Caritas Zentren für die Hilfsgüterverteilung. "Der Winter kommt, und viele Leute werden vor allem warme Kleidung und Schuhe brauchen. Jede Hilfe aus dem Westen brauchen wir dringend."

Kein Krieg der Kirchen

Russland nehme es der Ukraine weiterhin übel, dass sie "anders leben möchte" und auf dem Maidan eine Gesellschaft gefordert hatte, die sich an der EU orientiert, erklärte der Bischof, der selbst bei den Kiewer Protesten aufgetreten war. Mit der Maidan-Bewegung habe die Ukraine eine "große Chance" bekommen, "doch wir haben nicht gedacht, dass wir Russland derart ausgeliefert sind". Russlands Präsident Vladimir Putin besitze in seinem Land weiterhin Rückhalt mit über 70 Prozent Zustimmung, dies könne sich jedoch schnell umkehren, so die Hoffnung des Bischofs, der dem Franziskanerorden angehört.

Deutlich zurückhaltend fiel die Kritik Szyrokoradiuks an der russisch-orthodoxen Kirche aus: Zwar gebe es in der Ukraine häufig Diskussionen zwischen Ost- und Westkirche, aber seien dies keinesfalls Konflikte, die zum Krieg führen würden. "Die katholische und die orthodoxe Kirche beten gemeinsam um Frieden. Wir tun dies landesweit in den Kirchen, im Radio oder in vielen Gebetsgruppen, oft die ganze Nacht hindurch." Wenngleich sich die russisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats nicht an den ökumenischen Friedensgebeten beteilige: Der Krieg verlaufe nicht zwischen den Religionen, noch gebe es innere Konflikte in der Ukraine, wie von russischer Seite dargestellt werde. "Der Konflikt besteht mit Russland", betonte der Bischof.

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