Deckers, Bonny und die ‚nachkonziliaren Verirrungen’

8. September 2014 in Kommentar


Der Bischof von Antwerpen wendet sich öffentlich gegen lehramtliche Aussagen zu Ehe und Familie, Daniel Deckers von der FAZ lobt ihn dafür. Warum das keine ‚brillante Theologie’ ist, analysiert Johannes Graf in einem Kommentar.


Antwerpen/Frankfurt (kath.net/jg)
Diesmal geht es gegen die lehramtlichen Aussagen zu Ehe und Familie. Die Protagonisten sind Johan Bonny, der Bischof von Antwerpen, und der Journalist Daniel Deckers von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Bonny ist am 1. September mit einer Denkschrift zur bevorstehenden Familiensynode an die Öffentlichkeit getreten, die mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt wurde und auch Papst Franziskus erreichen soll. Bonny will damit offensichtlich von außen Einfluss auf die Synode ausüben, an der er nicht teilnehmen wird.

In dem Papier macht der Antwerpener Bischof deutlich, dass er mit wesentlichen lehramtlichen Aussagen zu Ehe und Familie nicht einverstanden ist. Es geht wieder einmal um die so genannten „heißen Eisen“ Verhütung, voreheliche Sexualität, Kommunionempfang für (zivilrechtlich) wiederverheiratete Geschiedene und die damit verbundene Frage der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe.

Deckers bezeichnet die Ausführungen Bonnys in einem Kommentar wörtlich als „theologisch brillante Analyse der nachkonziliaren Verirrungen des kirchlichen Lehramtes und der dadurch verursachten Glaubenskrise“ und hofft, die Synode werde „die Kluft zwischen Lehre und Leben verringern – um des Lebens willen“.

Bonny wirft Paul VI. und Johannes Paul II. vor, sie hätten lehramtliche Entscheidungen im Alleingang getroffen und nicht wie während des Zweiten Vatikanischen Konzils gemeinsam mit den Bischöfen. Paul VI. habe mit der Enzyklika „Humanae vitae“ den vom Konzil angeblich vorgegebenen Weg der Kollegialität verlassen. Er habe sich außerdem gegen die Meinung der von ihm selbst eingesetzten Expertenkommission, der Kardinals- und Bischofskommissionen und der Mehrheit der Moraltheologen, Ärzte und Wissenschaftler entschieden. Deshalb sei „Humanae vitae“ von weiten Bereichen der Kirche nicht angenommen worden.

Bonny berührt mit dieser Analyse gleich zwei heikle Punkte. Zum einen stellt er den päpstlichen Primat in Frage. Der Papst solle seine Entscheidungen in einem möglichst breiten Konsens mit den Bischöfen treffen. Bonny möchte die Kollegialität von Papst und Bischöfen wie sie während des Zweiten Vatikanischen Konzils geherrscht habe möglichst bald wieder hergestellt wissen. Die Vorrangstellung des Nachfolgers Petri geht aber auf göttliche Einsetzung zurück, ist seit der frühen Kirche belegt und im Ersten Vatikanischen Konzil dogmatisch festgelegt worden. Davon kann die Kirche nicht abgehen.

Zum anderen scheint Bonny zu unterstellen, dass der Konsens automatisch die richtige Entscheidung sei. Auch wenn er seine Forderung etwas später wieder abschwächt, indem er auf negative Erfahrungen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften hinweist, hält er die kollegiale Beratung und Beschlussfassung für einen entscheidenden Schritt. Wörtlich schreibt er: „Sie (die Kollegialität) ist der Schlüssel zu einem neuen und besseren Umgang mit vielen Fragen in der Kirche“. Das Problem liegt in einer wesentlichen Verschiebung der Prioritäten. Eine Entscheidung ist nicht dann gut, wenn sie richtig ist, das heißt dem Willen Gottes entspricht, sondern wenn sie von fast allen Bischöfen mitgetragen werden kann. Nicht was Gott will, sondern was die Bischöfe akzeptieren können ist das ausschlaggebende Kriterium.

Die Aufgabe der Kirche ist es, die Menschen zu Gott zu führen. In der gesamten, etwa 30-seitigen Denkschrift ist allerdings nie davon die Rede, was Gott von uns will, wie wir zu ihm kommen können. Es geht Bonny nur darum, die Moraltheologie an das tatsächlich Gelebte anzupassen. Genau davor hat uns Jesus gewarnt.

Die Bischöfe seien durch die "einsame Entscheidung" Pauls VI. hinsichtlich "Humanae vitae" in einen Loyalitätskonflikt gekommen, schreibt Bonny weiter. Wie sollten sie mit dem Papst verbunden bleiben und ihre Aufgabe als Hirten ausüben? Die belgischen Bischöfe hätten ebenso wie die Bischöfe anderer Länder bald nach der Veröffentlichung von „Humanae vitae“ ein Erklärung verabschiedet, in der die Entscheidung über den Gebrauch künstlicher Verhütungsmittel dem persönlichen Gewissen der einzelnen Gläubigen anheim gestellt wird. Dies stimme mit der katholischen Tradition überein, behauptet Bonny. Die belgischen Bischöfe hätten sich auf Kardinal Newmans Brief an den Herzog von Norfolk berufen, ergänzt er in einer Fußnote.

Bonny und mit ihm Deckers, der den Bischof zustimmend zitiert, scheinen hier einem leider weit verbreiteten Missverständnis zum Opfer zu fallen. Weder die katholische Tradition noch Kardinal Newman haben das persönliche Gewissen als subjektive Instanz gesehen, die autonom entscheidet. Für Newman ist das Gewissen die Aufhebung der Subjektivität. Es bezeichne nicht die eigene Einbildung oder Meinung, sondern sei die „Stimme Gottes in uns“, der wir Gehorsam sein müssen, schreibt Newman. Das müssten sowohl Bischof Bonny als auch der promovierte Theologe Deckers eigentlich wissen. „Brillante Theologie“ sieht jedenfalls anders aus.

Spätestens auf der Synode werde sich zeigen müssen, wie viele Bonnys es in dieser Kirche gebe, schreibt Deckers abschließend in seinem Kommentar. Nach dem bereits Gesagten kann man nur hoffen, dass es möglichst wenige sind. Und wenn wir schon beim Wünschen sind darf man auch hoffen, dass möglichst wenige Deckers die Synode analysieren und kommentieren werden.


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