Multireligiöser ‚Raum der Stille’ am Wiener Hauptbahnhof

3. September 2014 in Kommentar


Die Erzdiözese Wien hat angekündigt, einen multireligiösen ‚Raum der Stille’ am neuen Hauptbahnhof in Wien einrichten zu wollen. Ein Kommentar von Johannes Graf


Wien (kath.net/jg)
In Wien wird in wenigen Wochen der neu gebaute Hauptbahnhof in Betrieb genommen. Neben dem Bahnhof beherbergt der Gebäudekomplex ein Einkaufszentrum, Büros, Wohnungen und einen Bildungscampus.

Die katholische Kirche möchte an diesem Ort, der von vielen Menschen frequentiert wird, präsent sein. Die Erzdiözese Wien hat im Untergeschoß zwischen der U-Bahnstation und dem Einkaufszentrum einen 100 Quadratmeter großen Raum angemietet, der Platz für etwa 30 Personen bietet. Wer nun erwartet, dass hier eine Kapelle eingerichtet werden soll, wird enttäuscht. Nach Angaben der Erzdiözese Wien wird ein „Raum der Stille“ entstehen, der von 7 bis 21 Uhr geöffnet sein soll. Ein Pastoralassistent wird für interessierte Personen zur Verfügung stehen.

Der Raum soll für alle religiösen Gemeinschaften benutzbar sein, hat die Erzdiözese Wien gegenüber der Katholischen Presseagentur Österreich (Kathpress) bekannt gegeben. Dank eines verschiebbaren Altars sei er auch für kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Vernissagen und Kabaretts geeignet, heißt es aus der Erzdiözese. Das war es dann wohl mit der Stille.

Selbst bei viel gutem Willen bleibt der Sinn dieser Aktion unklar. Österreich und insbesondere die Stadt Wien ist Missionsgebiet. In der österreichischen Hauptstadt gehört mittlerweile weniger als die Hälfte der Bevölkerung der katholischen Kirche an. Viele Getaufte haben sich innerlich von der Kirche verabschiedet. In dieser Stadt an einem Punkt präsent zu sein, an dem täglich durchschnittlich 120.000 Menschen vorbei kommen werden, ist an sich eine großartige Idee. Hier könnte ein Zentrum der Mission entstehen, das viele erreicht. Die Umsetzung lässt aber starke Zweifel daran aufkommen.

Es ist verständlich, dass die Erzdiözese ihr Angebot möglichst niederschwellig gestalten will. Der „Raum der Stille“ vermittelt hingegen etwas anderes. Man hat den Eindruck, den Verantwortlichen wäre es unangenehm öffentlich als Katholiken aufzutreten. Als wäre die Kirche schon zufrieden, wenn die Menschen in ihren „Raum der Stille“ kommen würden, den sie sich noch dazu mit Künstlern und anderen Religionen teilt. Sieht so Mission aus?

Denn genau diese wünscht sich der Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn vom Bischofsvikariat „Kategoriale Seelsorge“, dem die Betreuung des „Raumes der Stille“ anvertraut ist. Die Kategoriale Seelsorge nimmt sich um die Menschen an, die „nicht an territoriale Situationen gebunden sind“, also nicht über die Pfarren zu erreichen sind.

Die Begeisterung für Jesus Christus hat die großen Missionare der Kirche in die ganze Welt getrieben, um allen Menschen die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu verkünden. Davon ist beim „Raum der Stille“ wenig zu spüren. Sind sich alle Verantwortlichen der Kirche Österreichs bewusst, welch großen Schatz sie mit dem Glauben und den Sakramenten dank der Großzügigkeit Gottes anzubieten haben? Anders gefragt: Sind die mit der Verkündigung Beauftragten wirklich davon überzeugt, eine Botschaft verbreiten zu dürfen, die für das Leben eines jeden Menschen wesentlich ist?

Der „Raum der Stille“ am Wiener Hauptbahnhof erweckt einen anderen Eindruck. Mission erscheint als notwendige, aber nicht besonders geliebte Aufgabe, der man sich vor allem unter der Absicht widmet, niemanden durch ein allzu klares katholisches Bekenntnis verärgern zu wollen. Eine im wahrsten Sinn des Wortes begeisterte und begeisternde Verkündigung sieht anders aus.


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