Abneigungen sind nun oft zu einem Gefühl des Hasses gewachsen

30. August 2014 in Chronik


"Gehirnwäsche durch ein paar Hassprediger" habe aus moderaten Muslimen Terroristen gemacht. Irakische Christen in Deutschland bangen um ihre Angehörigen - Von Marion Sendker (KNA)


Berlin (kath.net/KNA) «Wo seid ihr jetzt? Wie sieht es bei euch aus? Wie weit ist die IS noch von euch entfernt?» Die ganze Nacht hängt Batrus Mikha Istefo in Berlin am Telefon. Der 67-Jährige spricht mit Freunden und Verwandten im Irak. Sie sind auf der Flucht vor der Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS).

Erst vor wenigen Tagen flohen Batrus Freunde aus dem nordirakischen Mossul ins 40 Kilometer entfernte Alqosh. Doch wenig später kamen die Islamisten auch dorthin. Die Christen mussten wieder fliehen. Wohin? «Sie gehen nach Norden, aber keiner weiß, wohin», berichtet Batrus.

Rund 12.000 Christen haben Alqosh inzwischen verlassen, fast die gesamte Bevölkerung. Nur eine kleine Gruppe ist geblieben. «Vielleicht 150 oder 200 Jugendliche bewachen das Dorf, sie wollen Alqosh nicht aufgeben», erklärt Batrus erwachsener Sohn Ragheed. Einer der Jugendlichen ist sein Cousin.

Alqosh ist Batrus Mikhas Geburtsstadt, seine vier Kinder sind in Mossul aufgewachsen. Seit 1998 lebt die Familie in Berlin. Damals ging sie nicht aus religiösen Gründen, sondern wegen politischer Unruhen. «Heute ist Deutschland unser Zuhause, auch wenn der Irak unsere Heimat bleibt», sagt Batrus. Ein paar Mal ist die Familie nach Mossul und Alqosh zurückgekehrt, um Freunde zu treffen. «Die Stimmung war jedes Mal anders, immer ein bisschen schlimmer», berichtet Ragheed. «Die unsichere Situation war immer das erste Thema, wenn ich mit meinen Verwandten und Freunden gesprochen habe», erinnert sich Ragheed an seinen letzten Irakbesuch vor zwei Jahren. «Die meisten wollten raus.»

Differenzen zwischen Christen und Muslimen gab es immer, sagt Batrus. Schon als Familie Mikha noch in Mossul wohnte, bekam sie Provokationen von Muslimen zu spüren: «Sie haben die Straßen mit Kreuzen bemalt, damit wir unser Zeichen mit Füßen treten müssen», erzählt Ragheed. Unterschwellig sind die Abneigungen nun oft zu einem Gefühl des Hasses gewachsen. Gleichwohl hat die Familie auch muslimische Freunde - hier wie dort.

Die Stimmung im Hause Mikha ist angespannt. Knapp 4.000 Kilometer von Alqosh entfernt, bangt die Familie, die nun im Berlin-Tempelhof lebt, um das Leben ihrer Freunde und Verwandten. Mehrmals täglich telefonieren sie mit ihnen. «Der Mensch ist nichts mehr wert», sagt Ragheed. Seine acht Jahre ältere Schwester Ghydaa trägt ein T-Shirt mit der englischen Aufschrift «Proud to be N», «Stolz, N zu sein». Es spielt auf die Vertreibungen aus Mossul an, als die IS-Kämpfer die Türrahmen der Christen mit einem «N» für «Nazarener» kennzeichneten.

«Gehirnwäsche durch ein paar Hassprediger» habe aus moderaten Muslimen Terroristen gemacht, meint Ragheed. Schuld an der Eskalation ist nach seiner Auffassung die religiöse Erziehung: «Wie ein Hefeteig ist der Hass aufgegangen und verschlingt jetzt alles.» Die meisten einheimischen Christen hätten deshalb kein Vertrauen mehr in den Irak.

«Wie lange sollen wir noch wandern?», fragt Batrus. Vor allem: Wohin mit den Christen? Im nordirakischen Kurdengebiet seien sie langfristig auch nicht sicher, meint das Familienoberhaupt. Dass sich das fundamentalistische «Kalifat» hält, bezweifelt die Familie indes: «Die IS sind für den Rest der Welt schwarze Schafe. Wenn die so weitermachen wie bisher, wird es niemals einen Islamischen Staat geben», ist Ragheed sich sicher.

In Deutschland geht es Familie Mikha gut. Alle Kinder studieren oder haben einen Job. Dennoch würde Vater Batrus gerne nach Mossul oder Alqosh zurückkehren. «Aber nur, wenn der Irak sicher ist und die Strukturen so sind wie in Deutschland», schränkt er ein. Der Weg bis dahin sei aber lang. «Wenn es von heute auf morgen echte Religionsfreiheit gäbe, würde es mindestens noch 70 oder 80 Jahre dauern, bis der Irak wieder sicher ist».

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