'Südkorea ist voller Erwartung und Vorfreude'

15. August 2014 in Interview


Papst Franziskus besucht derzeit Südkorea. Hintergründe der Reise und Erwartungen im Land erläutert der südkoreanische „Kirche in Not“-Mitarbeiter Johannes Klausa im Interview. Von André Stiefenhofer


Seoul (kath.net/KIN) Papst Franziskus besucht vom 14. bis 18. August Südkorea. Über die Hintergründe dieser Reise und die Erwartungen im Land berichtet der Leiter des südkoreanischen Büros des weltweiten Hilfswerks „Kirche in Not“, Johannes Klausa (im Foto mit Kardinal Stephen Kim Sou-hwan, Erzbischof von Seoul).

Kirche in Not: Herr Klausa, warum hat sich Papst Franziskus entschlossen, Südkorea zu besuchen?

Klausa: Dass der Papst die Jugend der Welt als Fackelträger des Glaubens ganz besonders im Herzen trägt, davon zeugte bereits die Wahl des Ziels seiner ersten Auslandsreise, des Weltjugendtags in Rio. In den Tagen des Papstbesuchs versammelt sich die Katholische Jugend Asiens in Korea auch zum „Asia Youth Day“. Franziskus nutzt hier geschickt die Chance, sich von Korea aus gezielt an die Jugend des gesamten Kontinents zu wenden.

Wie kaum ein anderes asiatisches Land steht Korea für die beiden Themen Christenverfolgung und Wachstum, die dem Heiligen Vater besonders wichtig sein. 1953, nach dem Ende des Koreakrieges, lebten in Korea etwa 190 000 Katholiken. Heute, nur 60 Jahre später, sind es bereits über 5,4 Millionen!

Die koreanische Kirche ist aber auch gebaut auf dem Blut und Zeugnis von knapp 10 000 Märtyrern. Katholiken standen im 18. und 19. Jahrhundert im krassen Gegensatz zu den konfuzianistischen Riten der Sogeon-Dynastie, wie etwa der Ahnenverehrung oder Huldigung des Königs. Wenn Christen ihrem Gott nicht öffentlich widersagten, kostete sie das in der Regel den Kopf. Papst Johannes Paul II. hat 1984 bereits 103 dieser Märtyrer heiliggesprochen. Im Mittelpunkt der diesjährigen Reise steht die Seligsprechung weiterer 124 koreanischer Märtyrer um Paul Yunji Chung, unter denen lediglich ein einziger Priester ist. Koreas Kirche ist eine Laienkirche. Als der erste Priester Ende des 18. Jahrhunderts koreanischen Boden betrat, gab es dort bereits 4000 Katholiken.

Schließlich steht Korea wie kaum ein anderes asiatisches Land im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Neben dem Heiligen Land ist die koreanische Halbinsel ein weiterer Konfliktherd der Weltpolitik, der in erschreckender Regelmäßigkeit auflodert und die ganze Welt in Sorge versetzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Besuch des Papstes neue Impulse für das eingefrorene innerkoreanische Verhältnis mit sich bringen kann.

Kirche in Not: Wie bereiten sich die Menschen im Land auf den Besuch vor?

Klausa: Als mich vor wenigen Wochen Kardinal Yeom Soo-jung zu einem Gespräch in seinem Büro empfing, sprang mir gleich ein Kissen mit einem Comic-Papst ins Auge. Autorität und Darstellung als Comic stehen in Korea ganz und gar nicht im Widerspruch. Auf Sympathiepunkte durch diese Form der Darstellung setzen auch Politiker im Wahlkampf und sogar die Polizei. Ähnliche Darstellungen des Papstes sehe ich mittlerweile überall im Lande. Die Palette reicht von Papst-Franziskus-Schlüsselanhängern über Plastikfiguren, Halstüchern und natürlich Papst-T-Shirts. Besonders interessant finde ich, dass die T-Shirts, die die Tausenden freiwilligen Helfer bei den Veranstaltungen mit Papst Franziskus tragen werden, von nordkoreanischen Arbeitern in der Sonderwirtschaftszone Kaesong gefertigt wurden. Dort beschäftigen südkoreanische Unternehmen knapp 50 000 nordkoreanische Arbeiter. Ob diese Arbeiter wohl wissen, dass sie einen Papstbesuch mit vorbereitet haben?

38 Koreanische Prominente haben für den Papstbesuch außerdem eine offizielle Hymne aufgenommen, die bei den verschiedenen Veranstaltungen gespielt werden soll. Natürlich verzichteten sie auf eine Gage, und der Erlös fließt direkt in ein soziales Projekt.

Auch Sicherheitsfragen stehen auf der Agenda des Vorbereitungskommittees. Der Papst bat offiziell darum, bei seinem Besuch nicht in einer kugelsicheren Limousine, sondern in einem koreanischen Kleinwagen durch die Stadt gefahren zu werden.

Natürlich bereitet sich Korea nicht nur mit Popsongs und Plastikpuppen, sondern auch in Gebetsgruppen, Lektüre und mit einem speziellen Gebet auf den Besuch des Papstes vor. Die Priester fordern ihre Gemeindemitglieder dazu auf, sich inhaltlich intensiv mit der Biografie und den Enzykliken des Heiligen Vaters, insbesondere mit der Enzyklika „Evangelii Gaudium“, auseinanderzusetzen. Auch in den säkularen Buchhandlungen biegen sich die Tische vor lauter Biografien und anderen Büchern über Papst Franzskus. Das ganze Land freut sich auf den Besuch des Heiligen Vaters und ist gründlich vorbereitet.

Kirche in Not: Wie kann man sich das katholische Gemeindeleben in Südkorea vorstellen?

Klausa: Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ist in Korea von zentraler Bedeutung. Weit wichtiger noch als in der westlichen Kultur. Insbesondere der eigene Jahrgang von Schule und Universität bestimmen ein Leben lang den Freundeskreis und ist zentraler Ausgangspunkt der eigenen Identifikation.

Im Arbeitsleben werden kaum mehr neue Freundschaften geschlossen und es ist sehr schwierig, in neuen Gruppen Anschluss zu finden. Kirchliche Gemeinden bilden eine der wenigen Ausnahme. Eine Vielzahl koreanischer Katholiken hat erst im Erwachsenenalter zum Glauben gefunden. Natürlich gibt es auch Familien, die seit Generationen katholisch sind, aber diese sind heute in der Minderheit. In der Glaubensgemeinschaft wird man mit offenen Armen empfangen. Gemeinden sind daher auch Auffangbecken für Anschlusssuchende jeden Alters.

Koreanische Gottesdienste sind sehr andächtig, emotional und gut besucht. In der Kathedrale von Myeongdong werden zum Beispiel sonntags zehn Messen gelesen. Ebenso beeindruckend ist auch der Blick in die von der Bischofkonferenz herausgegebene Statistik: die knapp über 5,4 Millionen Katholiken Koreas beichteten im Jahre 2013 über 4,6 Millionen Mal.

Kirche in Not: Was werden Ihrer Meinung nach die Schwerpunkte des Papstbesuches sein? Worum wird es Franziskus vor allem gehen, welche Akzente und Aussagen können wir erwarten?

Klausa: Die Schwerpunkte des diesjährigen Papstbesuches lassen sich recht gut am Programm ablesen: Überschrieben ist sein Besuch mit dem Vers Jesaja 60,1: „Mache dich auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.“ Eine direkte Aufforderung an jeden Gläubigen.

Beim „Asia Youth Day“ in Daejeon wendet sich der Papst gezielt an die katholische Jugend Asiens. Das Treffen steht unter dem Motto „Jugend Asiens erwache! Die Herrlichkeit der Märtyrer scheint auf Euch“.

Ein Höhepunkt seiner Koreareise ist die Seligsprechung der 124 Märtyrer.

Teile des fünftägigen Programms sind auch ein Treffen mit Führungspersönlichkeiten anderer Religionsgemeinschaften und der Besuch eines großen sozialen Projektes der katholischen Kirche. Gerade im modernen Südkorea, in dem das Streben nach materiellem Reichtum und gesellschaftlichem Ansehen allzu oft überhöht wird, wird dieser Papst mit Sicherheit Partei für die Bedürftigen und Schwachen ergreifen und klare Worte gegen die Anbetung des „schnöden Mammons“ finden.

Beim großen Gottesdienst im World Cup Stadium in Daejeon wird der Papst den Hinterbliebenen des Fährunglücks der Sewol Trost spenden. Kein ranghoher Besucher kann derzeit Korea besuchen, ohne zu diesem schrecklichen Ereignis sein Beileid auszudrücken. Außerdem ist zu erwarten, dass Papst Franziskus auch das Thema des Menschenhandels ansprechen wird: Am Beispiel des grauenhaften Schicksals der „Comfort women“, der in den japanischen Besatzungszonen zur Zwangsprostitution gezwungenen und bis in die 90er Jahre in Korea aus Scham totgeschwiegenen „Trostfrauen“. Einige der wenigen noch Überlebenden dieser Gräueltaten werden an der Versöhnungsmesse teilnehmen.

Kirche in Not: Wie stark ist die katholische Kirche in der südkoreanischen Öffentlichkeit präsent?

Klausa: Die Katholische Kirche hat in Korea ein sehr gutes Ansehen. Sie gilt als tolerant und bescheiden und besitzt in der öffentlichen Meinung moralische Autorität und Integrität. Bei einer aktuellen koreanischen Umfrage mit der Fragestellung „welche Religion ist Ihrer Meinung nach am vertrauenswürdigsten“, rangiert der Katholische Glaube mit 31,7% auf dem ersten Platz.

Grund für dieses positive Bild in der Gesellschaft mag sein, dass die koreanische Kirche stets auf „der richtigen Seite der Geschichte“ stand und ihre Glaube nicht von ausländischen Missionaren aufgezwungen, sondern von koreanische Gelehrten geprüft, für gut empfunden und daraufhin ins Land gebracht wurde. In den düsteren Kapiteln der koreanischen Geschichte kämpfte sie stets an der Seite der Armen und Unterdrückten gegen die japanischen Besatzer und später auch gegen hausgemachte Diktatoren für Demokratie und Menschenrechte. Sie hat maßgeblichen Anteil am Sozialsystem, gründete Universitäten, ist Träger vieler sozialer Einrichtungen wie Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen und sorgt für die von der Gesellschaft Vergessenen oder Verdrängten.

Kirche in Not: Welche Rolle spielt Südkorea in Ostasiens Zukunft und welche speziellen Gebetsanliegen haben unsere südkoreanischen Mitchristen für uns?

Klausa: Die Zukunft hat in Korea schon lange begonnen. Vor allem mit einer beispiellosen wirtschaftlichen Entwicklung. Als wirtschaftliches „Powerhouse“ der Region hat es den Anschluss an den Club der Wirtschaftsmächte geschafft und sich als asiatisches Schwergewicht etabliert.

Bei all dieser rasanten Entwicklung kam in vielen Belangen die Entfaltung des Individuums zu kurz. Oft wird die Tradition vergessen, allem Neuen nachgejagt und unter der modernen „Balli-Balli-Gesellschaft“ (balli-balli = schnell-schnell) leidet zu aller erst die Menschlichkeit. Für Viele kam der Reichtum über Nacht und man hatte nicht gelernt, mit Reichtum umzugehen. Statusangst und Leistungsdruck sind für Sieger wie Verlierer dieses Spiels unerträglich. Gesellschaftlicher Aufstieg und Fall liegen hier oft sehr nah beieinander

Wichtige Gebetsanliegen aus Korea könnten neben dem stets aktuellen Gebet um Frieden, Versöhnung und Wiedervereinigung also auch weniger populäre, teilweise gar tabuisierte gesellschaftspolitische Themen betreffen. So etwa ein Gebet für „Entschleunigung“ und die Minderung des unerträglichen Drucks, der innerhalb der knochenharten Gesellschaft von oben nach unten weitergegeben wird. Oder etwa die Zerrissenheit der Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne, Arm und Reich, progressiven und konservativen Kräften.

KIRCHE IN NOT hat eine lange Geschichte in Südkorea – schon in den 60er Jahren hat der Gründer des Hilfswerks, Pater Werenfried van Straaten, das noch stark vom Krieg gezeichnete Land besucht und eine Welle der Hilfsbereitschaft für Korea in Europa entfacht. Können Sie uns etwas darüber erzählen, wie sich diese Hilfe seitdem entwickelt hat?

Bevor ich im Mai zurück nach Korea gekommen bin, habe ich ausführlich im Königsteiner Archiv gestöbert. In Hunderten von Projektanträgen, Jahresberichten und natürlich dem „Echo der Liebe“ finden sich unzählige Zeugnisse des Engagements von Pater Werenfried und „Kirche in Not“ in Korea. Auf seine Fußspuren treffe ich auch heute immer wieder.

Mindestens zwei Reisen des Speckpaters, 1961 und 1962, lassen sich belegen. Von Seoul sprach er als „der Stadt des Elends“. Die Zeiten haben sich drastisch geändert!

Diese Entwicklung spiegeln auch in etwa die Projekte von „Kirche in Not“ in Südkorea wider. Wir haben uns mit verhältnismäßig großen Beträgen an einzelnen Bauprojekten, wie beispielsweise dem Bau des Priesterseminars in Suwon oder der Erweiterung des Seminars in Seoul, beteiligt. In den Akten fand ich aber auch zahlreiche Projekte wie Existenzhilfen für Schwestern und Ordensbrüder, Büchergeld, Geld für Transportmittel oder auch regelmäßige Unterstützung von katholischen Instituten und Menschen, die mit dem Geld unserer Wohltäter halfen, die koreanische Kirche von heute aufzubauen. Mittlerweile geht es der katholischen Kirche Koreas finanziell sehr gut. Noch nie zuvor habe ich so viele gut ausgestattete und moderne Kirchen und Gemeindezentren gesehen. Die Saat, zu der auch unser Hilfswerk beigetragen hat, hat reiche Frucht getragen.

Kirche in Not: Sie selbst sind sozusagen der letzte "Meilenstein" in dieser langen Geschichte der Hilfe. Seit wann hat KIRCHE IN NOT nun schon ein eigenes Büro in Südkorea und was planen Sie für die Zukunft?

Klausa: Der Meilenstein ist noch nicht ganz gesetzt! Vor dem Hintergrund der Geschichte der koreanischen Kirche, ihren Märtyrern, der eigenen Erfahrung von Leid, Armut, Zerstörung und Krieg, aber auch dem Bewusstsein, dass Veränderung des Status Quo und Aufschwung möglich sind, hat Korea wie kaum ein anderes Land ein umfassendes Verständnis dafür entwickelt, was „Kirche in Not“ bedeutet. Ein Verständnis, auf das ich hier nun in Seoul bauen möchte.

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KIRCHE IN NOT ist ein internationales katholisches Hilfswerk. Das Werk leistet weltweit geistliche und materielle Hilfe für Christen, die wegen ihres Glaubens bedroht oder verfolgt werden.

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Foto Johannes Klausa mit Kardinal Stephen Kim Sou-hwan © Kirche in Not


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