Droht ein neuer Krieg in Nahost?

10. Juli 2014 in Aktuelles


Experte Gerloff: Israels einziges Ziel ist, dass der Beschuss aufhört


Jerusalem/Gaza (kath.net/idea) Die Lage in Israel spitzt sich zu. Nach dem anhaltenden Raketenbeschuss der letzten Tage bereitet sich Israel auf eine mögliche Bodenoffensive im Gaza-Streifen vor. Die palästinensische Terrororganisation Hamas hatte neben Zielen im Süden des Landes am 8. Juli auch erstmals Jerusalem attackiert. Unweit der israelischen Hauptstadt schlug eine Rakete ein. Auch in anderen Orten im Zentrum des Landes mussten die Menschen in die Luftschutzbunker flüchten. Warnsirenen waren in den südlichen Städten Ashdod, Ashqelon und Beer Sheba sowie in den Metropolen Tel Aviv und Jerusalem bis ins unmittelbar südlich von Haifa gelegene Binyamina zu hören. Das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome (Eiserne Kuppel) zerstörte mindestens zwei Geschosse über Tel Aviv. Teile einer M-302 Rakete syrischer Bauart schlugen auf einem freien Feld bei Hadera, 40 Kilometer nördlich von Tel Aviv und etwa 110 Kilometer nördlich des Gaza-Streifens, ein. Israel reagierte mit gezielten Angriffen auf Führer der Hamas und des ebenfalls für Raketenangriffe verantwortlichen Terrorgruppe „Islamischer Dschihad“. Dabei wurde der 35-jährige Dschihad-Führer Hafez Hamed getötet, der von Israel für den Beschuss der Stadt Sderot verantwortlich gemacht wird. Insgesamt attackierte die israelische Luftwaffe in der Nacht zum 9. Juli rund 160 terroristische Ziele.

Israel beruft 40.000 Reservisten ein

Für den möglichen Einmarsch in den Gaza-Streifen, aus dem sich Israel 2005 vollständig zurückgezogen hatte, genehmigte das Sicherheitskabinett die Einberufung von 40.000 Reservisten. Laut dem Israel-Experten des christlichen Medienverbundes KEP (Konferenz Evangelikaler Publizisten), Johannes Gerloff (Jerusalem), hat Israel kein Interesse an einer Bodenoffensive. „Jeder in Israel weiß, dass ein Einmarsch tote Soldaten bedeutet“, sagte er der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Auch stelle sich die Frage, wie man dann wieder herauskomme. Israels einziges Ziel sei es „die suizidveranlagte Führung der Hamas“ so unter Druck zu setzen, dass sie den Beschuss einstelle. Wolle Israel die Raketeninfrastruktur der Hamas aber dauerhaft zerschlagen, führe an einem Einmarsch kein Weg vorbei. Dies würde allerdings einen verlustreichen Haus-zu-Haus-Kampf bedeuten, bei dem sich die Hamas wieder einmal hinter Zivilisten verschanzen würde. Israel habe zwar die Macht, die Hamas zu stürzen. Es bestehe allerdings die Gefahr, dass dann noch radikalere, salafistische Gruppen dort die Macht eroberten.

Armee warnt Zivilisten telefonisch

Für Gerloff ist es bemerkenswert, wie wenig Tote es bisher auf palästinensischer Seite gegeben hat. Normalerweise kämen in einem Krieg auf einen getöteten Kämpfer rund 30 getötete Zivilisten, erklärt er. „Israel hat es aber bereits seit dem Libanon-Krieg 2006 geschafft, dieses Verhältnis auf 1:1 zu senken.“ Zudem warnt die israelische Armee palästinensische Zivilisten durch Telefonanrufe, bevor sie ein Gebäude bombardiert. Diese werden von den Palästinensern jedoch häufig ignoriert. Es gäbe noch weniger Opfer auf palästinensischer Seite, so Gerloff, wenn die Palästinenser „statt in Angriffstunnel, durch die sie Raketen schmuggeln können, in Luftschutzbunker investiert hätten“. Neben dem Abwehrsystem Iron Dome sei vor allem die zivile Infrastruktur der Grund, warum es auf israelischer Seite derzeit noch keine Toten gegeben habe. Die Erfolgsquote von Iron Dome liegt im gegenwärtigen Konflikt laut Angaben des israelischen Militärs bei über 90 Prozent.

Morde und Entführungen

Der Eskalation vorausgegangen war die Entführung dreier israelischer Jugendlicher. Sie waren am 12. Juni in der Nähe von Hebron verschleppt und am 30. Juni tot aufgefunden worden. Israel machte die Hamas für die Tat verantwortlich und nahm über 500 Mitglieder der Organisation fest, darunter auch solche, die 2011 im Austausch für den entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit freikamen. Diese Ereignisse sind nach Meinung Gerloffs jedoch genauso wenig Auslöser der jetzigen Krise wie die Ermordung eines arabischen Jugendlichen durch israelische Nationalisten am 2. Juli: „Der Zusammenhang wird von der Hamas konstruiert.“ Der Mord an Muhammad Abu Khdeir hatte in der israelischen Gesellschaft eine Welle der Empörung ausgelöst. Orthodoxe Rabbiner hatten sogar die Todesstrafe für die sechs jungen Männer gefordert, die den 16-jährigen auf dem Weg zur Moschee entführten und laut Obduktionsergebnis bei lebendigem Leib verbrannt hatten. Gerloff: „Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Seiten in dem Konflikt ist, dass die palästinensischen Terroristen Zivilisten auf beiden Seiten schaden wollen. Israels Militär ist aber auch, allein aus propagandistischen Gründen, der Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung ein Kernanliegen.“


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