Nachteilscard Family

2. Juli 2014 in Kommentar


Wie die ÖBB (Österreichische Bundesbahn) Mehrkinderfamilien diskriminiert - Ein Offener Brief von Eric Garz


Wien (kath.net)
Seit einigen Monaten diskriminiert die ÖBB mit einer neuen Verkaufspolitik bei den Tickets Familien mit mehr als 2 Kindern. Kath.net-Mitarbeiter Eric Garz hat dazu der ÖBB und der österreichischen Verkehrsministerin Bures einen Offenen Brief geschrieben. Im WORTLAUT auf kath.net:

Sehr geehrter Herr Mag. Kern,

sehr geehrte Frau Verkehrsministerin Bures,

gestern brachte ich meine 3 Söhne (9, 11 und 13 Jahre) zum Bahnhof Schärding, OÖ. Das Zugticket nach Wien und retour kostete für die Drei mit der "Vorteilscard Familie" bisher knapp 50 EUR: Ein Kind zahlte den Kinderpreis, Geschwister fuhren verkehrsverbundüberschreitend gratis mit. Doch diese haben Sie, Herr Mag. Kern, nun leider abgeschafft.

Jetzt gibt es stattdessen um 19 € die "Vorteilscard Family". Zentrale Neuerung: Keinerlei Ermäßigungen mehr speziell für Familien! Stattdessen ein paar Ermäßigungen für Jedermann, sie ist jetzt eine "Jedermann-Card". Jeder Inhaber dieser neuen Vorteilscard ab 15 Jahre kann bis zu zwei Kinder, es müssen nicht die eigenen sein, gratis mitnehmen, und fährt dann selbst auch um die Hälfte. Finde ich OK!

Doch Geschwisterkinder aus derselben Familie sind ab jetzt nicht mehr relevant. Fahren diese gemeinsam ohne Eltern, zahlt jeder einzelne jetzt neuerdings den Normalpreis für Kinder (50 % des Preises für Erwachsene), so als hätten sie nichts miteinander zu tun und würden sich nicht einmal kennen.

Konkrete Auswirkung für uns: Das Zugticket für meine 3 Söhne kostet für dieselbe Strecke statt 50 EUR nun 150 EUR, dreimal so viel wie vorher!

Bin ich als Vater mit meinen insgesamt 4 Kindern zwischen 6 und 13 nach Wien und Retour gefahren, kostete mich das Ganze ebenfalls knapp 50 EUR, jetzt kostet dieselbe Leistung ca. 150 EUR (Vater 50 €, 2 Kinder gratis, 2 Kinder jetzt neuerdings jeweils 50 €). Auch in dieser Konstellation Preissteigerung um 200%.

Ein mit uns befreundetes Ehepaar hat 10 Kinder. Unterstellt, der Papa wäre mit seinen Kindern auf derselben Strecke mitgefahren, und unterstellt, die Kinder wären alle zwischen 6 und 14 (zugegeben etwas sehr sportlich, die tatsächliche altersmäßige Bandbreite der Kinder ist etwas höher), hätte die Fahrt mit der Vorteilscard Familie 50 EUR gekostet, mit der neuen Vorteilscard Family dagegen knapp 450 € - neunfacher Preis, Preissteigerung um 800 %.! Oder ohne Vorteilscard Family als Gruppentarif, der aber mit Familie nichts zu tun hat, 390 €, immer noch achtfacher Preis.

Sehr geehrter Herr Mag. Kern, wenn neuerdings nun die Oma, der Stiefvater, die Lebenspartnerin oder der Nachbar sich Vorteilscard Family kaufen und dann zwei Kinder gratis mitnehmen dürfen, ist das gut so und sehr begrüßenswert! Doch warum holen Sie sich das Geld zur Gegenfinanzierung für diese Neuerungen ausgerechnet von den Mehrkindfamilien, die ganz besonders einer Unterstützung bedürfen? Warum lassen Sie ausgerechnet das 3., 4. und 5. Kind einer Familie dafür bezahlen? Warum streichen Sie auf einmal den gemeinsam ohne Eltern reisenden Geschwisterkindern die Familienermäßigung?

Und Sie, Frau Verkehrsministerin Bures von der SPÖ, von Haus aus sonst immer auf’s Soziale bedacht, verteidigen diesen sozialen Kahlschlag an den Wurzeln unserer Gesellschaft, an der Familie, in den Medien. Wo bleibt da Ihre soziale Ader? Gerade Sie als Ministerin wissen doch sehr viel besser als ich: Erst eine Familie mit 3 Kindern bedeutet Bevölkerungswachstum, weniger Kinder heißt Schrumpfung der Kernbevölkerung. Sollen Sie kinderreiche Familien deshalb nicht doch eher fördern? Für viele kinderreiche Familien wird Bahnfahren unter Ihrer Regentschaft des Verkehrswesens, das dürfen Sie sich heute auf Ihre Fahnen schreiben, jedenfalls erstmals in der Geschichte der ÖBB jetzt zu einem sehr teuren Luxus, den sie sich einfach nicht mehr leisten können! Sie vertreiben ausgerechnet die kinderreichen Familien aus Ihren Zügen, gerade die, die Leben in Ihre Züge bringen, über die sich die meisten Landsleute doch noch freuen, wie ich immer wieder erleben darf, wenn ich mit meinen Kinder in Ihre Züge steige. "Ihre" Züge, Frau Verkehrsministerin Bures, sage ich deshalb, weil die ÖBB trotz Privatisierung noch immer 100% Staatseigentum sind und sich deshalb auf politische und damit auf Ihre Ziele ausrichten und die ÖBB in letzter Instanz deshalb das tut, was Sie wollen!

Auch für meine 3 Söhne, die bisher jeden Monat mit der ÖBB ein bis zwei weitere Strecken gefahren sind (bisher ca. 500 EUR Zugkosten pro Jahr, jetzt etwa 1.500 EUR), weil sie aktiv bei Konzertveranstaltungen mitwirken, suche ich bereits Fahrgemeinschaften und versuche, weil zu teuer, die ÖBB wo es geht zu meiden. Deshalb meine Bitte: Gerade Familien sind oft auf die Bahn angewiesen, machen Sie Bahnfahren auch für Familien mit mehreren Kindern wieder attraktiv!

Sollten Sie kinderreiche Familien wirklich nicht mehr in Ihren Zügen sehen und auf die Straße vertreiben wollen, vielleicht weil sie stören, zu laut sind und die anderen Fahrgäste stören, dann nennen Sie die neue Vorteilscard bitte wenigstens nicht mehr - m. E. etwas scheinheilig - "Vorteilscard Family". Ehrlichere Alternative: "Nachteilscard Family".


© 2014 www.kath.net