Türkei: Warum wird der Prozess um Christenmorde verschleppt?

26. Juni 2014 in Chronik


Vor sieben Jahren wurden drei Mitarbeiter eines christlichen Verlags getötet - Während an der Schuld der fünf Täter, die Folter und Mord gefilmt hatten, kein Zweifel besteht, ist die Beteiligung möglicher Hintermänner weiterhin unklar.


Malatya (kath.net/idea) In der Türkei ist ein Ende des bereits sieben Jahre dauernden Prozesses gegen fünf mutmaßliche Christenmörder nicht abzusehen. Die Männer hatten am 18. April 2007 in der osttürkischen Stadt Malatya drei Mitarbeiter des christlichen Zirve-Verlages (Foto) gefoltert und ihnen die Kehlen durchgeschnitten. Ein Opfer war der damals 45 Jahre alte Deutsche Tilman Geske, der seit 1997 mit seiner Familie in der Türkei lebte. Die fünf Angeklagten waren nach siebenjähriger Untersuchungshaft im März unter Hausarrest gestellt worden. Der Grund: Ein neues Gesetz verlangt, dass Beschuldigte nicht mehr als fünf Jahre in Untersuchungshaft verbringen dürfen. Am 24. Juni fand der erste Verhandlungstag des neu aufgerollten Prozesses unter Vorsitz eines neuen Richters statt. Dieser weigerte sich, die Angeklagten erneut zu inhaftieren.

Angeklagte unter Hausarrest

Nach Angaben eines Anwalts der Opfer hat sich mindestens ein Angeklagter über den Hausarrest hinweggesetzt. Laut Informationen des mit dem Prozess vertrauten österreichischen Journalisten Werner Bartl ist es „technisch nicht umsetzbar“, den Hausarrest über die elektronischen Fußfesseln zu kontrollieren. „Einer der Angeklagten wohnt so abgelegen, dass keine Signale ausgesandt und empfangen werden können“, kritisierte er gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Bei Prozessbeginn sei sogar vergessen worden, den Gefangenen abzuholen und zum Gericht zu bringen. Von den weiteren 24 Personen, die als Hintermänner bei der Ermordung verdächtigt werden und in Untersuchungshaft sitzen, kamen zum Prozessbeginn vier frei. Susanne Geske, Witwe des ermordeten Deutschen, zeigte sich bestürzt über die Nachlässigkeit der Behörden: „Auch die türkische Bevölkerung ist über das Vorgehen der Justiz verunsichert. Was werden die Täter nun als nächstes machen?“ fragte sie in der Fernsehnachrichtensendung ideaHeute.

Nationalistische Kreise verstrickt?

Ein Grund für die lange Dauer der Ermittlungen sind die politischen Verstrickungen des Falls in türkisch-nationalistische und möglicherweise islamistische Kreise. Während an der Schuld der fünf zum Tatzeitpunkt 19 und 20 Jahre alten Männer, die ihre Tat gefilmt hatten, kein Zweifel besteht, ist die Beteiligung möglicher Hintermänner weiterhin unklar.

Die türkischen Behörden verdächtigen das Ergenekon-Netzwerk, das bis in höchste politische Kreise reicht. Am 24. Juni musste auch der ehemalige General Hursit Tolson beim Prozess erscheinen, der zuvor von einem Istanbuler Gericht wegen angeblicher Beteiligung an einem Putschversuch gegen die Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdogan zu einer Haftstrafe von 129 Jahren verurteilt worden war. Im August wird das Gericht darüber entscheiden, ob der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder der Christen von den Ermittlungen gegen die Hintermänner getrennt wird.

Sollte dies nicht geschehen, rechnet Bartl damit, dass sich der Prozess noch Jahre hinziehen könnte, die die Täter im Hausarrest verbringen würden. Die Türkei hat rund 75 Millionen Einwohner, von denen 95 Prozent Muslime sind. Die Zahl der Christen liegt bei 120.000; darunter sind etwa 4.000 Evangelikale.

ideaHeute vom 25.06.2014: Ende des Prozesses um Christenmorde ist in Türkei nicht abzusehen - Motorradgottesdienst Hamburg - Christliche Gästehäuser [Im Video auf „youtube“-Symbol klicken]


ideaHeute: Sudanesische Christin erneut verhaftetet - Noch immer keine Strafe für türkische Christenmörder - Käßmann und Broder über Pazifismus



© 2014 www.kath.net