Di Fabio: Die Kirchen sollten mutiger sein

19. Juni 2014 in Deutschland


EKD und Bischofskonferenz diskutieren Gemeinsames Sozialwort – Di Fabio: Die Kirchen sollten deutlich machen, dass die freie Gesellschaft ihre Wurzeln im christlichen Menschenbild hat


Berlin (kath.net/idea) Die Kirchen sollten bei der Verkündigung ihrer Botschaft mutiger sein und deutlich machen, dass die freie Gesellschaft ihre Wurzeln im christlichen Menschenbild hat. Dafür plädierte der frühere Bundesverfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio (Foto) bei einem Kongress der Ökumenischen Sozialinitiative des Rates der EKD und der (katholischen) Deutschen Bischofskonferenz am 18. Juni in Berlin. Anlass war das im Februar vorgestellte Gemeinsame Sozialwort der beiden großen Kirchen. Es wendet sich gegen Gier und Maßlosigkeit in der Wirtschaft und fordert Konsequenzen aus der Finanzkrise. Gewinnmaximierung um jeden Preis dürfe nicht länger toleriert werden. Di Fabio zufolge ist das Sozialwort maßvoll formuliert. Die meisten Bürger könnten ihm zustimmen. Die Aufgabe der Kirchen sei es jedoch nicht, Kapitalismus und Staatsversagen zu beklagen oder dem Bundesfinanzminister Rezepte anzubieten. Vielmehr müssten sie die tieferen kulturellen Gründe für die derzeitige Krise aufzeigen. Sie verfügten über eine Botschaft, die über das Ökonomische hinausgehe. Es sei eine biblische Einsicht, dass jeder Einzelne einen unwägbaren Wert in sich trägt. Die im Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit der Menschenwürde finde hier ihre Begründung. Die Gesellschaft dürfe deshalb niemand am Rande liegen lassen.

Bedford-Strohm: Wirtschaft gehört zu den wirkmächtigsten Kräften, ohne genügend kontrolliert zu werden

Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm (München), zeigte sich überzeugt, dass politische Stellungnahmen zum Kerngeschäft der Kirche gehörten. Sie sei weltweit vernetzt und könne die Perspektiven von Christen aus anderen Ländern in die Diskussion einbringen. Zudem hätten die Volkskirchen viele politische Verantwortungsträger in ihren Reihen. Laut Bedford-Strohm darf die Gesellschaft sich nicht von Mächten bestimmen lassen, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen. Derzeit gehöre die Wirtschaft zu den wirkmächtigsten Kräften, ohne genügend kontrolliert zu werden. Es sei notwendig, den Vorrang der Politik wiederzugewinnen. Sie sei derzeit weit davon entfernt, auf die Herausforderungen der Gegenwart eine hinreichende Antwort zu geben. Es gelte, die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft zu überwinden und die Wirtschaft ökologisch zu transformieren. Andere Nationen und künftige Generationen müssten einen fairen Anteil an den natürlichen Ressourcen bekommen. Schon jetzt hätten Menschen in anderen Teilen der Welt unter den desaströsen Folgen des Klimawandels zu leiden. Bedford-Strohm: „Sie zahlen den Preis für unseren Lebensstil.“ Die Energiewende dürfe daher nicht mit Kostenargumenten gebremst werden.

Nahles kündigt Reichtumsbericht an

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kündigte die Veröffentlichung eines neuen Armuts- und Reichtumsberichts an. Schwerpunkt solle die Untersuchung des Reichtums sein. Dieser sei mit Macht und Exklusivität verbunden und könne andere Menschen von der Teilhabe ausschließen. Nahles äußerte sich auch zum flächendeckenden Mindestlohn. Dessen Ziel sei es, „Tarifwüsten“ zu überwinden. Die Befürchtungen, dass dadurch Hunderttausende arbeitslos würden, seien unbegründet. „Absolut inakzeptabel“ nannte Nahles die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dies beschädige den Geist Europas.

Moraltheologe: Kirche muss im Diesseits eine bessere Welt schaffen

Der Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, Prof. Peter Schallenberg (Mönchengladbach), forderte die Kirche auf, nicht nur auf das Leben nach dem Tod hinzuweisen, sondern auch im Diesseits eine bessere Welt zu schaffen. Das Gemeinsame Sozialwort sei kein profilierter Kampftext, sondern der Versuch, Gemeinsamkeit zwischen der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche herzustellen. Man könne mit den Reaktionen auf das Papier zufrieden sein. Allerdings solle es Ehe und Familie nicht nur als ökonomische Ressource darstellen, sondern als Grundlage der Gesellschaft.

Diakonie-Vorstand: Sozialwort hätte deutlicher sein können

Der Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, Maria Loheide (Berlin), bezeichnete das Sozialwort als wichtiges Signal der Kirchen an die Politik. Die Schere zwischen Arm und Reiche klaffe immer weiter auseinander. Dies sei ungerecht. Loheide zufolge hätte man sich an manchen Stellen des Papiers deutlichere Worte gewünscht, etwa zur Aufnahme von Flüchtlingen, der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie zur Bevölkerungsentwicklung. Vielen Menschen drohe Altersarmut.

ZdK-Präsident: Papier ist wenig wirksam

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück (Traunwalchen/Oberbayern), sagte, Katholiken hätten das Papier sehr positiv aufgenommen. Allerdings sei es wenig wirksam. Laut Glück ist zu befürchten, dass Politiker das Papier als „typisch kirchlich“ wahrnehmen. Es setze sich für die Schwachen ein, versäume jedoch, sich mit der Frage von Innovation, Investition und Wettbewerb auseinanderzusetzen. Nur eine starke Wirtschaft sei zu sozialem Ausgleich fähig.

EKD-Kammer für soziale Ordnung: Vielleicht fehlt der prophetische Ton

Der Vorsitzende der Kammer für soziale Ordnung der EKD, Prof. Gustav A. Horn (Düsseldorf), erklärte, dem Sozialwort fehle vielleicht der prophetische Ton, den man von den Kirchen erwarte. Allerdings sei ihm eine anregende falsche These lieber als eine langweilige richtige. Das Sozialwort biete genügend Anregungen zur Diskussion.

Foto di Fabio (c) www.bundesverfassungsgericht.de


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