Kirchenhistoriker: Glaubensfreiheit war in der DDR nur Aushängeschild

10. Juni 2014 in Chronik


Aufarbeitung der SED-Diktatur: Christen wurden systematisch benachteiligt


Berlin (kath.net/idea) Die offiziell propagierte Glaubensfreiheit in der DDR war vor allem ein Aushängeschild nach außen. Religion konnte jedoch nur in der Nische gelebt werden. Diese Ansicht vertrat der Kirchenhistoriker Prof. Klaus Fitschen (Leipzig) bei einer Tagung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zum Verhältnis von Religion und Staat in der DDR Anfang Juni in Berlin. Die Veranstaltung fand in Zusammenarbeit mit dem Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und der „Deutschen Gesellschaft“ statt. Fitschen zufolge wurden Christen in der DDR systematisch benachteiligt. Der Herrschaftsanspruch der SED-Diktatur sollte in allen Lebensbereichen untermauert werden. Besonders in den fünfziger Jahren habe es schwere Verfolgungen von Christen gegeben. Die Kirchen hätten dadurch viele Mitglieder verloren. In der Führungsschicht der DDR habe es keine Anhänger einer Religion gegeben. Zwar sei es möglich gewesen, als Christ Lehrer zu werden, das Amt eines Schuldirektors sei ihm jedoch verwehrt geblieben. Viele Christen hätten bereits Schwierigkeiten gehabt, das Abitur abzulegen oder ein Studium aufzunehmen. Während sich das Verhältnis zwischen Kirche und Staat verbesserte, hätten es einzelne Christen bis zum Ende der DDR schwer gehabt. Allerdings sei die Lage der Christen dort besser gewesen als in anderen kommunistischen Staaten.

Bischof Feige: Zwischen Ausgrenzung, Anpassung und Opposition

Nach den Worten des Bischofs des Bistums Magdeburg, Gerhard Feige, haben sich Katholiken in der DDR im Spannungsfeld zwischen Ausgrenzung, Anpassung und Opposition bewegt. Er selbst würde sich nicht als Widerstandskämpfer bezeichnen. Er sei jedoch stolz gewesen, ein Außenseiter zu sein. Viele Katholiken hätten darunter jedoch auch gelitten. Als Katholik habe er in einer Parallelgesellschaft in großer Distanz zur Gesellschaft gelebt. Feige: „Wir haben eine Insel der Seligen gebildet. Ein Großteil des Lebens vollzog sich in der Gemeinde.“

In der DDR habe es eine besondere Form der Ökumene gegeben. Entscheidend sei nicht gewesen, ob man Katholik oder Protestant, sondern ob man gläubig gewesen sei. In den achtziger Jahren sei die DDR ökonomisch bereits so geschwächt gewesen, dass sie bereit gewesen sei, ihre Ideologie zu verkaufen. So seien mit D-Mark bezahlte Kirchenneubauten möglich geworden.

Baptistenpastor: Evangelisationen waren in der DDR gut besucht

Laut dem Baptistenpastor und Liedermacher Jörg Swoboda (Buckow bei Berlin) waren Evangelisationen in der DDR sehr gut besucht. So habe der Staat in Waren an der Müritz als Konkurrenz zu einer Evangelisationswoche eine Diskothek angeboten. Diese habe jedoch schließen müssen, da die Jugendlichen lieber die Evangelisation besuchten. Sie hätten gespürt, dass bei Christen ein offenes Gespräch ohne Tabus möglich gewesen sei. Er habe bei Evangelisationen deutlich gemacht, dass Marxisten und Christen in unterschiedliche Richtungen strebten, so Swoboda.

Generalsekretärin des Kirchentages: Wir haben Kompromisse gemacht

Die 1967 in Ost-Berlin geborene Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Ellen Ueberschär (Fulda), sagte, das vorherrschende Grundgefühl sei das einer bleiernen Zeit gewesen. Sie habe nicht damit gerechnet, dass die Mauer fallen würde. Angst habe eine große Rolle gespielt. Sie stehe dazu, Kompromisse gemacht zu haben. Ueberschär: „Wir waren stinknormale Gemeindechristen.“ So sei es ihr wichtig gewesen, Abitur machen zu können, um aus der geistigen Enge herauszukommen. Den Mut zum Widerstand hätten nur wenige Christen gehabt.

Jüdische Kantorin: Gemeinde hatte lange Angst

Die Kantorin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Jalda Rebling, erklärte, die jüdische Gemeinde sei nach dem Holocaust heimatlos und traumatisiert gewesen. Man habe noch in den fünfziger und sechziger Jahren Angst vor den Deutschen gehabt. Viele jüdische Familien hätten ihren Glauben verdrängt. Es habe lange gedauert, bis das jüdisch-christliche Gespräch begonnen habe. Die jüdische Gemeinde sei mit einem geschlossenen Freundeskreis vergleichbar gewesen. In diesem Kreis habe man sich frei austauschen können. Hilfreich sei der Wiederaufbau von Synagogen durch den Staat gewesen.


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