Sollen Mütter in der Öffentlichkeit stillen?

22. Mai 2014 in Familie


Der Vatikan hat zum Stillen in der Öffentlichkeit ermutigt. Doch dies ist auch hierzulande nicht nur selbstverständlich. Es stellt sich die Frage: Ist unsere Kultur ausgerechnet beim Stillen prüde? Ein Kommentar von Petra Lorleberg


Stuttgart (kath.net/pl) Sollen Mütter in der Öffentlichkeit stillen? Den jüngsten Beitrag zu dieser Frage lieferte ausgerechnet die angeblich so leibfeindliche katholische Kirche. Gemäß Meldung der „Katholischen Nachrichtenagentur“ (KNA) sagte Erzbischof Zygmunt Zimowski, Präsident des päpstlichen Gesundheitsrates, vor der Weltgesundheitskonferenz in Genf am Mittwoch laut Redeskript: Frauen sollten ermutigt werden, ihre Kinder auch in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz zu stillen. Zimowski erinnerte daran, dass auch Papst Franziskus beim Taufgottesdienst in der Sixtinischen Kapelle Anfang Januar die Mütter zum Stillen während der liturgischen Feier eingeladen hatte.

In den USA ist das öffentliche Stillen beispielsweise durchaus nicht überall akzeptiert. In den Reisehinweisen für die USA veröffentlicht das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland folgenden Info: „Das Stillen von Babys in der Öffentlichkeit wird zwar mittlerweile in wohl allen Bundesstaaten von den ‚indecent exposure‘-Strafvorschriften ausgenommen, sollte wie das Nacktbaden am besten jedoch zumindest in Restaurants und Bars bzw. in weniger ‚liberalen‘ Gegenden unterlassen werden“.

Auch für den deutschsprachigen Raum offenbart ein Blick in Internetdiskussionen Prüderie im Umgang mit stillenden Müttern. Der Anblick einer Mutterbrust, an der gesaugt werde, sei „unappetitlich“, postete da jemand, und man möchte mit diesem Thema nicht in einem Café konfrontiert werden. Missbilligende Blicke auf stillende Mütter sind offenbar so selbstverständlich, dass Aussagen darüber nicht in Zweifel gezogen werden. Manche Frauen diskutieren ernsthaft darüber, ob man sich zum Stillen im Café besser auf die Gasthaustoilette zurückziehen soll – ja, wir schreiben das Jahr 2014 und wir leben in einer modernen westlichen Gesellschaft!

Die Frauenzeitschrift „Brigitte“ veröffentlichte erst im März dieses Jahres einen Bericht, wonach in Großbritannien eine in der Öffentlichkeit stillende Mutter heimlich fotografiert worden und das Foto auf Facebook veröffentlich worden war. Die stillende Mutter wurde dort mit dem Ausdruck „Flittchen“ bezeichnet. Daraufhin protestierten, so die „Brigitte“, Tausende britische Frauen für das Recht, ihren Babys auch in der Öffentlichkeit die Brust geben zu dürfen – und sie protestierten, indem sie öffentlich stillten.

Der Kurienerzbischof hat völlig Recht. Frauen, die öffentlich stillen, sollten selbstverständlich sein. Gut, dass die katholische Kirche darauf hinweist und man darf dies sicher auch im weiteren Zusammenhang mit der Theologie des Leibes gemäß dem hl. Papst Johannes Paul II. sehen.

Doch das Thema „Öffentliches Stillen“ führt zu einer nächsten Frage: Wieso brauchen wir Frauen eigentlich die Zustimmung der (männlichen?) Bürokollegen oder Cafébesucher für eine solche Selbstverständlichkeit? Wer als Mann mit dem Anblick einer stillenden Frau nicht zurechtkommt, der soll den Fehler bitteschön bei sich selbst suchen und nicht bei der Frau und den berechtigten Bedürfnissen eines hilflosen Babys. Es kann doch nicht sein, dass in unserer Kultur so ziemlich alles toleriert und akzeptiert werden muss (darunter weitaus Heftigeres als Illustriertenbilder entblößter silikonverzerrter Oberweite), aber völlig normale und gesunde Körperlichkeit wie das Stillen schamhaft verborgen werden soll? Es darf auch nicht sein, dass Abtreibung gesellschaftlich leichter zu akzeptieren ist als eine stillende Mutter. Unsere Gesellschaft ist eingeladen, über das Unrecht solcher Wertmaßstäbe einmal nachdenken.

Wir Frauen müssen uns in unserem Muttersein nicht verstecken. Weder wegen eines Babybauches noch wegen des Stillens und das ist durchaus eine Frage der Emanzipation. Denn Emanzipation heißt ja nicht, dass wir ausschließlich männliche Rollenbilder kopieren.

Wenn wir Frauen in unserer Gesellschaft wirklich emanzipiert sein wollen, dann sollten wir unsere Rechte gerade auch für das Muttersein voll in Anspruch nehmen. Und da fällt uns vermutlich noch einiges mehr ein als nur das Thema Stillen in der Öffentlichkeit – gerade im Bereich Mutterschaft und Familie!

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Gemälde des Renaissance-Malers Andrea Solario (1460-1524): Maria lactans - Maria stillt das Jesuskind

 

 


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