Offener Brief an Walter Kardinal Kasper

16. April 2014 in Kommentar


Überlegungen und Fragen im Anschluss an die Rede beim Konsistorium und das Buch „Das Evangelium von der Familie“. Ein Gastkommentar von Michael Schäfer


Stuttgart (kath.net) Eminenz, sehr geehrter Herr Kardinal Kasper,

mit Ihrer Rede vor dem Konsistorium und dem aus dieser Rede resultierenden Buch „Das Evangelium von der Familie“ haben Sie sich nach eigenem Bekunden um die „Ouvertüre“ zum synodalen Prozess „Pastorale Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“ bemüht. Die Diskussion im Rahmen dieses Prozesses ist natürlich zunächst und vor allem eine der zur Synode versammelten Bischöfe. Im Vorwort Ihres Buches steht aber auch der Satz: „Deshalb sollten an der Diskussion nicht zuletzt Christen, welche in familiären Situationen, teilweise auch in schwierigen, leben, zu Wort kommen“. Dieser Satz ermutigt mich, Ihnen einige Überlegungen und Fragen zu Ihrer Rede vorzulegen.

Zunächst möchte ich Ihnen ganz herzlich dafür danken, dass Sie das Thema, das die innerkirchliche Diskussion nicht nur, aber vielleicht besonders in Deutschland seit vielen Monaten dominiert, auf ein wirkliches theologisches Niveau gehoben haben. Lange Zeit konnte man den Eindruck gewinnen, als würde der ganze Diskurs über die Aussage „Die Kirche muss irgendwie barmherziger mit den Wiederverheirateten Geschiedenen umgehen“ nicht wirklich hinauskommen.

Zu diesem theologischen Niveau gehört natürlich auch die Tatsache, dass Sie die zur Debatte stehende Frage in einen breiteren Kontext stellen. Sehr viel Positives und Zustimmendes wäre an dieser Stelle zu sagen. So haben mich z.B. Ihre Ausführungen zur „Familie als Hauskirche“ besonders gefreut, in denen deutlich zum Ausdruck kommt, dass die Gemeindepastoral ein gutes Stück „in der Luft hängt“ und in ihrer Wirksamkeit massiv eingeschränkt ist, wenn ihr der Unterbau in der Familie fehlt. Gleichzeitig haben große Teile der nachwachsenden Katholiken-Generation ihre persönlichen religiösen Schwerpunkt nicht mehr in einer Gemeinde, sondern in einer „hauskirchlichen“ Gemeinschaft. Es wäre sehr zu hoffen, dass Sie diese Überlegungen als Ausgangspunkt für eine kritische Sichtung der pastoralen Prioritäten bei Gelegenheit weiter ausarbeiten könnten.

Trotz des von Ihnen eröffneten größeren Zusammenhangs möchte ich mich in diesem Brief auf das Thema der „Wiederverheirateten Geschiedenen“ beschränken; denn diese Frage ist es, um die sich die innerkirchliche Diskussion dreht; nach der Antwort auf diese Frage wird die kommende Synode – zumindest in Deutschland – beurteilt werden und diese Frage ist es ja auch, auf die die innere Logik Ihrer Stellungnahme letztlich zuläuft.

Beginnen wir also gleich mit der in der Form einer Frage vorgetragenen zentralen These Ihrer Rede:

„Aber wenn ein geschiedener Wiederverheirateter bereut, dass er in der ersten Ehe versagt hat, wenn die Verbindlichkeiten aus der ersten Ehe geklärt sind, wenn ein Zurück definitiv ausgeschlossen ist, wenn er die in der zweiten zivilen Ehe eingegangenen Verpflichtungen nicht ohne neue Schuld lösen kann, wenn er sich aber nach besten Kräften darum müht, die zweite zivile Ehe aus dem Glauben zu leben und seine Kinder im Glauben zu erziehen, wenn er Verlangen nach den Sakramenten als Quelle der Kraft in seiner Situation hat – müssen und können wir ihm dann nach einer Zeit der Neuorientierung das Sakrament der Buße und die Kommunion verweigern?“ (Evangelium von der Familie, S. 65f.)

Verzeihen Sie die recht deutliche Diktion, aber an dieser These scheint mir fast alles fragwürdig zu sein. Schon die erste Aussage ist dazu angetan, das schlimme Missverständnis zu befördern, als habe eine eventuelle Schuld am Scheitern der ersten Ehe irgendetwas mit der Zulassung zu den Sakramenten zu tun. Das ist natürlich nicht der Fall. Jedes derartige Versagen (und es sind ja durchaus Fälle denkbar, in denen ein Betroffener oder eine Betroffene zumindest subjektiv kaum oder gar keine Schuld an diesem Scheitern trägt) kann bereut und gebeichtet werden und steht dem Sakramentenempfang dann in keiner Weise im Wege.

Wenn man unter den „Verbindlichkeiten aus der ersten Ehe“ Unterhaltszahlungen und eine einvernehmliche Regelung bezüglich eventuell vorhandener Kinder versteht, so können diese sicher „geklärt“ werden. Die für unsere Frage ausschlaggebende Verbindlichkeit aber ist die feierlich zugesagte „Treue, bis dass der Tod uns scheide“ und diese kann eben nicht geklärt (im Sinne von „erledigt“) werden.

Auch das „definitiv ausgeschlossene Zurück“ ist zumindest hinterfragbar. Natürlich gibt es viele Situationen, in denen ein „Zurück“ nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen ist. Aber gehört es nicht zum wesentlichen Verständnis der sakramentalen Ehe, dass sie nie ganz in diesem „nach menschlichem Ermessen“ aufgeht? Besteht die Gnade des Sakramentes nicht auch darin, dass eine Heilung der Beziehung auf der Grundlage eines (wiedergewonnenen) gemeinsamen Blicks auf den Herrn nie „definitiv“ ausgeschlossen ist?

Kurz: Ihre These geht meines Erachtens an der eigentlichen Fragestellung vorbei.

Für noch gravierender halte ich die Tatsache, dass in der Diskussion (und implizit auch in Ihrer Rede) beständig der Eindruck erweckt wird, als habe die Kirche auf die Frage, wie Menschen, die in einer zweiten zivilen Ehe leben, zu den Sakramenten zugelassen werden können, keine Antwort. Dies ist aber schlicht falsch, wie ein kurzer Blick in „Familiaris Consortio“ (84) zeigt:

„Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, daß, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen - zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder - der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind".

Es ist für mich nur sehr schwer nachvollziehbar, dass Sie sich in Ihrer Rede mehrfach auf das Apostolische Schreiben Johannes Pauls II. beziehen, diese zentrale Passage jedoch nicht einmal erwähnen. Dieses Versäumnis wiegt um so schwerer, als „Familiaris Consortio“ nicht nur ein ganz wesentliches Dokument des jüngeren ordentlichen Lehramts in der zur Diskussion stehenden Frage darstellt, sondern auch das Abschlussdokument einer Bischofssynode ist, die sich – wie die kommende – mit dem Thema „Ehe und Familie“ beschäftigt hat.

Ich kann mir die vollständige Abwesenheit des von Johannes Paul II. aufgezeigten Lösungsweges in der gesamten Diskussion nur so erklären, dass man die Forderung nach der Enthaltung vom „ehelichen Akt“ (ich verwende diesen etwas altmodischen Ausdruck bewusst) für vollständig weltfremd und unrealistisch hält. Und natürlich ist sie das in den Augen vieler Mitmenschen auch. Aber kann die Kirche sich dieser gängigen Sicht auf die menschliche Sexualität wirklich anschließen? Ist das nicht jene Sicht, die auch das Keuschheitsgelübde der Ordensleute und den Zölibat der Weltpriester für „unlebbar“ und „widernatürlich“ hält? Und versinnbildlicht die Forderung aus „Familiaris Consortio“ nicht recht gut die von Ihnen angeführte Gewichtung: die zweite Verbindung ist kein Schiff mehr, sondern eine Planke?

Erlauben Sie mir abschließend noch einen Blick auf die systematischen Folgen der von Ihnen vorgeschlagenen geänderten Praxis im Umgang mit den Wiederverheirateten Geschiedenen. Mir scheint es so zu sein, dass die Kirche nur die Wahl hat, den Vollzug der „Akte, die Eheleuten vorbehalten sind“ außerhalb der sakramentalen Ehe weiterhin als Ehebruch zu betrachten (mit den bisherigen Folgen) oder eine moralische Legitimität solcher Akte auch außerhalb dieser Ehe für grundsätzlich möglich zu halten.

Diese moralische Legitimität muss dann an etwas anderem als der sakramentalen Ehe festgemacht werden, z.B. am Bestehen einer „personalen Liebesbeziehung“, eines Sachverhaltes, der nicht mehr den Charakter eines öffentlichen Vertrages hat, sondern letztlich nur vor dem „forum internum“ überprüft werden kann. Mir ist nicht klar, mit welchem Argument man anderen Formen der außerehelichen „gelebten Sexualität“ eine so verstandene Legitimität grundsätzlich absprechen wollte. Die Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils nach einer „sauberen Brautzeit“ (Gaudium et Spes 49) wäre keine schlechthin verpflichtende Norm mehr.

In der Konsequenz würde die Kirche dann auf die Verkündigung einer verbindlichen Sexualmoral im überkommenen Sinne ganz verzichten. Ihre Lehre wäre dann nicht mehr Verkündigung eines objektiven „Gebotes vom Herrn“ (1 Kor 7,10), sondern „Orientierungshilfe“ für eine subjektive Gewissensentscheidung, die von ihr in jedem Fall zu respektieren wäre.

Müsste sie dann aber nicht konsequenterweise auch davon Abstand nehmen, in wenigen Tagen einen Papst heiligzusprechen, dessen theologisches Erbe zu einem nicht unerheblichen Teil in einer „Theologie des Leibes“ besteht, deren Hauptanliegen die philosophisch-theologische Begründung genau dieser „verbindlichen Sexualmoral im überkommenen Sinne“ ist?

Nun ist mein Brief doch eine recht kritische kleine Abhandlung geworden. Ich würde mich freuen, wenn Sie ihn trotzdem nicht als Respektlosigkeit, sondern als Ausdruck ernster Fragen und des aufrichtigen Interesses an einer wirklichen Diskussion ansehen könnten.

Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen für gesegnete Kar- und Ostertage!
Ihr Michael Schäfer

Dr. phil. Michael Schäfer (Foto) war Mitarbeiter am Romano-Guardini-Lehrstuhl der LMU München und arbeitet heute in der Geschäftsführung einer in Stuttgart ansässigen, international tätigen Unternehmensberatung. Er führt den Blog summa-summarum (summa-summarum.blogspot.de ).

Die vieldiskutierte Rede von Kardinal Kasper in voller Länge:
Das Evangelium von der Familie
Die Rede vor dem Konsistorium
Von Walter Kardinal Kasper
Kartoniert, ca. 96 Seiten
Herder 2014
ISBN 978-3-451-31245-8
Preis 12,40 Euro

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Foto Dr. Schäfer (c) Michael Schäfer


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