Was wäre, wenn Christen sich das erlauben würden...?

10. April 2014 in Kommentar


Traumreise: Am „Christianity-Street-Day“ tanzten Christen ausgelassen auf den Straßen und viele Politiker ließen sich dort blicken. Die Medien entdeckten das Christentum als neues Objekt ihrer Berichterstattung… Ein Gastkommentar von Mike Thomas


Berlin (kath.net) Ich möchte Sie einladen auf eine kleine Traumreise. Lehnen Sie sich zurück, schließen Sie die Augen und spüren Sie, wie Ihr Atem ruhiger und Ihr Herzschlag regelmäßiger wird. Ich möchte Sie mitnehmen in ein Land, das in ferner Zukunft liegt, ein Land, das nur in unseren Gedanken existiert und nichts mit der Realität zu tun haben sollte.

Stellen Sie sich vor, dass in diesem Land eine kleine, unscheinbare Minderheit lebt. Nehmen wir einmal an, dass diese Minderheit Christen sind. Es sind nur ganz wenige, ein kleines Häuflein, das in der Vergangenheit von der Gesellschaft kaum wahrgenommen oder gar verleugnet wurde. Oft waren sie Anfeindungen ausgesetzt und wurden von der Mehrheit verleumdet und diskriminiert. Für viele waren sie der Abschaum der Gesellschaft, Väter empfanden es als Schande, wenn sich eines ihrer Kinder als „Christ“ outete, Mütter grämten sich aus Scham und Mitgefühl.

Dann änderte sich das öffentliche Bewusstsein. Die Christen wurden als eine gesellschaftlich relevante Realität anerkannt und akzeptiert. Niemand, der sich nun als Christ outete, hatte bösartige Konsequenzen zu fürchten. Stattdessen wurden Gesetze erlassen, die die Christen bei der Ausübung ihrer Religion schützten. In den Bussen und Bahnen, auf den öffentlichen Plätzen, selbst in der Politik zeigten sich immer mehr Christen in einem neuen Selbstbewusstsein. Am „Christianity-Street-Day“ tanzten sie ausgelassen auf den Straßen und viele Politiker ließen sich dort blicken. Die Medien entdeckten das Christentum als neues Objekt ihrer Berichterstattung und klärten den Rest der Gesellschaft detailliert über die Gewohnheiten der Christen auf. Christsein wurde fortan auch vermehrt in der Kunst thematisiert, in Musik und Film, keine Kunstgalerie kam mehr ohne Christentum aus. Die Gesellschaft wiederum nahm die neue Interessensfixierung der Medien zunächst mit einiger Verwunderung auf, fügte sich aber schließlich achselzuckend. Sie hatten ja kein Problem mit den Christen. Sind schließlich auch nur Menschen. Ziemlich friedliche sogar. Sollen sie tun, was sie möchten, solange wir tun dürfen, was wir möchten, dachten sie.

Es war eine Zeit des harmonischen Miteinanders, in der sich jeder über den Lebensstil des jeweils anderen informieren konnte, ohne seine eigenen Standpunkte aufgeben zu müssen. Außerdem war es in höheren Gesellschaftsschichten mittlerweile schick geworden, Sympathien für das Christentum zu zeigen. Es gehörte zum guten Ton, gönnerhaft und leicht herablassend die eigene Überlegenheit und Bildung heraushängen zu lassen, indem man sich als Beschützer und Verteidiger der Christen aufspielte. Jeder andere, der das Christentum zwar respektierte, aber inhaltlich damit nichts anfangen konnte, wurde milde lächelnd als „rückständig“ bezeichnet und kopfschüttelnd in die Schublade der unaufgeklärten Hinterwäldler gesteckt.

Doch dann änderten sich die Zeiten. Die Christen wurden sich ihrer neuer Stellung in der Gesellschaft bewusst und begnügten sich nicht mehr damit, nur gleichberechtigt zu sein. Lautstark und penetrant trugen sie ihre Glaubensüberzeugung in jeder Lebenslage vor sich her als einen beständigen Vorwurf an jene, die anders empfanden als sie. Geschickt wussten sie die Leichtgläubigkeit und das Gutmenschentum der Oberschicht auszunutzen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie schufen neue Kampfwörter wie „Christianophobie“ und „rechtspopulistischer, faschistoider Fundamentalismus“, die sie wie Keulen gegen all jene schwangen, die ihre Ansichten nicht teilten. Die harmlosen „Hinterwäldler“ wurden auf einmal zu gefährlichen „christianophoben Fundamentalisten“ gemacht. Nähere Definitionen für diese Begriffe lieferten sie nicht, was der kleinen, aber mächtigen Christen-Lobby die Möglichkeit bot, jeden beliebigen Menschen zu stigmatisieren, der ihnen nicht in den Kram passte.

Den Christen reichte es nicht mehr, unbehelligt ihren Lebensstil ausleben zu können. Obwohl weiterhin in der Minderheit, forderten sie von der Regierung frech und lautstark eine Bevorzugung der Christen, in dem sie sich immer wieder darauf beriefen, immer noch „diskriminiert“ zu sein und unter der „massiven Intoleranz“ zu leiden. Die Regierung, die um die Leichtgläubigkeit ihrer Wählerschaft wusste, sah sich mit der Drohung konfrontiert, von der einflussreichen Christen-Lobby öffentlich als „christianophob“ gebrandmarkt zu werden und so den leicht zu entrüsteten Bürger als Wähler zu verlieren. Deshalb knickte sie ein und erließ immer neue Gesetze, die den Christen nach und nach immer mehr Einfluss und Rechte gab, die der restlichen Bevölkerung nicht mehr gestattet wurde.

Die Demokratie, die sich auf die Mehrheit der Bevölkerung stützt und die Minderheit schützt, gab es in diesem Land nicht mehr. Stattdessen herrschte unter dem Namen der Demokratie die kleine Gruppe christlicher Autokraten, die der andersdenkenden Mehrheit ihre Maßstäbe aufzwang und der Gehirnwäsche unterzog. Unter dem wohlklingenden Namen „Antidiskriminierungsgesetz“ wurde den Christen quasi Narrenfreiheit gewährt, wohingegen fortan auch gegen die leiseste kritische Äußerung zum teils sehr schrillen, fordernden und militanten Auftreten der christlichen Minderheitsgruppe hart vorgegangen wurde. Diskussionen wurden verboten mit der Begründung, „christianophoben“ und „fundamentalistischen“ Ansichten keine Bühne geben zu wollen. Die objektive Berichterstattung wurde zugunsten einer „politischen korrekten“ Zensur aufgegeben und die Meinungs-, Religions-, Kunst- und Pressefreiheit neu definiert, indem man sie einfach abschaffte. Eine „religionsgerechte Sprache“ wurde eingeführt, die die christliche Minderheit allerdings nicht gleichstellte, sondern absonderte und bevorzugte.

Für die Schulen wurden Lehrpläne entwickelt, die die Kinder schon von früh darauf konditionierten, dass die christliche Lebensweise der „normalen“ (dieses Wort durfte nicht mehr verwendet werden; es wurde als „diskriminierend“ empfunden) vorzuziehen sei. Die Lehrer sollten jetzt nicht mehr nur die schulischen Leistungen ihrer Schützlinge bewerten, sondern auch deren Haltung zum Christentum. Regelmäßig mussten sich die Schüler solcher Gesinnungstest unterziehen. Mithilfe von Fragebögen wurden sie einer sanften, unmerklichen Gehirnwäsche unterzogen. Darauf fanden sich zum Beispiel folgende Fragen: „Woher, glaubst du, kommt es, dass du nicht christlich bist? Wann und warum hast du dich entschlossen, nicht christlich zu sein? Ist es möglich, dass dein Nicht-Christlichsein nur eine Phase ist und dass du diese Phase überwinden wirst? Ist es möglich, dass dein Nicht-Christlichsein von einer neurotischen Angst vor Menschen des christlichen Glaubens kommt?“ Und: „Es scheint sehr wenige glückliche Nicht-Christen zu geben; aber es wurden Verfahren entwickelt, die es dir möglich machen könnten, dich zu ändern, falls du es wirklich willst. Hast du schon einmal in Betracht gezogen, eine Elektroschocktherapie zu machen?“ Wer durch eine abweichende Meinung oder eine gewisse Immunität gegen die frühkindliche Indoktrination auffiel, wurde aussortiert und als „verhaltensgestört“ oder „latent christanophob“ psychologisiert. Eltern, die ihre Kinder davor schützen wollten, wurde durch Geldbußen oder Erzwingungshaft Manieren beigebracht.

In dieser neuen Welt, die durch den großen Einfluss der kleinen, aber mächtigen Christen-Lobby entstanden war, herrschte ein Klima von Angst und Gleichgültigkeit. Viele, die aus fester Überzeugung keine Christen waren, hatten Angst, eines Tages wegen irgendeines falschen Wortes plötzlich medial an den Pranger gestellt und hingerichtet zu werden. Die anderen, die die Überzeugung der Christen zwar nicht teilten, aber zu bequem waren, Widerstand zu leisten, zuckten gleichgültig mit den Schultern und schwammen einfach mit. Diese Gesellschaft, die sich für die aufgeklärteste, fortschrittlichste und toleranteste Gesellschaft aller Zeiten hielt, war in Wirklichkeit ein gleichgeschalteter, hirngewaschener und sich selbstzerfleischender Haufen bigotter Vollidioten und Gutmenschen.

Hiermit sind wir am Ende dieser Traumreise angelangt. Sie können die Augen wieder aufmachen. Willkommen zurück in der Realität. Vielleicht ging es Ihnen wie mir und es war Ihnen ganz mulmig zumute beim Gedanken, dass es eines Tages tatsächlich so kommen könnte. Ich bin selbst ein Christ und möchte aber auf keinen Fall in einer solchen Diktatur leben, wie es hier ausgemalt wurde! Natürlich möchte ich mein Christentum leben können, ohne diskriminiert zu werden, aber ich will es niemanden aufzwingen und schäme mich für all jene, die es tun.

Es war nur eine Traumreise, ein Gedankenkonstrukt. Anfangs wies ich Sie an, die Augen zu schließen. Ich gratuliere Ihnen. Wenn Sie bis hierher gelesen haben, bedeutet dies, dass Sie Ihre Augen vorhin nicht geschlossen haben. Gut so. Lassen Sie ihre Augen weit offen. Bleiben Sie wachsam. Eine solche Diktatur könnte jeden Augenblick kommen. Eine, die nicht von den Christen kommt.


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