Theologieprofessor? Nein, danke!

5. April 2014 in Kommentar


Ihm stand eine glänzende akademische Karriere bevor. Doch der evangelische Theologe Sebastian Moll (Mainz) entscheidet sich gegen eine Universitätslaufbahn. Stattdessen will er sein Christsein anders leben. Im folgenden Artikel erklärt er, warum.


Mainz (kath.net/idea) „Ich habe nicht mehr den Ehrgeiz, ein großer Gelehrter zu werden, sondern mehr – einfach ein Mensch.“ So schrieb es der 30-jährige Albert Schweitzer (1875–1965) an seine spätere Frau Helene Bresslau, kurz bevor er zur Verblüffung seines gesamten Umfeldes seine vielversprechende akademische Karriere an der Theologischen Fakultät der Universität Straßburg an den Nagel hängte, um sein Medizinstudium zu beginnen und schließlich als Arzt nach Afrika zu gehen. Was mich betrifft, so war ich nicht ganz so schnell wie Schweitzer, stehe erst mit meinen nunmehr 33 Jahren kurz vor meiner theologischen Habilitation, sehe mich aber vor dieselbe Frage gestellt: Ist ein Leben in Hörsälen und Bibliotheken für mich tatsächlich eine angemessene Form der Nachfolge Jesu?

Das Dilemma der akademischen Theologie

Auf den ersten Blick würde man vielleicht meinen, dass wohl kaum ein Fachgebiet besser geeignet sein könnte, um sich in den Dienst des Herrn zu stellen, als die Theologie. So dachte vielleicht auch Albert Schweitzer einmal. Aber ist dem wirklich so? Dazu wäre natürlich zunächst einmal zu fragen, was eigentlich Sinn und Zweck akademischer Theologie ist. Diese Frage fürchten die meisten staatlich angestellten Theologen wie der Teufel das Weihwasser. Tatsächlich ist diese Furcht auch nicht ganz unbegründet, denn die akademische Theologie steckt in einem wahren Legitimationsdilemma. Entweder ist sie an das Zeugnis der Heiligen Schrift und das Bekenntnis der Kirche gebunden. Dann aber ist sie nicht in der Lage, allgemeingültige wissenschaftliche Erkenntnisse zu erschaffen, sondern kann ihre Ergebnisse nur auf Basis des christlichen Glaubens und auch nur zum Nutzen der Gemeinschaft der Gläubigen präsentieren. In diesem Fall hätte sie an den staatlichen Hochschulen nichts verloren und sollte lieber in kirchlicher oder freier Trägerschaft betrieben werden. Oder aber die Theologie ist eine voraussetzungslose und zweckfreie Wissenschaft. Dann kann sie zwar Erkenntnisse von allgemeingültigem Wert hervorbringen, aber keine, die nicht auch von der Geschichtswissenschaft, der Religionssoziologie oder den Sprach- und Literaturwissenschaften geliefert werden könnten. In diesem Fall wäre zumindest ihre Legitimation als eigenständige Fakultät innerhalb der Hochschullandschaft infrage gestellt.

Wenn Atheisten bessere Chancen als Christen haben

In Deutschland hat sich die akademische Theologie mehrheitlich für eine abstruse Mischung von beiden Alternativen entschieden. Offiziell bleibt sie bekenntnisgebunden und erwirbt sich somit das Privileg, eine eigenständige Fakultät zu sein. Gleichzeitig wird aber auf das Bekenntnis im Alltag der Fakultät keinerlei Wert gelegt, im Gegenteil, überzeugte Atheisten haben eine bessere Chance auf Lehrstühle als bekennende Christen. Auf diese Weise sichern sich die Fakultäten das Wohlwollen des (neutralen) Staates. Zwar wähnen sich die Theologen als Gewinner dieses Geschäfts, weil sie dadurch ihre eigenen Büros, Sekretärinnen und Parkplätze gesichert haben. Doch in Wahrheit haben sie den Herrn für 30 Silberlinge an die Obrigkeit verkauft.

Warum schreit keine einzige Fakultät auf?

Der Staat ist der eigentliche Triumphator, weil es ihm durch dieses Abhängigkeitsverhältnis gelingt, die Theologen auf Linie zu bringen und somit näher an den Zeitgeist der Republik als an die Wahrheit der christlichen Offenbarung heranzuführen. Würden die theologischen Fakultäten sich aus dieser Abhängigkeit lösen und ihre publizistische Macht dazu nutzen, aus christlicher Perspektive auf Missstände in der Gesellschaft hinzuweisen, würden sie ihrer Verantwortung gerecht. Doch sie bringen es ja nicht einmal zu einer Kritik an den Zuständen innerhalb der Kirche! Wo war der Aufschrei der Theologischen Fakultäten oder auch nur einer Gruppe von Professoren gegen das unsägliche Familienpapier der EKD?

Auf der Flucht vor dem lebendigem Gott?

Selbst Karl Barth, der vielleicht bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts, stellte gegen Ende seines Lebens die Frage: „Könnte Theologie nicht eine Luxusbeschäftigung, könnten wir mit ihr nicht auf der Flucht vor dem lebendigen Gott begriffen sein? Könnte ein Theologe wie Albert Schweitzer nicht das bessere Teil erwählt haben, und mit ihm die ersten Besten, die da und dort ohne alle theologische Besinnung versucht haben, Wunden zu heilen, Hungrige zu speisen, Durstige zu tränken, elternlosen Kindern eine Heimat zu bereiten?“ Für jeden, der mit der Wirklichkeit akademischer Theologie in Deutschland vertraut ist, kann dies nur eine rhetorische Frage sein. Wer sich jahrelang mit den feinsinnigen Unterschieden zwischen mimetischer (nachahmender) und doxologischer (verherrlichender) Ethik befasst, anstatt nach dem einfachen Gebot christlicher Nächstenliebe die Welt aktiv zu gestalten, der befindet sich tatsächlich auf der Flucht vor dem lebendigen Gott und seinem Auftrag. Nun kann freilich nicht jeder ein Albert Schweitzer, eine Mutter Theresa oder ein Franz von Assisi werden. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Es bedarf nicht der großen Vision, nicht der großen Bekehrung, nicht der großen Heldentaten. Das wussten auch Männer wie Schweitzer: „Nur derjenige, der sein Vorhaben als etwas Selbstverständliches, nicht als etwas Außergewöhnliches empfindet und der kein Heldentum, sondern nur in nüchternem Enthusiasmus übernommene Pflicht kennt, besitzt die Fähigkeit, ein geistiger Abenteurer zu sein, wie sie die Welt nötig hat.“

Akademische Theologie hat ihr Recht, aber ...

Wer spürt, wie der Finger Jesu auf ihn zeigt und wer sich dann auf diesen Fingerzeig hin in seine Nachfolge begibt, der kann letztlich nicht anders, als sein Leben in den Dienst des Nächsten zu stellen – und er wird sich fragen müssen, ob er hierzu etwas in seinem Leben ändern muss. Nun schreibe ich diese Zeilen als jemand, der einen Großteil seines erwachsenen Lebens mit der akademischen Theologie verbracht hat. Keinesfalls möchte ich diese Zeit missen. Die theologische Ausbildung hat mir persönlich viel gegeben, und die Kirche bedarf jener, die sich auch auf wissenschaftlichem Niveau mit der Bibel und der Geschichte der Kirche auskennen – so gewiss jene nicht die wichtigsten Glieder der Gemeinde sind. Zugleich hat mir die Position als Dozent die Möglichkeit gegeben, mit vielen Theologiestudenten in Kontakt zu kommen und sie auf ihrem Weg zu begleiten. Nicht zuletzt erlaubte mir die großzügige Arbeitszeitregelung der Universität, mich intensiv ehrenamtlicher Arbeit zu widmen und sogar eine eigene Stiftung zu gründen, die nach meinem verstorbenen Vater (Jürgen Moll) benannt ist und sich der Förderung verständlicher Wissenschaft widmet. Dennoch: Immer aufs Neue diesem deprimierenden Schauspiel einer kleinlichen Theologie zusehen zu müssen, die sich mehr um Spesen als um Spiritualität sorgt, hat stark an mir gezehrt.

… aber auch Abgründe der Niedertracht

Seinen Höhepunkt fand dieses Empfinden mit der Veröffentlichung meines Buches „Jesus war kein Vegetarier“ im Herbst 2011. In diesem Buch hatte ich mich gegen einige der absurden theologischen Positionen ausgesprochen, die es innerhalb der evangelischen Kirche beinahe in den Rang von Bekenntnissen gebracht haben. Dass mich diese kleine Schrift mit einem Mal ins Zentrum der kirchlichen und akademischen Aufmerksamkeit rücken würde, hätte ich mir nie träumen lassen. Noch weniger hätte ich allerdings für möglich gehalten, welche Abgründe an Niedertracht ich dadurch in meinem beruflichen Umfeld – also an meiner Fakultät – erleben musste. Seither sehe ich öffentliche Kampagnen wie beispielsweise gegen unseren ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff mit ganz anderen Augen. Früher habe ich immer gedacht: Na ja, auch wenn das Ganze medial vielleicht übertrieben wird, im Kern werden die Vorwürfe schon stimmen. Durch meine eigenen Erfahrungen bin ich nun eines besseren belehrt. Im Nachhinein kann ich natürlich nur darüber lachen, dass mir beispielsweise disziplinarische Strafen angedroht wurden, weil ich angeblich Geheimnisse aus einer Kommission verraten hatte – wobei die Tatsache, dass ich niemals Mitglied dieser Kommission gewesen war, dezent „übersehen“ wurde. Die Liste dieser und ähnlicher Absurditäten an dieser Stelle zu vervollständigen, wäre müßig. Jedenfalls nahmen sie erst durch das beherzte Eingreifen von Peter Hahne (dem ich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich dafür danken möchte) ein Ende.

Warum ich aus diesem System aussteigen muss
Im Grunde war meine Erkenntnis, dass ich aus diesem System aussteigen muss, schon damals gereift, und ich möchte nicht behaupten, dass meine Entscheidung, dennoch in ihm zu verweilen, eine Folge von Heldenmut gewesen wäre. Es waren vielmehr äußere Bindungen und Verpflichtungen, die mich von einem unmittelbaren Ausstieg abhielten. Doch auf tragische Weise wurden mir diese Bindungen mittlerweile genommen. Die mir am nächsten stehenden Menschen haben mich verlassen, die einen durch Abschied aus dem Leben, andere lediglich durch Abschied aus meinem Leben. Was mir durch diese neu entstandene Einsamkeit hindurchhalf, war vor allem die Erkenntnis, dass diese Einsamkeit auch eine neue Form von Freiheit mit sich brachte, die es mir ermöglicht, meinem Leben eine neue Richtung zu geben. Doch welche?

Jetzt schreibe ich erst mal meine Habilitation

Im Moment fühle ich mich ein wenig wie der Jünger, der auf den Ruf der Nachfolge mit den Worten reagiert: „Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und …“ Aber ich bin gewiss, dass ich nicht aus Angst zögere, sondern aus Besonnenheit, aus jenem oben erwähnten nüchternen Enthusiasmus heraus. Sich in blindem Aktionismus in sinnlose Abenteuer zu stürzen, die vor allem dem eigenen Ego dienen, hat kaum christliche Qualität. Vielleicht folgt auch für mich nun eine Laufbahn im medizinischen Bereich, aber auch auf vielen anderen Gebieten glaube ich, mich nützlich machen zu können. Auf jeden Fall werde ich in den kommenden Monaten erst noch meine Habilitationsschrift vollenden. Aber ich tue auch dies nun mit größerer Freiheit, mit der Freiheit, sie so zu schreiben, wie Bücher geschrieben werden müssen, damit sie ihren Zweck erfüllen können. Sollte dieses Werk dann eines Tages tatsächlich als Habilitationsschrift abgelehnt werden, so hätte ich einen akademischen Titel weniger, aber die Welt ein gutes Buch mehr. Es handelt übrigens von Albert Schweitzer.

kath.net-Buchtipp
Jesus war kein Vegetarier
Von Sebastian Moll
110 Seiten;
2011 Berlin University Press
ISBN 978-3-86280-019-3
Preis 20.50 EUR

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Foto: © Sebastian Moll (mit freundlicher Erlaubnis)


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