«Unsere Gemeinden müssen evangelisierende Gemeinden werden»

13. März 2014 in Interview


DBK-Vorsitzender Reinhard Kardinal Marx zu den neuen Herausforderungen für die Kirche. Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)


Münster (kath.net/KNA) In einem seiner ersten Interviews nach der Wahl zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz erklärt der Münchner Kardinal Reinhard Marx (Foto) der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), was Papst Franziskus für die Kirche in Deutschland bedeutet und welche Herausforderungen er sieht.

KNA: Herr Kardinal, wie viel Bergoglio steckt inhaltlich im Vorsitzenden Marx?

Marx: Ich hab mich über Evangelii gaudium wirklich sehr gefreut und das Papst Franziskus auch gesagt. Das hat mir aus dem Herzen gesprochen. Mir gefällt dieses Bedrängende und Aufrüttelnde. Ich glaube, darin steckt auch manches an Menschen- und Weltzugewandtheit. Er ist interessiert an allem, offen für Begegnungen.

Ich mache das wahrscheinlich ein bisschen anders, ich bin vielleicht ein bisschen schneller beim Diskutieren, da ist er ein geduldiger Zuhörer, da kann ich noch lernen.

KNA: Der Papst will «eine arme Kirche für die Armen». Nun ist die Kirche in Deutschland relativ reich. Ist das nicht ein Widerspruch?

Marx: Jede Kirche muss in ihrer Situation leben. Der Heilige Vater ist jetzt im Vatikan, und der Vatikan ist auch nicht arm.

Er muss damit zurechtkommen. Und das versucht er, indem er sagt, jetzt wollen wir erst mal schauen, wie wir das vernünftig ordnen, so dass transparenter wird, wie wir das, was im Vatikan da ist an Vermögen, an Einnahmen im Sinne der Kirche einsetzen.

Und so ähnlich ist das bei uns auch. Zu sagen, wir geben alles weg und haben nichts mehr, das wird der Papst im Vatikan auch nicht tun.

Aber dass wir uns sehr kritisch fragen lassen, wie gehen wir mit dem Geld um, wofür ist es eingesetzt, woher kommt es, wie wird es verwandt, da müssen wir in Deutschland noch einen Weg gehen.

Der andere Punkt ist der geistliche Horizont. Arme Kirche für die Armen verstehe ich in Deutschland auch als Aufruf, «ideologisch» abzurüsten.

Arm zu werden, das heißt Bescheidenheit auch in der Nähe zu den Menschen, in der Art und Weise, wie wir das Evangelium verkünden und leben. Wenn der Papst sagt, wir müssen an die Peripherie gehen, meint er ja nicht nur, dass wir caritativ mehr tun müssen. Für ihn ist auch klar: Wo die materiell Armen, die geistig Armen, die Kranken, die Sünder, die Gebrochenen, die Dementen, die geistig Behinderten nicht in der Mitte der Kirche sind, sondern nur Objekte unserer Fürsorge, da ist die Kirche nicht wirklich Kirche Christi.

Ich glaube, das ist noch mal eine viel radikalere Ausrichtung auf eine Evangelisierung, die alle mit einbezieht, das gilt für jede Pfarrei und für jedes Bistum.

KNA: Franziskus will die Kurie in Rom reformieren und wohl auch verschlanken. Und in Deutschland sagen Bischöfe, auch das Sekretariat Bischofskonferenz sollte verschlankt werden...

Marx: Es ist noch kein Programm zu sagen, das muss schlanker werden. Die Frage ist, welche Aufgabe hat das Sekretariat. Geld sparen ist noch kein Programm. Wir müssen überprüfen, welche Institutionen welche Aufgaben erledigen und ob diese Aufgaben weiterhin sinnvoll sind. Wir müssen unsere Arbeit konzentrieren, Schwerpunkte bilden.

Wir müssen diskutieren: Was ist Aufgabe der Bistümer, was soll dort auch erledigt werden, und was ist notwendig auf der nationalen Ebene. Was wir auf der nationalen Ebene tun, muss dann auch stark sein, wir müssen beweglich sein. Wahrscheinlich müssen wir Prioritäten setzen, aber das geht nur im Konsens mit den Mitbrüdern.

KNA: Verschlankung hat auch mancher Mitbruder Ihnen nahegelegt mit Blick auf Ihre Ämter in Brüssel, in Bayern und in Rom. Wollen Sie da etwas abgeben oder passt das alles zusammen?

Marx: Es ist ja nicht so, dass ich mir Ämter aussuche. Manches ergibt sich halt. Aber ich glaube nicht, dass ich all die Ämter, die ich jetzt habe, weiter tun sollte. Man muss sehen, wo die Schwerpunkte sind.

An erster Stelle steht immer das Erzbistum. Das darf nicht vernachlässigt werden. Aber ich kann auch nicht die Wünsche des Heiligen Vaters ignorieren, und die Bischofskonferenz braucht gerade in den ersten Jahren viel Aufmerksamkeit und Kraft.

KNA: Ihr Vorgänger hatte in seiner Amtszeit viel mit Krisen zu tun. Wie wollen Sie das schaffen, dass Sie in der Medienwelt aus der Defensive rauskommen?

Marx: Mein Vorgänger hat sich den Missbrauchsskandal nicht ausgesucht, manches kommt einfach auf die Tagesordnung, etwa die Causa Limburg. Das wird auch in Zukunft so sein. Und da kommt es darauf an, ob wir schnell reagieren und gute, verlässliche Antworten geben können,

Aber wir müssen uns auch überlegen, wo wir proaktiv tätig werden und Themen setzen können. Wir sollten überlegen, wo sind die positiven Botschaften aus der Mitte des Evangeliums, die wir einbringen in eine plurale Gesellschaft.

Ich weiß, dass eine mediale Gesellschaft hungriger ist nach einem Skandal als nach einem Wort aus der Bibel. Aber wir müssen versuchen, es zu tun, denn wir können nicht schweigen von dem, was uns umtreibt, und das ist das Wort Jesu und sein Beispiel und die Verkündigung des Evangeliums.

KNA: Sie selbst haben gesagt, Evangelisierung sei eine der wichtigsten Herausforderungen. Haben Sie Ideen, wie Sie das umsetzen wollen?

Marx: Es wäre schon wichtig, wenn wir unterscheiden zwischen hausgemachten Problemen, die uns an einer guten Evangelisierung hindern, und den strukturellen Veränderungen, die einfach gegeben sind. Manchmal verstehen wir Evangelisierung als Wiedereroberung eines verlorenen Territoriums. Das geht nicht.

Wir müssen einsehen, dass wir in einer ganz neuen Situation leben, wo Evangelisierung bedeutet, durch persönliches Zeugnis in einer pluralen Welt das Evangelium zur Sprache bringen, auch da, wo es gesellschaftliche Transformationsprozesse ganz großen Ausmaßes gibt. Da müssen wir versuchen, wie es der Papst sagt, aus den verschiedenen Gruppen und Schichten ein neues Volk Gottes auf den Weg zu bringen. Das ist ein langer Weg. Aber wir müssen uns auf die Situation beherzt einstellen. Das beruhigt die Seele und gibt Kraft. Sonst verdoppeln wir unsere Anstrengungen und die Erfolge bleiben doch aus. Sie müssen dann ausbleiben, wenn wir eine falsche Analyse der Situation haben.

Wir sollten mit einer leidenschaftlichen Gelassenheit unseren Dienst tun, ohne Untergangsszenarien zu bejammern und den Mitgliederschwund zu zählen. Und es wird ein längerer Weg sein, sich auf diese neue Situation einzustellen.

Ich bin überzeugt, dass die Botschaft des Evangeliums nicht veraltet, dass das Leben der Kirche nicht überholt ist. Unsere Gemeinden müssen sich da auf einen neuen Weg machen und evangelisierende Gemeinden werden.

Wir dürfen nicht um uns selber kreisen. «Hoffentlich bleibt alles, wie es ist, Herr Bischof!», das höre ich oft. Aber es kann ja nicht bleiben, wie es ist. Es darf auch nicht bleiben, wie es ist.

Pressekonferenz der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) - Kardinal Marx wird als neuer DBK-Vorsitzender vorgestellt


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Foto Kardinal Marx (c) Erzbistum München und Freising


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