Paderborner Erzbischof Becker: 'Beten braucht Zeit'

9. März 2014 in Spirituelles


„Es ist gar nicht so einfach, den Zeitraum für das Gebet im Alltag unterzubringen. Manchmal muss man regelrecht darum kämpfen“. Deshalb brauche das Beten „ein gewisses Maß an Opferbereitschaft“


Paderborn (kath.net/pep/pl) „Beten geht nicht ohne ein gewisses Maß an Opferbereitschaft. Denn Beten braucht Zeit. Und es ist gar nicht so einfach, den Zeitraum für das Gebet im Alltag unterzubringen. Manchmal muss man regelrecht darum kämpfen.“ Darauf wies der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker (Foto) im Fastenhirtenbrief 2014 hin.


Liebe Schwestern und Brüder!

„Was ist das eigentlich: beten?“ – Der Theologe Karl Rahner hat auf diese Frage ganz einfach und in klaren Worten geantwortet:

„Wenn der Mensch bei Gott ist in Ehrfurcht und Liebe, dann betet er.“1

Dem braucht man eigentlich nicht viel hinzuzufügen. Der Kern ist damit erfasst. Viele von Ihnen werden, so denke ich, Karl Rahner zustimmen können. Doch es geht um mehr als um wahr oder falsch: Was Pater Rahner meint, muss mit unserem Leben zu tun bekommen, in unserem Leben umgesetzt werden. Es ist mir deshalb in meinem diesjährigen Hirtenbrief zur Fastenzeit ein Anliegen, verschiedene Wege aufzuzeigen, wie das Gebet, das „bei Gott sein in Ehrfurcht und Liebe“, in unserem Alltag zur wertvollen Erfahrung werden kann.

Drei Aspekte möchte ich Ihnen zum eigenen weiter gehenden Nachdenken ans Herz legen.

Zunächst: Das Gebet in der Familie

Die Erziehung der Kinder ist vorrangige Aufgabe der Eltern. Das trifft auch auf das religiöse Leben zu. Wenn Kinder beten lernen sollen, kann das kaum über einen anderen Weg geschehen als über den des Vorbildes der Eltern. Ich selbst kann mich gut daran erinnern, wie ich an der Hand meiner Eltern die ersten Schritte des Gebetslebens gegangen bin: Das gemeinsame Morgen-, Abend- und Tischgebet wurde zu einer Selbstverständlichkeit, die mir in Fleisch und Blut übergegangen ist und sich später ausweitete zu vielfältigen anderen Formen des Gebetes. Von vielen Menschen weiß ich, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Es wird auch weiterhin darauf ankommen, dass Kinder zuerst am Vorbild ihrer Eltern lernen, wie eine lebendige Gottesbeziehung von unserer menschlichen Seite her aufgebaut und gepflegt werden kann. Viel liegt mir daran, die Eltern – und auch die Großeltern – zu diesem Tun zu ermutigen und sie darin zu bestärken: Beten Sie mit Ihren Kindern und Enkeln! Erzählen Sie ihnen von der Geschichte Gottes mit seinem Volk, die in der Bibel bekundet ist! Und zeigen Sie den Kindern durch Ihr konkretes Vorbild, dass es sich lohnt, mit dem Blick auf Gott und seine Gebote durchs Leben zu gehen! Für das Fortleben des Glaubens ist eine solche erste Evangelisierung in der Familie unerlässlich.

Den Glauben weitergeben kann jedoch nur, wer selbst im Glauben und in einem lebendigen Gebetsleben verwurzelt ist.

Deshalb ein zweiter Aspekt: Das Gebet des Einzelnen

Auch wenn es hart klingen mag: Beten geht nicht ohne ein gewisses Maß an Opferbereitschaft.

Denn Beten braucht Zeit. Und es ist gar nicht so einfach, den Zeitraum für das Gebet im Alltag unterzubringen. Manchmal muss man regelrecht darum kämpfen.

Doch wie bei jeder menschlichen Beziehung ist es auch für die Gottesbeziehung unerlässlich, sie zu pflegen. Sonst ermüdet sie und versiegt wie ein Bach im trockenen Tal. Wenn man jedoch einmal die Zeit zum Gebet gefunden hat, droht schon das nächste Problem: die Zerstreuung. Unsere Gedanken schweifen ab und halten sich bei allem Möglichen auf – nur nicht bei Gott und den Dingen, die wir ihm im Gebet hinhalten wollen.

Hier kommt es darauf an, nicht aufzugeben. Ich bin überzeugt: Gott sieht unseren guten Willen, dem häufig unser Unvermögen entgegensteht. Auch in dem Fall, dass wir immer wieder vom Wesentlichen abschweifen, ist die für das Gebet investierte Zeit keine vertane Zeit. Es braucht dabei nicht viele Worte: Entscheidend ist meine innere Haltung der grundsätzlichen Offenheit Gott gegenüber – und die Bereitschaft, jeden Tag dafür einen gewissen Zeitraum zu opfern. Dann dürfen wir auf die Zusage vertrauen: „Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles“ (1 Joh 3,20).

Mein dritter Aspekt: Das Gebet im Gottesdienst

Die bisherigen Gedanken zeigen: Begegnung mit dem lebendigen Gott kann vielfältig geschehen.

In den Sakramenten jedoch ist er uns besonders nahe. Sie sind der Kirche anvertraut, um bis zum Tag der Wiederkunft des Herrn seine Gegenwart bei den Menschen zu feiern. Sonntag für Sonntag, ja Tag für Tag geschieht das vor allem in der Feier der Eucharistie, wenn wir Gott in seinem Wort, in der versammelten Gemeinde und im heiligen Mahl begegnen.

Eine größere und wertvollere Form des Gebetes kann es nicht geben.

Die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils nannten die Liturgie den „Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (SC 10). Und schon die Märtyrer von Abitene bekannten im 4. Jahrhundert: „Ohne den Sonntag können wir nicht leben.“ Damit meinten sie die sonntägliche Eucharistiefeier, die große gemeinsame Danksagung.

Bei meinen Besuchen in den Gemeinden erfahre ich häufig, dass sich viele Gläubige damit schwertun, wenn „ihre gewohnte“, das heißt die zu einer bestimmten Zeit gefeierte Sonntagsmesse entfällt und man also zu einer anderen Zeit oder gar an einem anderen Ort den Gottesdienst besuchen soll. Natürlich ist das schmerzhaft. Doch ich bitte um Verständnis dafür, dass ich den Priestern im aktiven Dienst nicht zumuten darf, an einem Sonn- oder Feiertag, den Vorabend eingeschlossen, mehr als drei heilige Messen zu feiern. So soll es in der Regel auch sein. Zukünftig wird noch mehr die Antwort auf die Frage ins Gewicht fallen, was dem Einzelnen der Besuch der Sonntagsmesse wert ist – und was er oder sie für dieses Geschenk Gottes an seine Kirche zu investieren bereit ist. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass es Gott selbst ist, der uns dort einlädt und begegnet.

Liebe Schwestern und Brüder!
Aus zwei bestimmten Gründen habe ich diesen Hirtenbrief unter das Thema „Gebet“ gestellt: Zum einen erscheint in ein paar Wochen die lang erwartete Neuausgabe des „Gotteslob“ für unser Erzbistum. Es wäre zu wenig, das neue „Gotteslob“ als ein bloßes Gesang- und Gebetbuch für den Gebrauch in der Kirche anzusehen.

Diese Funktion übernimmt es sicherlich auch. Doch will das „Gotteslob“ darüber hinaus zu einem Hausbuch werden und Anregung bieten für das Gebet in der Familie und das Gebet des einzelnen Christen. Herzlich möchte ich Ihnen unser neues Gebet- und Gesangbuch ans Herz legen. Es ist meiner Meinung nach gelungen, eine gute Mischung zwischen Altbewährtem und Neuem zusammenzustellen. Eine große Rolle haben dabei die Anregungen gespielt, die die Kirchengemeinden zur Neuausgabe gemacht haben. Jetzt wartet ein reiches Angebot von Liedern, Gebeten und Texten im neuen „Gotteslob“ darauf, von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, entdeckt und als Anregung für Ihr Gebetsleben genutzt zu werden.

Zum anderen werden wir im Jahr 2014 miteinander einen bedeutenden Schritt in der Neuordnung der Pastoral unseres Erzbistums gehen: Zum Herbstliborifest im Oktober will ich die in einem langen und intensiven Prozess entstandenen Pastoralen Leitlinien in Kraft setzen, an denen sich das Handeln der Kirche von Paderborn zukünftig orientieren wird. Es wäre mir jedoch entschieden zu wenig, die notwendigen Veränderungen allein auf die Ebene von Organisation zu reduzieren. Enorme Bedeutung hat es für mich, diesen Prozess vorrangig als einen geistlichen Prozess anzusehen – kurz gesagt: als einen Prozess, der „be-betet“ und „durch-betet“ werden muss. Wären zum Beispiel nicht manche Konflikte eher zu bewältigen, wenn sie auch im gemeinsamen Gebet Platz fänden?

Schnell geraten wir – auch vor Ort in den Gemeinden – bei all unserem Planen und Nachdenken in die Gefahr, den lebendigen Gott zu vergessen. Dieser Gefahr sind wir weniger ausgesetzt, wenn wir dem gemeinsamen und persönlichen Gebet die höchste Priorität einräumen. Warum also nicht vor dem Schritt in den Pastoralen Raum oder in die neue Pfarrei einen besonderen Tag der eucharistischen Anbetung einlegen? Warum nicht dieses Ereignis zum Anliegen einer Wallfahrt machen?

Das sind nur zwei Beispiele. Vieles geschieht bereits, wofür ich von Herzen dankbar bin. Ich möchte Mut dazu machen, dieses Anliegen weiterhin noch intensiver umzusetzen und auch in Ihr persönliches Gebet miteinzubeziehen – weil es um die Zukunft des Glaubenslebens in unserem Erzbistum geht.

Liebe Schwestern und Brüder!
Die vor uns liegenden Heiligen Vierzig Tage der Vorbereitungszeit auf das Osterfest sind eine heilsame Prägung im Jahreslauf: Sie laden dazu ein, unsere Beziehung zu Gott anzuschauen und sie wieder neu auf ihn auszurichten.

Dazu hilft uns wesentlich das Gebet in seinen vielfältigen Formen. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie, auch durch eine Erneuerung Ihres Gebetslebens, während dieser Tage der österlichen Bußzeit jene Erfahrung machen können, die Jesus denen verheißt, die sich in ihm verwurzeln: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet“ (Joh 15,16).

Verbunden im Gebet und in der festen Hoffnung auf die Erfüllung dieser Zusage Jesu grüßt und segnet Sie und Ihre Familien

Ihr Erzbischof
Hanz-Josef Becker

1 RAHNER, Karl: Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg im Breisgau: Herder, 21991. – Seite 11.


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