Ägyptens Frauen: Bedroht, aber voller Hoffnung

4. März 2014 in Weltkirche


Entführung, Zwangsbekehrung, genitale Beschneidung, soziale Benachteiligung: Ägyptens Christinnen sind vielfachen Bedrohungen ausgesetzt – Katholische Kirche setzt sich für sie ein. Bericht von Oliver Maksan (Katholisches Hilfswerk „Kirche in Not“)


München (kath.net/KIN) Es ist ein im Westen kaum bekanntes Phänomen: Die Entführung, Vergewaltigung und Zwangsbekehrung christlicher Frauen und Mädchen zum Islam. „Vor 2011 waren es vielleicht sechs oder sieben Mädchen in ganz Ägypten, die das betraf. Seither aber ist die Zahl auf tausende angestiegen“, sagt Said Fayez, ein Anwalt und koptischer Menschenrechtler aus Kairo gegenüber „Kirche in Not“. Besonders junge Mädchen sind im Visier radikaler Islamisten. So wie die 14-jährige Nadia Makram. 2011 wurde sie während eines Gottesdienstes entführt. Seither hat ihre Familie keinen Kontakt mehr zu dem Mädchen. Dabei kennt ihre Familie die Täter, die Polizei helfe ihr aber nicht, beklagt Nadias Mutter. „Uns wurde sogar gedroht, sollten wir die Sache weiter verfolgen. Ich muss die Entführung meiner Tochter akzeptieren“, sagt sie.

Besonders folgenreich ist die Zwangsbekehrung zum Islam, die von den entführten Frauen verlangt wird. Anwalt Fayez berichtet vom Fall des entführten Mädchens Jacqueline Ibrahim, die von Salafisten gezwungen wurde, vor der Azhar-Universität ihre Konversion zum Islam zu erklären. „Ein Beispiel totaler Missachtung ihres Glaubens und ihrer Überzeugung“, so Fayez. Die katholische Kirche versucht derweil, betroffenen Mädchen und Frauen eine Zuflucht zu bieten. In Minya, etwa 250 Kilometer südlich von Kairo, unterhält die koptisch-katholische Diözese ein Haus für Mädchen, die eine Entführung hinter sich haben. Hier sind sie in Sicherheit vor ihren Peinigern und bleiben für sechs Monate oder länger. Manche Mädchen flüchten sich auch in die Einrichtung, um einer Entführung zu entgehen. Pater Boulos Nasif, Leiter des Hauses, erklärt gegenüber „Kirche in Not“: „Hier werden die Mädchen begleitet und können über alles sprechen, was ihnen zugestoßen ist. Wir versuchen, sie zu befähigen, wieder Glieder der Gesellschaft zu sein.“

Es stinkt hier gewaltig im Müllviertel Kairos. Unablässig karren Lastwagen und Eselskarren den Dreck an, den Kairo als eine der größten Städte Afrikas verursacht. Ziegen, Hunde und Hühner suchen Fressbares aus den von Fliegen umschwirrten Abfällen. Inmitten von Bergen aus fauligem Hausmüll, Plastikflaschen, Autoreifen und anderem Unrat sitzen Menschen und sortieren die Abfälle. Über der Straße hängen Madonnenbilder, Kreuze und Bilder koptischer Heiliger – ein Zeugnis dafür, dass hier Christen leben. Seit Generationen schon entsorgen koptische Christen Teile des Mülls der etwa zwanzig Millionen Menschen zählenden Metropole Kairo. „Saballin“, Müllmenschen, nennt man sie. Sie leben verhältnismäßig gut davon. Besser jedenfalls als in den Dörfern Oberägyptens, aus denen sie meist stammen. Hier, im fast gänzlich christlichen Müllviertel Mukattam, wachsen Rania und Marina auf, 17 und 14 Jahre alt. Ihre Väter arbeiten auch im Müllgeschäft. Die beiden koptisch-orthodoxen Mädchen sind Freundinnen. „Wir werden dauernd anzüglich angemacht“, beklagt Rania. „Fast alle Männer und Jungs machen das hier. In den meisten Fällen ignoriere ich das und gehe weiter.“ Aber einmal habe es ein ungefähr 18-jähriger Junge im muslimischen Nachbarviertel zu bunt getrieben. „Da habe ich ihm eine geschmiert. Die Leute haben mir Recht gegeben und den Jungen getadelt. Das hat mich gefreut.“ So viel Mut wird nicht immer belohnt. Marina hat das am eigenen Leib erfahren. „Ein christlicher Nachbar, so um die fünfzig, hat mich sehr unsittlich angeredet. Da habe ich mich gewehrt und ihm Paroli geboten. Er ging dann aber zu meinem Vater und hat sich über meine fehlende Erziehung beschwert. Mein Vater hat ihm Recht gegeben und mich dann geschlagen. Ein Mädchen dürfe sich nicht so respektlos verhalten. Sein fehlendes Verständnis hat mir mehr wehgetan als die Prügel.“

Sozialarbeiterin Susi Magdy kennt solche Fälle zuhauf. Die koptisch-orthodoxe Christin arbeitet für die katholischen Comboni-Missionare und lebt selbst in Mukattam. „Die Menschen hier stammen aus dem ländlichen Raum Oberägyptens und denken sehr traditionell. Der Unterschied zwischen Muslimen und Christen ist in dieser Beziehung nicht groß. Es ist allen ganz wichtig, keine Schande über die Familie zu bringen.“ In den allermeisten Fällen werde deshalb auch sexueller Missbrauch totgeschwiegen. „Viele Mädchen werden von ihren Brüdern, Cousins oder Onkeln belästigt oder gar vergewaltigt.“ Darüber zu sprechen, sei aber innerhalb der Großfamilie tabu. Zur Polizei oder zum Pfarrer gehe niemand. „Es würde ihnen auch niemand glauben. Man würde sagen, die Frauen hätten es provoziert“, sagt Magdy.

Auch körperliche Gewalt ist ein großes familiäres Problem. „Mein Vater schlägt meine Mutter. Das kommt immer wieder vor“, erzählt die 14-jährige Marina. Sozialarbeiterin Magdy blickt aber optimistisch in die Zukunft: „Häusliche Gewalt nimmt hier im Viertel ab. Das ist vor allem ein Problem der älteren Generation. Früher waren Schläge des Ehemannes sozial akzeptiert. Die Kampagnen, die wir und andere Organisationen in den vergangenen Jahren gemacht haben, haben aber inzwischen erste Früchte getragen.“ Erfolgreich waren im Viertel auch Aufklärungskampagnen gegen die Genitalbeschneidung von Mädchen. Sowohl bei Muslimen als auch bei Christen ist diese Art der Verstümmelung sehr verbreitet. Soziale und nicht religiöse Gründe seien es auch, die Berufstätigkeit und Studium von Mädchen und Frauen für weite Teile der christlichen Landbevölkerung inakzeptabel machen. „Hier gibt es leider nur kleine Fortschritte“, sagt Magdy. „Für ein christliches Mädchen aus einem Dorf ist es fast unmöglich, ein Studium zu beginnen.“

Ein paar Kilometer weiter, in Kairo Downtown, ist die Welt eine andere. Hier, in der deutschen katholischen Mädchenschule in der Nähe des Tahrirplatzes, schicken die wohlhabenden Schichten ihre Kinder zum Unterricht. Busse bringen die Mädchen aus ihren gepflegten Vierteln täglich in die Schule, die in der Trägerschaft des Borromäerinnen-Ordens steht. Nada ist 17 und koptisch-orthodoxe Christin. Nächstes Jahr macht sie Abitur. Dann will sie Literatur oder Psychologie studieren. So genau weiß sie das noch nicht. Ins Ausland will sie für eine bestimmte Zeit aber sicher. „Seit der Revolution 2011 hat sich für uns Frauen viel zum Besseren verändert“, berichtet sie. „Die Denkweise der Leute ändert sich. Frauenrechtlerinnen hatten unter Mubarak keine Chance, sich öffentlich zu äußern. Das ist jetzt anders.“ Ihre Mitschülerinnen stimmen ihr zu. „Die Frauen haben die Angst verloren, sich für ihre Rechte einzusetzen“, meint die Katholikin Helena, ebenfalls 17 Jahre alt. Kunst will sie studieren.

Auch Nada ist überzeugt davon, dass die Situation der Frau in Ägypten wesentlich von ihrer sozialen und weniger von ihrer religiösen Zugehörigkeit abhängt. Das Stadt-Land-Gefälle sei groß. „Von meinem Elternhaus her oder im Freundeskreis spüre ich keine Einschränkung, weil ich Frau und Christin bin. Die sind alle gebildet und offen. Hier bei uns an der Schule ist das genauso. Die Mehrheit sind Musliminnen, aber da gibt es keine Probleme. Wir sind wie Schwestern.“ Ihre 16-jährige protestantische Mitschülerin Nadine, die später Wirtschaft im Ausland studieren will, kann dagegen von schlechten Erfahrungen ihrer Mutter berichten. „Sie ist Lehrerin und hat an ihrer Schule sehr zu kämpfen, weil sie Christin ist.“ Immer wieder werde sie gefragt, warum sie kein Kopftuch trage.

Das fehlende Kopftuch der Christinnen: Es führt dazu, dass die Mädchen immer wieder unsittlich auf der Straße angesprochen werden. „Viele Jungs und Männer denken, dass wir Christinnen, weil wir kein Kopftuch tragen, leicht zu haben wären. Das sind wir gewohnt. Das nimmt niemand ernst“, sagt die 15-jährige Sheri. „Das hängt auch wesentlich vom Viertel ab, in dem man sich bewegt.“ Gesellschaftliche Normen des konservativen Landes schränken aber selbst gebildete Frauen und Mädchen ein. „Mein Bruder kann problemlos auf dem Fahrrad durch die Gegend fahren. Ich könnte das nicht. In manchen Vierteln Kairos bewerfen sie Frauen auf dem Rad mit Steinen“, erzählt Nada. „Ich hoffe, dass der Tag kommt, an dem ich wie er hinfahren kann, wo ich will.“

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„Kirche in Not“ unterstützt seit Jahren Projekte der katholischen Kirche in Ägypten zur Förderung der Würde der Frau.

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Nada, Helena, Sheri und Nada - Schülerinnen der deutschen Schule der Borromäerinnen in Kairo (c) KIRCHE IN NOT


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