Meine kritische Reaktion auf die DBK-Auswertung der Familienumfrage

27. Februar 2014 in Kommentar


„Es ist wohl mehr als offensichtlich, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in puncto Glaubenswissen und Ehe- und Familienpastoral einiges versäumt wurde bzw. in die falsche Richtung gegangen ist.“ Ein Gastkommentar von Karolin Wehler


Köln (kath.net) Da ich mich selbst beruflich wie privat intensiv mit dem Themenbereich Ehe und Familie im Kontext der katholischen Kirche befasse, hat mich das Papier der DBK, „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung. Zusammenfassung der Antworten aus den deutschen (Erz-) Diözesen auf die Fragen im Vorbereitungsdokument für die III. Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode 2014“, nicht unberührt gelassen. Nicht dass die Ergebnisse eine Überraschung darstellten – aber die Frage, wer den Fragenkatalog überhaupt beantworten konnte und wie dann diese Zusammenfassung zu bewerten ist, stellt sich durchaus.

Wie im Text zu lesen ist, beruht er „auf einer breiten Beteiligung der Gläubigen“. Diese Aussage hat mich zu einer Blitz-Umfrage in meinem privaten E-Mail-Verteiler veranlasst; Fragestellung: „Hattet Ihr in irgendeiner Form, sei es durch Euren Pfarrer oder durch Einladung auf der Ebene Eures Bistums, Gelegenheit, an der Umfrage des Vatikans zur Vorbereitung der Bischofssynode zu Ehe und Familie teilzunehmen?“ Die Befragten sind durchwegs praktizierende Katholiken und fast alle verheiratet. Von 88 Antworten lauteten 79, also fast 90%, „Nein“, nur neun der Befragten, d.h. gut 10%, hatten überhaupt die Möglichkeit, ihre Stimme abzugeben. Einige der „Nein“-Antworten waren noch ergänzt durch Bemerkungen wie „…auch keiner in meiner Familie und meinem Bekanntenkreis…“.

Verschiedentlich war der von Rom vorgegebene Fragebogen in Diözesen, Verbänden und Dekanaten modifiziert worden, teilweise waren tendenziöse Antworten im Multiple-Choice-Verfahren vorgegeben worden. Spätestens jetzt schleichen sich doch erhebliche Zweifel ein!

Die Frage muss erlaubt sein: Nach welchen Kriterien wurden Personen und Personengruppen ausgewählt, die den Fragebogen offiziell beantworten konnten? Zugegeben, auch meine persönliche Umfrage ist nicht repräsentativ, aber sie lässt den Rückschluss zu, dass ein großer, vielleicht auch ein bestimmter Personenkreis offenbar von vorneherein von der Befragung ausgeschlossen war.
Der DBK-Text stellt fest, dass die kirchlichen Dokumente über die Familie kaum bekannt sind, ihre Sprache zu unverständlich und deshalb „die Bereitschaft zur Auseinandersetzung gering“ sei. Na, wenn das kein Auftrag ist: Erstens an die Theologen, ihre Sprache zu überdenken, und zweitens an die Pastoral, Schatzkisten wir „Familiaris consortio“ endlich zu öffnen und die Inhalte auf die Tagesordnung der Verkündigung zu bringen!

Dass „ein Gespräch über die natürliche Familienplanung meistens auf Desinteresse oder Ablehnung“ stößt, kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen.

Wo dieses Gespräch auf wertschätzende, positive, kompetente und empfehlende Weise geführt wird, trifft es häufig auf Dankbarkeit und Staunen: darüber, dass im kirchlichen Programm Methoden der Empfängnisregelung stehen, die den Menschen als Person ernst nehmen, den Weg zu erfüllter Sexualität zeigen und gleichzeitig höchste Zuverlässigkeit aufweisen.

Meine Befürchtung in diesem Zusammenhang ist eher die, dass dieses Gespräch meist gar nicht stattfindet, da das Thema in der Pastoral normalerweise gerne ausgeklammert wird. Eine groß angelegte Studie unter Anwendern der Natürlichen Empfängnisregelung (NER) im deutschsprachige Raum hatte unter anderem zum Ergebnis, dass nur 5% der Befragten im Rahmen der Ehevorbereitung von dieser Lebensweise gehört hatten (nachzulesen im von Link zum Maria Eisl und Andreas Laun herausgegebenen Buch „Dynamik der Liebe“ oder unter www.kirchen.net/familie). Diese Studie stellt übrigens auch einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen der Praxis der NER und der Scheidungshäufigkeit her: Im Durchschnitt wurden nur 3% der Ehen in der befragten Gruppe geschieden! Wenn „optimale religiöse Praxis“ dazu kommt, kann dieser Prozentsatz – wen wundert es? – sogar noch gesenkt werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass „Humanae Vitae“ in der Altersgruppe unter 45 kein Reizwort mehr ist, da die Enzyklika so gut wie gar nicht bekannt ist. Dies birgt auch die Chance einer neuen Annäherung.

Wie im DBK-Dokument weiter zu lesen ist, spielt die kirchliche Lehre über Ehe und Familie „in der Jugendarbeit nur eine geringe Rolle“. Wie schade, wäre hier doch spätestens ein sinnvoller Zeitpunkt, um Ehevorbereitung im Frühstadium durchzuführen. Interesse der Jugendlichen kann man voraussetzen, Liebe und Partnerschaft sind doch Thema Nummer 1! Obgleich diese Fragen auch in den Lehrplänen verankert sind, zeigt die persönliche Erfahrung bei den eigenen Kindern, dass sie meist gar nicht erst angesprochen werden.

An verschiedenen Stellen macht die Zusammenfassung der DBK deutlich, dass das Verständnis für die Ehe als Sakrament praktisch vollkommen abhanden gekommen ist. Dies dürfte wohl die dringlichste Aufgabe der Ehepastoral sein: Die Augen und das Herz zu öffnen für diese wunderbare und geheimnisvolle Dimension, die uns als Ehepaar Jesus Christus so nahe bringt und die den Herrn als unerschütterlichen Fels in der Brandung in unserer Mitte sein lässt!

Erschreckend ist die Feststellung, „dass die kirchlichen Angebote der Ehe-, Familien- und Lebensberatung sich hoher sozialer Wertschätzung erfreuen, während die kirchliche Ehetheologie und Sexualmoral nahezu keine Akzeptanz findet.“ Der Vergleich liegt nahe: Man schaut zu, wie das Kind in den Brunnen fällt, und versucht nachher, es wieder herauszuholen. Kommt denn niemand auf die Idee, dass die kirchliche Ehetheologie und Sexualmoral entscheidend zum Gelingen eines glücklichen Ehe- und Familienlebens beitragen? Dazu müssten sie natürlich, bestenfalls vor der Eheschließung, erst einmal vermittelt werden.

Im Zusammenhang mit „Ehe und Naturrecht“ wird stabilen Paarbeziehungen und verlässlichen familiären Strukturen eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung beigemessen. Dies weisen ja auch regelmäßig die verschiedensten Studien nach. Die Ehetheologie weiß, dass diese Sehnsucht nach treuer Liebe im Menschen verankert ist: Sie ist die Erinnerung an das Paradies, also daran, wie Gott uns eigentlich gedacht hat. Die Kirche hat die wunderbare Aufgabe, die Menschen zur Erfüllung dieser Sehnsucht zu führen. Die Theologie des Leibes von Johannes Paul II. sollte dringend möglichst vielen Menschen bekannt gemacht werden, ist sie doch bestens geeignet, eine Verbindung zwischen Naturrecht und der im vorliegenden Text gewünschten „personal argumentierenden Grundlegung“ herzustellen.

Wenn Ehekatechese hauptsächlich in Ehevorbereitungskursen stattfindet, diese aber im deutschen Durchschnitt nur von einem Drittel der kirchlich heiratenden Paare wahrgenommen werden, wird der Finger in eine weitere Wunde gelegt. Ist es zu verantworten, dass ein Sakrament mit lebenslänglichen Konsequenzen praktisch ohne Vorbereitung gespendet wird? Fast alle, die sich heute zur Eheschließung entscheiden, haben gescheiterte Ehen in ihrem nächsten Umfeld erlebt. Die Frage, wie Ehe gelingen kann, ist sehr präsent. Ein ansprechendes und gut konzipiertes Programm zur Vorbereitung sollte als Hilfestellung und nicht als lästige Pflicht empfunden werden und selbstverständliche Voraussetzung für den Zugang zum Sakrament sein!

Besonders die sich am Ende des DBK-Textes anschließende Beurteilung erweckt sehr stark den Eindruck, als fänden die Verfasser ihre Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit nicht in der Lehre der Kirche, sondern im Sumpf des gesellschaftlichen Mainstreams. Sind wir eine Kirche von Funktionären geworden, denen die eigenen Inhalte abhanden gekommen sind?

Sollten wir es nicht wagen, den Blick dahin zu richten, wo Ehepaare sich darum bemühen, nach der Lehre der Kirche zu leben, und erkennen, welche Auswirkungen das hat: Nicht perfekte, aber blühende Familien, die Sauerteig für Kirche und Gesellschaft sind! Aus diesen „Best-Practice-Modellen“ wären dann Strategien für die Ehe- und Familienpastoral zu entwickeln. Der Weg zur Erneuerung der Kirche führt über die Familie, sie ist die erste und wichtigste Schule des Liebens, des Lebens und des Glaubens. Es erschließt sich also von selbst, wo die kirchliche Verkündigungstätigkeit ihre Schwerpunkte setzen muss, wenn sie auf Zukunft ausgerichtet sein soll. Dick unterstreichen kann man, dass Familien selbst Subjekte der Ehe- und Familienpastoral sind: Wo sie einfach Familie sein dürfen, wie es dem Schöpfungsauftrag und der Lehre der Kirche entspricht, wird ihre natürliche Strahlkraft ihre Wirkung nicht verfehlen!

Geschätzte Bischöfe, liebe Verantwortliche in Ehe- und Familienpastoral, es ist wohl – nicht erst seit dieser Umfrage – mehr als offensichtlich, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in puncto Glaubenswissen und Ehe- und Familienpastoral einiges versäumt wurde bzw. in die falsche Richtung gegangen ist. Aber, und das ist ja das Wunderbare an unserem Glauben: Wir sind erlöst und können daher, so lange wir leben, umkehren und neu anfangen. Es gibt viel zu tun, packen wir’s freudig an!

Die Autorin Karolin Wehler ist Mutter von sechs Kindern und engagiert sich neben ihrem Hauptberuf als akademische Referentin für Theologie des Leibes und Referentin am Institut für Natürliche Empfängnisregelung Dr. Rötzer


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