Defizitäre Antworten, ignorierte Fragen und ungewollte Offenbarungen

24. Februar 2014 in Kommentar


Zum Papier der Deutschen Bischofskonferenz auf den Fragebogen aus Rom. Ein Gastkommentar von Prof. Manfred Spieker


Bonn (kath.net) Anfang November 2013 schickte das Sekretariat der Bischofssynode in Rom den nationalen Bischofskonferenzen einen Fragebogen zu den „pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“. Er sollte der Vorbereitung der außerordentlichen Bischofssynode zu diesem Thema im Oktober 2014 dienen.

Anfang Februar 2014 hat die Deutsche Bischofskonferenz eine 20seitige Zusammenfassung der Antworten zurückgeschickt. Die Zusammenfassung beruhe, heißt es zu Beginn des Papiers, auf den Antworten aus 27 Bistümern, etwa 20 namhaften katholischen Verbänden und Institutionen, Stellungnamen von Fachleuten, Fachgremien, Räten und Einzelpersonen.

Die Aufzählung erweckt den Eindruck, als läge den Antworten auf den römischen Fragebogen die größte empirische Umfrage seit der Befragung der deutschen Katholiken im Vorfeld der Würzburger Synode 1972 zugrunde. Die öffentliche Resonanz, die die Zusammenfassung der Antworten durch die Deutsche Bischofskonferenz gefunden hat, verstärkt noch diesen Eindruck. Jetzt wüssten die deutschen Bischöfe und Rom endlich, was die deutschen Katholiken von der Sexualmoral der Kirche halten: nämlich gar nichts.

Die Erwartungen an die Bischofssynode stiegen gewaltig. Sie müsste nach dem „mutigen“ Papier der deutschen Bischöfe endlich die ersten Schritte zu einer Revision der kirchlichen Sexualmoral und des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen einleiten.

Eine genauere Prüfung der Antworten der Deutschen Bischofskonferenz auf den römischen Fragebogen wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf, die im Folgenden auf die Rezeption der Lehre von Humanae Vitae fokussiert werden : 1. Wer ist der Autor der Antwort? Wer verbirgt sich hinter dem ebenso üppigen wie schwammigen Subjekt der Bistümer, Verbände, Räte und Fachleute? 2. Welche Fragen des römischen Fragebogens werden beantwortet und welche nicht? 3. Was ist das Ziel des Papiers der Deutschen Bischofskonferenz?

1. Wer antwortet?

Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Zusammenfassung der Antworten auf den römischen Fragebogen um einen Text der deutschen Bischofskonferenz. Als solcher wurde er nach Rom geschickt. Dass alle Bischöfe diesem Text ihre Zustimmung gegeben haben, vermag sich niemand vorzustellen. Es handelt sich um eine Ausarbeitung des Sekretariats der Bischofskonferenz.

Mithin stellt sich die Frage, wer hat das Sekretariat beraten? Vergleicht man die Ausarbeitung des Sekretariats mit einem Papier, das 20 überwiegend emeritierte Moral- und Pastoraltheologen Mitte Dezember verabschiedet haben, dann fällt auf, dass sich viele Antworten in den beiden Papieren decken. Fragt man, wer im Papier der Moral- und Pastoraltheologen den Ton angibt, kommt man um den Namen des Freiburger Moraltheologen Eberhard Schockenhoff nicht herum. Seine von der kirchlichen Lehre abweichenden Positionen zur katholischen Sexualmoral, insbesondere zu den Methoden der Empfängnisregelung, zu wiederverheirateten Geschiedenen und zur Homosexualität bestimmen beide Papiere. Schockenhoff, der im Deutschen Ethikrat seit vielen Jahren das Recht auf Leben verteidigt und zahlreiche bioethische Arbeiten publiziert hat, die im Sinne der Lehre der katholischen Kirche Orientierung geben, kann gewiss zugutegehalten werden, dass seine Positionen in Fragen der Sexualmoral, der wiederverheirateten Geschiedenen und der Homosexualität von vielen Katholiken in Deutschland geteilt werden.

Aber dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz kann man den Vorwurf nicht ersparen, dass es neben der Position Schockenhoffs, nennen wir sie einmal Mehrheitsposition, auch die Minderheitsposition angemessen zur Geltung hätte bringen müssen, jene Position also, deren Vertreter die Lehre der katholischen Kirche im Hinblick auf die Sexualmoral, die wiederverheirateten Geschiedenen und die Homosexualität verteidigen und für das eigene Verhalten zum Maßstab nehmen. Die Ausarbeitungen des Deutschen Ethikrates, die bei kontroversen Themen Mehrheits- und Minderheitsposition immer nacheinander zu Wort kommen lassen, hätten für ein solches Verfahren ein gutes Vorbild sein können. Das Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz hat sich anders entschieden. Es präsentiert seine eigenen Antworten.

2. Was wird beantwortet, was nicht?

Der römische Fragebogen wurde nicht nur in den säkularen Medien, sondern auch in vielen kirchlichen Einrichtungen so verstanden, als wolle das Sekretariat der Synode durch eine empirische Untersuchung erfahren, was die Katholiken von der kirchlichen Sexualmoral im allgemeinen und von Humanae Vitae im besonderen halten. In den neun Hauptfragen mit den zahlreichen Unterfragen des Fragebogens geht es jedoch nicht nur um die Akzeptanz der kirchlichen Lehre über Ehe und Familie, sondern immer, ja in erster Linie, um die Kenntnis dieser Lehre, um ihre Verbreitung in den Pastoralprogrammen und der Verkündigung und um Vorschläge zu ihrer Vertiefung. In der Beantwortung dieser Fragen ist das Papier der Bischofskonferenz sehr selektiv. Es akzentuiert die Fragen nach der Akzeptanz und ignoriert vielfach jene nach den pastoralen Anstrengungen zur Verbreitung und Vertiefung der kirchlichen Lehre. Wäre die Bischofskonferenz auf letztere auch nur halbwegs angemessen eingegangen, hätte sie selbstkritisch über das Versagen der Verkündigung und der Moraltheologie seit dem Konzil sprechen müssen.

Die Frage nach der „wirklichen Kenntnis“ der kirchlichen Lehre über Ehe und Familie, insbesondere der Dokumente des kirchlichen Lehramtes Gaudium et Spes, Humanae Vitae und Familiaris Consortio beantwortet die Bischofskonferenz, sie seien „nicht oder nur in wenigen Fällen bekannt“. Humanae Vitae sei „nur noch in der älteren Generation bekannt“. Das Papier meint auch den Grund für die Unkenntnis zu kennen: Der „sprachliche Duktus“ und der „autoritative Ansatz“ der „gesamtkirchlichen Verlautbarungen“ seien nicht dazu angetan, das Verständnis und die Akzeptanz der Gläubigen zu wecken. Bei dieser Feststellung versteckt sich der Autor – man wagt kaum zu sagen, die Bischofskonferenz – nicht einmal hinter den Gläubigen. Er präsentiert sie vielmehr als eigene Diagnose.

Die Antwort ist in mehrfacher Hinsicht defizitär. Zum einen verschweigt sie, dass die Sexualmoral der Kirche in vielen Bistümern nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz in der Pastoral so gut wie keine Rolle spielt.

Die Ablehnung der Enzyklika Humanae Vitae durch maßgebliche Moraltheologen (von Böckle bis Schockenhoff) hatte und hat zur Folge, dass auch der Klerus große Vorbehalte gegenüber der Lehre der Kirche hat. In der Verkündigung kommt sie deshalb nicht vor. Die von der Kirche empfohlene Natürliche Empfängnisregelung zu erklären und zu vermitteln, ist kaum ein Priester bereit oder in der Lage. Priester, die in den 60er und 70er Jahren ausgebildet wurden, verwechseln sie häufig mit der Kalender-Methode nach Knaus/Ogino.

Erstaunlich ist in den Antworten sowohl der Moral- und Pastoraltheologen als auch der Bischofskonferenz das Lob für das Apostolische Schreiben Johannes Pauls II. Familiaris Consortio von 1981, dessen personaler Ansatz eher auf Zustimmung stoßen würde als Humane Vitae, erstaunlich deshalb, weil Familiaris Consortio im Hinblick auf die Fragen der Empfängnisregelung Humanae Vitae ausdrücklich bestätigt.

Die Theologie des Leibes, mit der Johannes Paul II. vor 30 Jahren Humanae Vitae neu begründet hat und die geeignet wäre, das Vorurteil von der Leibfeindlichkeit der katholischen Sexualmoral zu korrigieren, wird in der Moraltheologie ebenso weitgehend ignoriert wie in der Verkündigung. So ist die kirchliche Lehre einer menschenwürdigen Sexualität zwei Generationen von Katholiken vorenthalten worden.

Ganz offen gesteht das Papier, dass sich daran in Zukunft auch nichts ändern wird, weil „seitens vieler Hauptamtlicher in Pastoral und Caritas … eine starke Skepsis und eine geringe Bereitschaft (besteht), sich über diese Methode zu informieren und für sie zu werben“.

Zum anderen geht die Antwort der Bischofskonferenz auf deutliche Distanz zu jenen Katholiken, die in Humanae Vitae eine prophetische Schrift sehen und die Natürliche Empfängnisregelung praktizieren, die für sie nicht nur eine Methode, sondern, wie Johannes Paul II. in Familiaris Consortio 32 ausführlich begründet, eine Frage des Menschenbildes ist. In der Regel handelt es sich dabei um Katholiken, die sich in der Kirche und in kirchlichen Bewegungen stark engagieren. Das Papier gibt ohne Quellenangabe vor zu wissen, dass sie „eine Minderheit von unter drei Prozent“ seien. Die Nachfrage nach der Natürlichen Familienplanung verharre auf niedrigem Niveau und die kirchlichen Bewegungen seien „kein Massenphänomen“. Letzteres lässt sich ja nicht bestreiten, aber die Frage drängt sich doch auf, ob der hier angelegte Maßstab und die Wortwahl nicht den Unwillen verraten, sich auf die kirchlichen Bewegungen überhaupt einzulassen und ob die katholische Kirche denn sonst ein „Massenphänomen“ ist.

Defizitär ist die Antwort der Bischofskonferenz auch auf die Frage, welchen besonderen Beitrag Ehepaare und Familien leisten können, um zur Verbreitung einer glaubwürdigen und ganzheitlichen Sicht von Ehe und Familie beizutragen. Hier wäre nicht nur ein Hinweis auf die Familienarbeit der kirchlichen Bewegungen angebracht gewesen, sondern auch eine Erwähnung der kinderreichen Familien, die allein durch ihre Existenz einen nicht geringen Beitrag zum missionarischen Wirken von Ehe und Familie leisten. Die kinderreichen Familien, die 2012 einen rasant wachsenden und auch in der Politik wahrgenommenen Verband gründeten, kommen in diesem Papier nicht vor.

Auch Aussagen zu der Scheidungsrate überzeugter, ihre Ehe als Sakrament begreifender, Humanae Vitae folgender und miteinander betender Katholiken hätte man hier erwarten können. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Scheidungsrate von Christen, die ihren Glauben bekennen und praktizieren, deutlich geringer ist als die des Durchschnitts der Bevölkerung. Die Behauptung des Papiers, Ehen von Katholiken seien „etwas stabiler als der Durchschnitt“, aber die Differenz sei „nicht sehr groߓ, ist im Hinblick auf praktizierende Katholiken nicht nur eine gewaltige Untertreibung, sondern eine Irreführung.

Auf die Frage, was die Pastoralprogramme auf nationaler, diözesaner und Pfarreiebene für die Verbreitung der kirchlichen Lehre zu Ehe und Familie leisten, antwortet das Papier, es gäbe „vielfältige Maßnahmen und Angebote“ und in allen Bistümern Referenten für Ehe- und Familienpastoral sowie eine Kommission für Ehe und Familie der deutschen Bischofskonferenz. Aber weder werden die Maßnahmen und Angebote näher beschrieben noch wird dargelegt, was die Referenten für Ehe- und Familienpastoral und die Familienkommission tun. Der Fragebogen will schließlich wissen, welche kulturellen Faktoren die Annahme der Lehre der Kirche im außerkirchlichen Bereich behindern. Die „Pluralisierung des Familienbegriffs“ und die Säkularisierung der Gesellschaft und der Kultur, so die Antwort, machten es für die Kirche schwierig, „die religiöse und spirituelle Dimension von Ehe und Familie zu kommunizieren“. Eine selbstkritische Antwort hätte auch hier den Ausfall der Verkündigung und der Gewissensbildung in den Blick nehmen müssen.

Das Eingeständnis, dass viele Hauptamtliche in Pastoral und Caritas skeptisch gegenüber der Natürlichen Empfängnisregelung sind und nur geringe Bereitschaft mitbringen, sich darüber auch nur zu informieren, geschweige denn für die zu werben, zeigt die Zielrichtung des Papiers: nicht die verbreitete Ignoranz und die Ablehnung der kirchlichen Lehre sind für die Autoren das Problem, sondern die Sexualmoral der Kirche.


3. Wozu wird geantwortet?

Der Zweck des Papiers ist mithin klar: geändert werden sollen nicht die Einstellungen der Katholiken, sondern die Sexualmoral der Kirche wie im Übrigen auch die Regelungen für wiederverheiratete Geschiedene und für homosexuelle Beziehungen. Schockenhoff nennt in einem Interview im Internetportal der Deutschen Bischofskonferenz (katholisch.de) vom 6. Februar 2014 den Zweck des Papiers mit hinreichender Deutlichkeit: weil „die Lebenserfahrung der Gläubigen ein genuiner Ort für ethische Erkenntnisse“ sei, komme die Kirche „nicht umhin, das, was sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in vielen anderen Bereichen geschafft hat, auch für die Sexualmoral und die gewandelten Familienverhältnisse zu tun: nämlich ein neues, theologisch begründetes Selbstverständnis zu erarbeiten und eine Verkündigungssprache zu finden, in der Lehre und Leben übereinstimmen“. Nicht die harten Herzen sind mithin dem Evangelium anzupassen, sondern das Evangelium den harten Herzen.

Es gäbe ja auch Berichte, meint Schockenhoff, dass die deutschen Bischöfe gewillt seien, „in Rom mit Nachdruck auf diese Aufgabe hinzuweisen“. Zwar würden „die konservativen Bischöfe“ dieser Linie nicht sofort folgen, aber das sei auf dem Konzil nicht anders gewesen. Er hoffe, dass das Resultat der Synode „dem Vorschlag der deutschen Bischöfe nahe kommt“. Vorsorglich hat die Deutsche Bischofskonferenz ihr Papier auch schon auf Englisch und Italienisch veröffentlicht.

Schockenhoffs Hoffnung ist entgegenzuhalten: Hätte sich das Papier der Bischofskonferenz doch nur am Zweiten Vatikanischen Konzil orientiert, dann hätte es den missionarischen Charakter der Kirche und den Auftrag der Bischofssynode, die Evangelisierung im Bereich von Ehe und Familie, nicht derart ignoriert. Seit der Königsteiner Erklärung zu Humanae Vitae 1968 haben die Bischöfe Angst, die Lehre der Kirche zu Ehe und Familie offen zu verkünden. „Wir hatten nicht den Mut, ein klares Ja zu „Humanae Vitae“ zu sagen“, bekannte Kardinal Schönborn in einer Predigt im Abendmahlsaal in Jerusalem am 27. März 2008. „Aus Angst verschlossen wir uns hinter den Türen, nicht aus Angst vor den Juden (vgl. Joh 20,19), sondern wegen der Presse und auch wegen des Unverständnisses unserer Gläubigen. Weil wir keinen Mut hatten, veröffentlichten wir in Österreich die Maria-Troster Erklärung, so wie in Deutschland die Königsteiner Erklärung. Dies hat im Volk Gottes den Sinn für das Leben geschwächt und die Kirche entmutigt, sich für das Leben zu öffnen“.

Sollten die deutschen Bischöfe auf der Synode wirklich für eine neue Sexualmoral der Kirche streiten wollen, ist gewiss damit zu rechnen, dass andere Bischöfe sich ein Wort eines ihrer großen Vorgänger zu Herzen nehmen. Es stammt von Bischof Bonifatius (673-754). Die amerikanischen Bischöfe zitieren es in ihrem eindrucksvollen Hirtenbrief „Living the Gospel of Life: A Challenge to American Catholics“ vom 24. November 1998: „Lasst uns weder Hunde sein, die nicht bellen, noch schweigende Zuschauer oder bezahlte Dienstboten, die vor dem Wolf fliehen. Lasst uns stattdessen sorgsame Hirten sein, wachend über Christi Herde. Lasst uns Großen und Kleinen, Reichen und Armen, Menschen jedes Ranges und Alters, Gottes ganzen Plan predigen, soweit uns Gott die Stärke verleiht, gelegen oder ungelegen…“ Ein Zeuge der Hoffnung, der das Evangelium des Lebens verkündet, muss auch bereit sein zu bellen. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. waren immer wieder dazu bereit. Dass auch Papst Franziskus dazu bereit ist, zeigte er nicht zuletzt in seiner Ansprache beim Neujahrsempfang für das diplomatische Corps beim Hl. Stuhl.

Die Umstände, unter denen das Papier der Bischofskonferenz erarbeitet wurde, und der Zweck, zu dem es nach Rom geschickt und gleich in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde, werfen mehrere Fragen auf. Wie steht es um die Macht und die Transparenz des Sekretariats des deutschen Bischofskonferenz? Dient es den Bischöfen in ihrem Hirtenamt oder betreibt es eine eigene Politik? Die von Papst Franziskus eingeleiteten Reformen der Kurie, durch die Transparenz hergestellt und der Zweck der Kongregationen, Räte und Sekretariate verdeutlicht werden soll, nämlich Instrument der Verkündigung der Kirche zu sein, könnten vorbildlich werden – auch für eine Reform der deutschen Bischofskonferenz und ihres Sekretariats.

Manfred Spieker ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften und unterrichtete bis 2008 an der Universität Osnabrück

Foto Prof. Spieker: © www.kath-theologie.uni-osnabrueck.de


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