Philosoph Hösle: 'Religionen profitieren von Säkularisierung'

21. Februar 2014 in Aktuelles


Deutsch-italienischer "Star-Intellektueller" im "Kathpress"-Gespräch: Liberalität der USA deshalb bemerkenswert, weil sie aus religiöser Tradition gewonnene Überzeugungen nicht per se als "schlecht" oder "falsch" diskreditiert, sondern als gleichran


Wien (kath.net/KAP) Eine fortschreitende Säkularisierung und Privatisierung des Religiösen schadet den etablierten Kirchen und Religionsgemeinschaften: Dieser "klassischen" These ist der deutsch-italienische Philosoph Vittorio Hösle im "Kathpress"-Gespräch mit Verve entgegengetreten. Die Säkularisierung stelle zwar lange bewährte Traditionen der Staat-Kirche-Kooperation in Frage, zugleich aber setze dies enorme kreative Kräfte und letztlich eine "lebendigere Religiosität" frei, zeigte sich Hösle überzeugt.

Ein Beispiel dafür seien die USA, wo es von Beginn an keinerlei "Alimentierung" der Kirchen durch den Staat gegeben habe, die Religion aber bis heute eine weitaus größere Kraft in der Öffentlichkeit darstelle als in Europa. Der Staat tue zwar im eigenen Interesse gut daran, ein "kooperatives Verhältnis" zur Kirche etwa im Bereich von Bildungs- oder Gesundheitsdienstleistungen zu suchen, da er sich damit bares Geld spare - kritisch werde es jedoch, wenn diese Kooperation zu einer Ermattung der kreativen Kräfte religiöser Gemeinschaften führe.

Der an der amerikanischen katholischen Notre Dame University (South Bend/Indiana) Philosophie, Literatur und Politikwissenschaften lehrende Hösle gilt als Universal-Gelehrter. Am Mittwochabend referierte er auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Rahmen der Symposien-Reihe "Maimonides Lectures" zur Frage "Was sind und zu welchem Ende betreibt man Geisteswissenschaften?"

"Geradezu archaische Religiosität"

Für europäische Verhältnisse zeichne sich die USA durch eine "geradezu archaische Religiosität" und eine "besondere religiöse Intensität" aus, so Hösle. Ein wortwörtliches Bibelverständnis sei gerade im protestantischen Bereich der USA nicht selten. Dies lasse sich damit erklären, dass in den USA die "Krise der Theologie" nie eine solche Wirkmacht gerade an den Universitäten gewann, wie dies in Europa der Fall war. So habe sich ein "relativ naiver Bibelglauben" erhalten, der in Europa bereits seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr vertreten werde. In den letzten Jahren habe sich die Republikanische Partei zu einem "anti-intellektuellen" Sammelbecken gerade für diese Gruppe herausgebildet.

Dennoch verweist Hösle auf einen wichtigen Unterschied in der Wertigkeit religiöser Überzeugungen im öffentlichen Diskurs: So erweise sich die Liberalität der USA gerade darin, dass sie aus religiöser Tradition gewonnene Überzeugungen nicht per se als "schlecht" oder "falsch" diskreditiere, sondern als gleichrangig zulasse.

Geradezu staatstragende Relevanz bekommen Religionen - aber auch etwa die bildenden Künste - laut Hösle im Blick auf das moralische Fundament der Gesellschaft. Auch wenn ethische Begründungsmuster heute ohne Religion auskommen mögen, so stelle sich immer auch die Frage nach der "Motivation" eines ethischen Verhaltens. "Daher sind etwa Religionen, aber auch die Kunst, als Schulen der Empathie, des Mitleidens mit anderen, wichtig", so Hösle. Denn sie stellten die notwendige Basis auch säkularer Ethiken - und letztlich des gesellschaftlichen Zusammenlebens insgesamt - dar.

Krise der Geisteswissenschaften

Gegenstand des Vortrags von Vittorio Hösle an der ÖAW war die Frage nach Sinn und Ziel des Studiums der Geisteswissenschaften. In Europa seien die Geisteswissenschaften etwa seit dem 19. Jahrhundert in eine schwere Krise geraten, so der Philosoph. Diese gehe einher mit der Krise des Offenbarungsglaubens, der bis dato eine gleichsam unhinterfragte Begründungsfunktion aller geisteswissenschaftlichen Forschung darstellte.

Heute habe sich diese Krise verschärft. Grund sei eine weitreichende "Neutralisierung der eigenen normativen Einstellung" und das "Postulat der Wertfreiheit", das auch in den Geisteswissenschaften Einzug gehalten habe. Anders gesagt: Die Frage nach wahr und falsch werde nicht mehr gestellt. Stattdessen halte eine "methodische Anarchie" und zugleich eine starke "Fragmentarisierung" in den Geisteswissenschaften Einzug.

Dagegen plädiert Hösle dafür, dass die Geisteswissenschaften Koalitionen mit anderen Fachwissenschaften suchen. Dies verhelfe ihnen, neu die Sachkompetenz zu begründeten normativen Urteilen zu erwerben.

Als "katholischer Philosoph" wolle er im übrigen nicht verstanden werden, so Hösle. "Schon Aristoteles hat gesagt: Wenn einer ein guter Mensch ist und ein Schuhmachermeister, dann bedeutet das noch nicht, dass er auch ein guter Schuhmachermeister ist. Und so bin ich katholisch und Philosoph, aber ich bin kein katholischer Philosoph."

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