Bindungsforscher: In schlechten Kitas 'sind die Kinder auf hoher See'

28. Jänner 2014 in Familie


Kinderpsychiater Brisch: Ideal sei ein Personalschlüssel von einer Erzieherin für zwei Kinder - In den meisten Kitas sähen die Kinder unter der Woche aber zu viele Menschen. Dies führe zu Bindungsproblemen, Dauerstress und Langzeitfolgen


München (kath.net/pl) „Satt und sauber allein reicht schon lange nicht mehr“, doch „von emotionaler Betreuung redet man nicht an erster Stelle. Ohne emotionale Betreuung und Bindung indes wird von dem neuronalen Wachstumshormon, das die Vernetzung koordiniert, nicht genug gebildet.“ Massive Kritik an der Qualität der Kinderkrippen äußerte der Bindungsforscher und Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch im Interview mit der „Zeit“. „Die Kinder sehen unter der Woche viele Menschen, nicht nur die zwei Erzieherinnen, und das auch noch zu unterschiedlichen Zeiten. Damit sind sie wirklich auf hoher See, was emotionale Bindungen, Beziehungen und Sicherheit angeht.“

Eines der Grundprobleme sei der schlechte Personalschlüssel in den Kitas. Denn natürlich könne „keine Erzieherin mit sechs oder acht unter Dreijährigen emotional ausreichend in Kontakt sein. Das geht einfach nicht bei diesem Personalschlüssel und dauerndem Personalwechsel“. Doch damit werde der Mangel an Zuneigung für die Kleinen zur Alltagserfahrung. Das müsste man dringend, dringend, dringend ändern.“ Wenn es einem Kleinkind „an ausreichend beständigem emotionalem Kontakt“ fehle, dann stelle sich Stress ein und „Dauerstress schadet dem Gehirn“.

Natürlich könnten in Kitas in Problembezirken, wo verstärkt von „zu Hause weniger sicher gebundene Kinder“ kommen, von der sicheren Bindung in einer Kita ein Leben lang profitieren. Dazu wären dort allerdings „sehr gut ausgebildete Erzieherinnen und eher eine Eins-zu-zwei-Betreuung“ nötig. „So wird die Krippe nicht zum Risiko-, sondern zum Schutzfaktor für die Kinder aus Brennpunkten.“

Man müsse darum kämpfen, „dass die Politik mehr Geld investiert, um mehr Personal in den Krippen zu haben, es besser auszubilden und zu begleiten, damit die Qualität der emotionalen Erzieherin-Kind-Beziehung besser“ werde. Es sei „eine ganz gezielte Ausbildung von Erzieherinnen für den Frühkindbereich“ nötig. Denn es brauche „schon eine besondere Berufung, um zu sagen: Ich engagiere mich mit Inbrunst für Säuglinge. Zwei, drei Säuglinge zu versorgen ist viel anstrengender, als mit Drei- bis Sechsjährigen zu spielen. Wer für den Kindergarten ausgebildet ist, hat von Säuglingen und Zweijährigen nicht unbedingt eine Ahnung.“

Link zum Originalartikel in der „Zeit“: „Das Krippenrisiko“


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