Schönborn: 'Pfarrer-Initiative' im Promille-Bereich

27. Jänner 2014 in Österreich


Wiener Erzbischof in Radio-Vatikan-Interview zum Ad-limina-Besuch: Augenblicklich keine für Medien interessante Aufregungen über die Kirche da - Von Papst Franziskus lässt sich lernen, dass "die Kirche sich nicht übermäßig mit sich selbst und ihren


Rom (kath.net/KAP) Kardinal Christoph Schönborn, der sich seit Sonntag zum Ad-limina-Besuch in Rom befindet, hat in einem "Radio Vatikan"-Interview die österreichische Kirche als "breit aufgestelltes und buntes Puzzle" bezeichnet. Diese Kirche wandle "sich ganz deutlich von einer Volkskirche zu einer Entscheidungskirche", so der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz: "Es hat sich insgesamt die Struktur der Kirche, aber vor allem das Leben der Kirche in den letzten sechzig Jahren radikal verändert, die Pfarrgemeinde ist eine kleine Schar geworden."

Für die Medien interessante Aufregungen über die Kirche gebe es augenblicklich keine, sagte der Kardinal in dem am Sonntag gesendeten Gespräch. Das sei aber "weder ein Zeichen, dass es der Kirche schlecht geht, noch ein Beweis dafür, dass es ihr gut geht". Die Medienberichterstattung über die Kirche und das reale Leben der Kirche seien nämlich "zum Teil sehr unterschiedliche Dinge".

Sehr deutlich sei dies bei der ganzen Frage der Pfarrerinitiative geworden. "Die weltweite Wahrnehmung der Kirche Österreichs kannte nur ein Thema", so Schönborn: "Das 'Alleinstellungsmerkmal' war der 'Aufruf zum Ungehorsam'. Wo immer ich Bischöfe aus der Welt getroffen habe, wurde immer bemerkt: Ihr Arme, wie schrecklich! Ich habe dann immer erklärt, dass jene Priester, die wirklich den Aufruf gemacht haben, wirklich nur ein ganz kleiner Prozentsatz, fast im Promille-Bereich, der Priester sind. Dann war die Überraschung immer groß. Da sieht man den Unterschied zwischen dem, was medial transportiert wird und dem, was die Realität der Kirche ist."

"Spannender Weg" in Wien

Befragt zu Erfahrungen aus Wien, die er der Weltkirche mitteilen könne, sagte der Erzbischof der größten Diözese Österreichs, man sei auf einem "spannenden Weg". Es gebe eine große missionarische Herausforderung.

Von Papst Franziskus lasse sich dabei lernen, dass die Kirche sich nicht übermäßig mit sich selbst und ihren Strukturen beschäftigen solle. "Die entscheidende Frage ist, ob es uns im Herzen brennt, die Menschen, die auf der Suche sind, aufzuspüren und einen Weg zu Christus zu finden. Wenn ich das ganz nüchtern betrachte: Von der Gesamtbevölkerung Wiens, den 1,8 Millionen Menschen, die hier leben, machen etwas zwei Prozent vom Sonntagsgottesdienst Gebrauch", so Schönborn.

Reformen seien deshalb notwendig; die Strukturen in Wien gingen zum Teil auf das späte 18. Jahrhundert zurück bzw. auf die Pfarrvermehrung des 19. Jahrhunderts und der Nachkriegszeit. "Das entspricht vielfach nicht mehr der Realität der schwindenden Katholikenzahl, aber auch der veränderten Lebensgewohnheiten. Menschen gehen nicht automatisch in ihre Ortspfarre, wir stellen fest, dass sehr viele der engagierten Mitglieder der Pfarren gar nicht in der Pfarre leben, in der sie engagiert sind. Viele Menschen gehen in ihre Wahlpfarren", erläuterte Schönborn.

Das Thema Gemeinschaft habe deshalb Vorrang vor der Frage der territorialen Zugehörigkeit. Das werde sich durch die Demografie in den kommenden Jahren weiter verstärken. Andererseits zeige sich eine neue Form der Gemeindebildung. Menschen fänden sich dort ein, "wo sie eine lebendige Glaubensgemeinschaft finden und nicht unbedingt dort, wo sie territorial hin gehören".

"Nicht die Kräfte, alle Pfarren zu halten"

Man stehe im Umbauprozess noch am Anfang, sagte der Wiener Erzbischof: "Aber ich glaube, dass wir ihn beherzt angehen. Angesichts der sehr bunten und verschiedenen Struktur der Erzdiözese Wien können wir das nicht nach Rasterplan machen. Wir werden nicht einfach ein vorgefasstes Konzept über die Diözese drüber legen und sagen, dass das jetzt so sein muss. Wir versuchen mit Pilotprojekten und unterschiedlichen lokalen Versuchen neue Wege. Wir machen das, ganz ehrlich, durchaus auch, weil wir einfach nicht die Kräfte haben, alle Pfarren zu halten."

Gleichzeitig aber sehe die Diözesanleitung darin eine missionarische Chance, dass Katholiken "mehr zusammen arbeiten und dass die Vielfalt des Lebens der Kirche nicht unbedingt nur in der Pfarrstruktur sein muss". Es gehe vielmehr um das Entstehen von Zentren, die als "Orte kirchlichen Lebens" definiert werden.

Für die Gruppe der engagierten Christen werde wichtig sein, der Frage nachzugehen, was die Herzen der Nichtkirchengeher bewege. "Was sind ihre Hoffnungen und Sorgen? Ihre Ängste? Berührt uns das als Pfarrgemeinden, als christliche Gemeinden, sind wir hinter unseren Mauern gut und gemütlich beisammen oder brennt uns die Frage, ob diese Menschen von Christus wissen? Das ist der Schuh, der uns drücken müsste."

"Wahrheit und Barmherzigkeit zusammen bringen"

Zur Vatikan-Umfrage zum Thema Ehe und Familie sagte Schönborn, es hätten sich in Österreich 30.000 Menschen beteiligt: "Das ist enorm und ein gutes Zeichen. Es ist großes Interesse da." Bei der Auswertung der Antworten zeige sich, dass "die Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte sehr viel mehr mit dem überein stimmen, was die Bibel und die Kirche über Ehe und Familie sagen". Die Hoffnung der Mehrheit sei, dass sich "eine gelungene Beziehung, eine gelungene Familie, eine Generationengemeinschaft im Familienverband" realisieren lasse.

Aber die Realität entspreche dem sehr oft nicht, räumte der Wiener Erzbischof ein: "Die Brücke zwischen dem, was erhofft wird und dem, was gelingt, ist natürlich die große Herausforderung." Es gehe darum, Wahrheit und Barmherzigkeit zusammen zu bringen.

Ganz neu sei diese Herausforderung allerdings nicht, bemerkte der Kardinal: "Ich denke mir immer, dass wir vergessen, wie wenig selbstverständlich die Ehe früher war. Wir tun so, als ob das heutige nichtverheiratete Zusammenleben von Menschen, was weitgehend eine Selbstverständlichkeit für die jüngere Generation und nicht nur für diese geworden ist, als wäre das etwas absolut Neues in der Geschichte der Menschheit. Ich denke, dass wir die Schwierigkeiten von heute absolut ernst nehmen sollen, sie aber auch nicht überdramatisieren dürfen."

In dem Interview nannte Schönborn das Staat-Kirche-Verhältnis in Österreich "ein sehr ausgewogenes und kooperatives". "Gott sei Dank hält im Unterschied zu anderen europäischen Ländern der Konsens zur Frage des Endes des Lebens - da ist wirklich ein Konsens der politischen Parteien, dass die Euthanasie nicht der Weg Österreichs sein darf." Positiv sei auch die "Allianz für den Sonntag". Diese könne man als "eine der bestfunktionierenden gesellschaftsübergreifenden Allianzen" bezeichnen. Befragt zum Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien von April 2013 sagte der Kardinal, diese Initiative sei "deutlich gescheitert".

Antwort des Kardinals - ´Sexualmoral der Kirche?´


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