Der Papst bleibt katholisch

4. Jänner 2014 in Kommentar


Die Kommentierung des noch jungen Pontifikats des bescheiden auftretenden Jesuiten aus Argentinien folgt meist einem schlichten Schema: Franziskus versus Benedikt XVI. Ein Kommentar von Gernot Facius (idea)


Vatikan-Watchtberg (kath.net/idea) Kaum ein Papst ist mit einem so positiven Medienecho in sein Pontifikat gestartet wie Franziskus. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint er die katholische Kirche von Grund auf reformieren zu wollen. Der katholische Journalist Gernot Facius (Wachtberg bei Bonn) sieht es etwas anders.

Zehn Monate ist Papst Franziskus nun im Amt, und noch immer ist der Medien-Hype um ihn nicht abgeflaut. Im Gegenteil. In jeder Stellungnahme des römisch-katholischen Kirchenoberhauptes wird nach Hinweisen auf eine Revolution im Vatikan gesucht. Eine Berliner Zeitung titelte etwas voreilig „Papst stellt die Kirche auf den Kopf“. Das Time Magazine wählte Franziskus zur Persönlichkeit des Jahres 2013 – eine Ehre, wie sie vor ihm US-Präsident Obama zuteil wurde. Der Obama-Effekt ist heute verflogen, Hypes haben eben ihre Zyklen. Wird der Franziskus-Effekt von längerer Dauer sein?

Wer ist arm und wer ist reich?

Die Kommentierung des noch jungen Pontifikats des bescheiden auftretenden Jesuiten aus Argentinien folgt meist einem schlichten Schema: Franziskus versus Benedikt XVI. Soll heißen: Eine neue Ära ist angebrochen, geprägt von Distanz zum Vorgänger (Joseph Ratzinger), mit dem Fokus auf eine arme Kirche, auf Reform und stärkere Mitwirkung von Laien. Wer den Lateinamerikaner – in soziologischem oder sozialpolitischen Sinn – auf das Stichwort „Armut“ reduziert und seine sonstigen Predigten ignoriert, hat ihn allerdings nicht verstanden. Armut ist bei Franziskus mehr eine theologisch-philosophische Kategorie. Konkret: Der „Reiche“ ist der, der sich in seinem Handeln durch die Dinge der Welt bestimmen lässt; das ist, folgt man dem Papst, nicht in Ordnung. Der „Arme“ ist in diesem Kontext der, der sich von seinem Herz leiten lässt. So gesehen können beide materiell reich oder materiell arm sein. Die oftmals missverstandene Freiburger Forderung von Benedikt XVI. nach „Entweltlichung“ findet hier eine Entsprechung.

Auf Jesus Christus fixiert

Im Übrigen ist Franziskus bei weitem nicht der erste Papst, der dazu aufruft, die Armen dieser Welt nicht zu vergessen. So hat zuletzt Benedikt in seinem Jesus-Buch geschrieben: „In der prophetischen Entwicklung“ im Alten Testament „erhält die Verantwortung für die Armen, die Witwen und die Waisen immer mehr den gleichen Rang wie die Einzigartigkeit der Anbetung des einen Gottes. Sie verschmilzt mit dem Gottesbild, definiert es ganz konkret“. Wie Benedikt ist Franziskus also nicht auf Armut fixiert, sondern auf Jesus Christus. Das ist der jeweils Maßstab ihres Handelns.

Ohne Mission keine Kirche

Über die Intention des Apostolischen Schreibens „Evangelii gaudium“ (Freude am Evangelium) ist die mediale Euphorie-Walze hinweggefahren. Die Regierungserklärung aus dem Vatikan bejaht zwar Reformen, aber man beachte die Zielsetzung: Alle Reformen haben einer „Kirche mit offenen Türen“ zu dienen, die davon beseelt ist, „alle zu erreichen“. Mehr als hundertmal kommt das Wort „Mission“ vor. Ohne Mission keine Kirche, dieser zentrale Satz ist in der Berichterstattung weitgehend ignoriert worden. Die Kirche der Zukunft wird missionarisch sein, oder sie wird nicht mehr sein. Diesen Gedanken können auch nichtkatholische Christen leicht nachvollziehen. Freilich werden ihnen Enttäuschungen nicht erspart bleiben, sollten sie die Erwartungen an dieses Pontifikat zu hoch ansetzen. Papst der Ökumene?

Für ihn, sagt Franziskus, habe die Ökumene Priorität. Er will sein Amt als „Amt der Einheit“ verstanden wissen. Damit bleibt er in der Spur seiner Vorgänger wie Benedikt XVI., Johannes Paul II. und Paul VI. Eine Abkehr vom päpstlichen Jurisdiktionsprimat, wie ihn das Erste Vatikanische Konzil formuliert hat, ist jedoch nicht zu erwarten. Und im ökumenischen Dialog gilt seine Präferenz der Orthodxie, auch darin unterscheidet er sich nicht von seinem Vorgänger.

Vieles bleibt bei Franziskus vorerst im Ungefähren. Der Psychologe und Autor Frido Mann (Lieblingsenkel von Thomas Mann), einst Assistent des Konzilstheologen Karl Rahner, aber 2009 aus der katholischen Kirche ausgetreten, hat seine Beobachtungen so zusammengefasst: „Man gewinnt den Eindruck, er (der Papst) sei auch bei der Lehre reformfreudig. Davon sehe ich nichts. Es ist, als ob er nur bestimmte Dinge anleuchtet.“ Ein neuer Johannes XXIII., der ein Konzil einberufen hatte, sei der ehemalige Erzbischof von Buenos Aires jedenfalls nicht. Dieser Beschreibung lässt sich, zumindest momentan, wenig entgegensetzen. Nicht die Lehre hat sich geändert, sondern die Verpackung. Erzbischof Georg Gänswein, der Präfekt des Päpstlichen Hauses und zugleich der Vertraute von Benedikt, sagt es auf seine Weise: Papst Franziskus möchte nicht den Glauben, sondern die Gläubigen reformieren. Sie aufrütteln, aus ihrer Selbstgefälligkeit herauszutreten und auch Fehler zu riskieren, als ängstlich hinter Kirchentüren zu verharren. Der Argentinier Jose Mario Bergoglio ist kein „Mozart der Theologie“ wie der eher scheue, introvertierte Altbayer Joseph Ratzinger, sondern ein Seelsorger und Mann der großen Gesten. Er sucht den Kontakt mit anderen Kirchen, etwa dem Protestantismus, nicht so sehr über theologische Stellungnahmen, sondern über Begegnungen.

Der katholische Kern bleibt erhalten

Von „Liberalisierung“ der Kirche war im Zusammenhang mit „Evangelii gaudium“ die Rede. Aber es wäre ein Missverständnis, diese „Liberalität“ im europäisch-bürgerlichen Sinne zu buchstabieren. Er stellt ungeachtet aller Mahnungen zu Barmherzigkeit nichts zur Disposition, was den Kern des Katholischsein ausmacht. Abtreibung bleibt für ihn eine Todsünde; es sei nicht fortschrittlich, sich einzubilden, Probleme durch Vernichtung menschlichen Lebens lösen zu können. Homosexualität hat er bereits als Erzbischof von Buenos Aires als „objektiv etwas Negatives“ bezeichnet, und von dieser Haltung hat er keine Abstriche gemacht. Ebenso wenig von der Lehre über die Unauflöslichkeit einer sakramentalen Ehe. Sie ist „normativ“. Dass durch päpstliche Entscheidung, wie von kirchlichen Reformgruppen und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, erhofft, auch wiederverheirateten Geschiedenen der Weg zur Kommunionbank freigegeben wird, dürfte deshalb Wunschdenken entspringen. Der von Franziskus im Amt bestätigte Präfekt der Glaubenskongregation, der deutsche Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, hat klargestellt, dass es sich dabei um eine Frage handele, die mit nicht mit einer allgemeinen Erklärung beantworten könne. Weder der Papst noch eine Synode könnten wiederverheiratete Geschiedene „per Federstrich“ zu den Sakramenten zulassen, sie würden Beschlüssen früherer Kirchenoberhäupter und Konzilien zuwider handeln. Die Kirche habe keine Autorität, die Gebote Gottes zu relativieren. Man müsse zwar nach Lösungen für individuelle Probleme suchen, aber immer auf der Grundlage der katholischen Lehre. Das heißt: Die Lehre darf nicht den Umständen angepasst werden, wie es beispielsweise die umstrittene „Orientierungshilfe“ der EKD nahelegt, die vom alleinigen Leitbild der Ehe von Mann und Frau abrückt und auch Patchworkfamilien und gleichgeschlechtliche Partnerschaften würdigt. Anpassung ist keine Kategorie des Evangeliums. Franziskus’ Insistieren auf Barmherzigkeit steht damit nicht im Widerspruch. Denn auch Barmherzigkeit muss nach katholischer Lehre identisch sein mit der Wahrheit. Hier liegt Zündstoff für die Ökumene. Er wird, darauf kann man wetten, so schnell nicht entschärft werden.


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