«Bischöfe wachsen nicht auf Bäumen»

17. Dezember 2013 in Interview


Huonder legt nach: Er sei in Familienfragen durchaus kompetent, sagt er. Und verteidigt seine heftige Kritik an der Homo-Ehe – das müsse ja wohl noch erlaubt sein. Interview von Philippe Pfister (SonntagsBlick)


Chur (kath.net/Sonntagsblick) Vor einer Woche hat der Churer Bischof Vitus Huonder ein Donnerwort gegen die Homo-Ehe gesprochen – und damit empörte Reaktionen ausgelöst. Die Grundidee, «dass jede sexuelle Identität als gleichwertig akzeptiert wird», sei «tief unwahr» und zerstöre Ehe und Familie, schrieb Huonder. SonntagsBlick traf den 71-Jährigen am Donnerstag in dessen Residenz in Chur.


SonntagsBlick: Guten Tag, Herr Bischof.

Bischof Vitus Huonder: Guten Tag. Kommen Sie aus dem Nebel?

SonntagsBlick: Ja. Aber wir wollen ja nicht übers Wetter sprechen, oder?

Huonder: Stimmt. Aber lassen Sie mich noch schnell diese Adventskerze anzünden (er entzündet die Kerze auf dem Tisch). So, legen wir los!

SonntagsBlick: Sagen Sie mal: Provozieren Sie eigentlich gerne?

Huonder: Provokation ist seit 2000 Jahren eine Nebenwirkung der Verkündigung des Evangeliums. Dieses hat sich für die Welt immer als heilsam erwiesen. Die Reaktionen waren bei mir übrigens weitgehend positiv. Viele schrieben: „Ich bin zwar nicht katholisch, aber Sie haben recht.“ Ich spüre das Bedürfnis vieler Menschen nach jemandem, der Wahres sagt. Nach jemandem, der Prinzipien vertritt.

SonntagsBlick: Es mag Ihnen um Wahrheit gehen. Fakt ist: Ihre jüngsten Worte empfinden sehr viele Menschen als beleidigende Provokation. Der Bischof trete die Würde von homosexuellen, bi- und transsexuellen Menschen mit Füssen. Seine Worte seien ein Angriff auf die Menschenrechte.

Huonder: Diese Personalisierung und Emotionalisierung lenkt vom Thema ab. Ich wollte eine Debatte zur Gender-Ideologie lancieren. Mit dem Papst und der ganzen Kirche bin ich gegen jede Diskriminierung. Aber heute wird die Kirche sofort mit der Diskriminierungskeule geschlagen, wenn sie es wagt, gesellschaftliche Phänomene vom christlichen Glauben her zu beleuchten. Mir geht es um die Frage: Wollen wir, dass das jüdisch-christliche Erbe noch die Grundlage unserer Gesellschaft ist?

SonntagsBlick: Warum ausgerechnet im Advent diese Breitseite gegen gesellschaftlich sehr weitgehend akzeptierte Lebensformen?

Huonder: Es geht überhaupt nicht um einen Angriff, sondern vielmehr um die Verteidigung des christlichen Menschenbildes. Das passt sehr gut in die Adventszeit, und es ist heute ganz besonders nötig.

SonntagsBlick: Wollen Sie die Rechte, die beispielsweise Homosexuelle erkämpft haben, rückgängig machen?

Huonder: Das war nicht das Thema. Mir geht es um den Genderismus. Diese Ideologie behauptet, dass es neben dem biologischen Geschlecht ein „soziales“ Geschlecht gebe. Dieses sei nicht eine Vorgabe der Natur, die der Mensch annehmen und persönlich mit Sinn erfüllen muss, sondern nur eine soziale Rolle, über die er selbst entscheide. Solch ein Denken zerstört die Familie und die Gesellschaft.

SonntagsBlick: Sie wollen doch einfach das Rad der Zeit zurückdrehen. Wie weit eigentlich?

Huonder: Zur Schöpfungsordnung. Die Gender-Ideologie leugnet letztlich, dass der Mensch ein Geschöpf ist. Sie macht den Menschen gewissermassen zum Gott, weil sie vergessen machen will, dass der Mensch eine vom Schöpfer vorgegebene Natur besitzt. Der Manipulation der Natur, die wir heute für unsere Umwelt beklagen, wird durch den Genderismus auch der Mensch unterzogen.

SonntagsBlick: Sie schreiben von der (Homo)sexualisierung der Kinder in Kindergarten und Schule. Was meinen Sie damit?

Huonder: Ich meine damit das Umerziehungsprogramm, das den Kindern einredet, sie seien von Natur aus weder Mädchen noch Buben, sondern sozusagen neutrale Wesen. Dass sie selber ihre sexuelle Ausrichtung wählen könnten und dass Heterosexualität nur eine mögliche freie Entscheidung unter vielen sei. Das ist für mich ein Angriff auf die naturgegebene Würde des Kindes.

SonntagsBlick: Ihre Worte gehen doch an den konkreten Lebenswelten der meisten Schweizer Katholiken vorbei. Diese glauben nur noch vage an die Grundlage Ihrer Worte, die gottgegebene Schöpfungsordnung. Ihr Denken und das Denken an Ihrer Basis liegen meilenweit auseinander. Und die Kirchenbänke leeren sich weiter.

Huonder: Von Jesus heisst es im Evangelium: Er wusste was im Menschen ist. Und die Kirche weiss es auch seit 2000 Jahren. Es ist richtig, dass viele heute nicht danach leben, allerdings nur in unseren Breitengraden. Global gesehen wächst die Kirche um etwa 14 Millionen Menschen pro Jahr. So oder so bleibt die Kirche Jesus treu.

SonntagsBlick: Sie sagen, Sie wollen Grundsätzliches ansprechen. Dabei verletzen Sie ganz offensichtlich viele Menschen. Absichtlich?

Huonder: Ich schreibe kein „Wort des Bischofs“, um zu verletzen. Aber es scheint heute Methode zu sein, sofort „Diskriminierung!“ zu schreien, wenn jemand etwas sagt, was dem eigenen Lebensstil widerspricht. Dabei haben wir theoretisch doch Meinungs- und Glaubensfreiheit in diesem Land.

SonntagsBlick: Sie schreiben, Kinder seien gleichgeschlechtlichen Paaren „ausgeliefert“ – so als ob eine solche Lebensform per se etwas Verbrecherisches an sich hat. Ist es verbrecherisch, eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft zu führen?

Huonder: Wenn gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren, verletzt dies die Rechte des Kindes. Denn jedes Kind hat ein Recht auf Mutter und Vater. In der Struktur einer homosexuellen „Familie“ wird dieses Recht dem Kind bewusst verwehrt. Das darf nicht sein.

SonntagsBlick: Haben Sie sich mit der Lebenswelt gleichgeschlechtlicher Paare denn konkret auseinandergesetzt?

Huonder: Nochmal: Es geht mir nicht um eine Verurteilung homosexueller Menschen. Sondern es geht mir ganz allgemein um den Genderismus. Alle sehen dessen Symptome: Invasiver Sexualkunde-Unterricht, Kinderadoption durch gleichgeschlechtliche Paare, Definition von Vater und Mutter als „Elter 1 und Elter 2“ – und so weiter. Das wird heute vom Staat einfach umgesetzt, in der Schule, im Familienrecht, ohne dass über die Ideologie dahinter wirklich debattiert wird. Das macht mir grosse Sorgen.

SonntagsBlick: Wären Sie denn bereit, sich mit betroffenen Paaren zu treffen?

Huonder: Ja, als Seelsorger bin ich bereit, mich mit ihnen zu treffen und sie anzuhören. Aber auch verpflichtet, den Standpunkt des Glaubens zu vertreten.

SonntagsBlick: Können Sie verstehen, dass man sagt, der kinderlose Bischof ist doch in Familienfragen gar nicht kompetent?

Huonder: Bischöfe wachsen ja nicht auf Bäumen. Ich habe meinen Vater früh verloren und weiss, was es heisst, wenn eine Frau vier Kinder durchbringen muss. Zudem war ich lange Jahre Seelsorger und habe viele Familien kennen gelernt. Insofern habe ich durchaus eine gewisse Kompetenz.

SonntagsBlick: Eine Zürcher Zeitung hat Sie kürzlich „Bischof Pomp“ genannt

Huonder: ...ui...

SonntagsBlick:...weil Sie in Wien bei einer Messe ein besonders aufwändiges Messgewand, getragen haben. „Bischof Pomp“ – was sagen Sie dazu?

Huonder: Ich war dort Gast und habe mich den Wiener Gepflogenheiten angepasst. Die Höflichkeit hat das geboten.

SonntagsBlick: Dieser Stil steht in deutlichem Gegensatz zu den Signalen aus Rom. Franziskus legt keinen Wert auf liturgische Inszenierung, er hat sich noch nie in einem solchen Gewand gezeigt. Er will Einfachheit, Schlichtheit.

Huonder: Papst Franziskus steht zur Entscheidung seines Vorgängers, die alte Form feiern zu lassen. Mit Einfachheit und Schlichtheit meint der Papst den Lebensstil. Ich staune, dass sich da einige in der Schweiz nicht angesprochen fühlen.

SonntagsBlick: Wer sollte sich denn angesprochen fühlen?

Huonder: Wir alle. Es ist klar, dass die Kirche in der Schweiz reich ist. Wenn der Papst eine arme Kirche für die Armen will, ist das Anlass für eine Gewissenserforschung.

SonntagsBlick: In Ihrem Bischofswort erwähnen Sie Benedikt, aber nicht Franziskus. Täuscht der Eindruck, dass Sie sich Benedikt näher fühlen?

Huonder: Der Eindruck täuscht. Zum Genderismus hat sich Benedikt XVI. im Dezember 2012 geäussert. Wenn wir das erste Apostolische Schreiben von Franziskus lesen, sehen wir, dass dieser im Kern zum gleichen Resultat, zur gleichen Gesellschaftskritik wie Benedikt XVI. kommt.

SonntagsBlick: Franziskus forciert die dogmatischen Fragen nicht, er geht er auf die Menschen zu. Sie machen das Gegenteil: Sie verschanzen sich und reiten auf dem Dogma herum.

Huonder: Franziskus hat ja einen Fragebogen zu Ehe und Familie verschickt. Darin fragt er, ob die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie gesellschaftlich in Frage gestellt wird. Und er fragt, was die Kirche dagegen tut. Das ist genau die Frage nach dem Genderismus. Ich fühle mich von Franziskus bestärkt

SonntagsBlick: Letzte Frage: Wie feiern Sie Weihnachten?

Huonder: In der Kathedrale mit dem Volk Gottes. Ich freue mich mit Maria und Josef, die voller Liebe auf das Jesuskind blicken.


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