Burke: «Die Kirche kann nicht gegen die Wahrheit der Ehe fehlen»

11. Dezember 2013 in Interview


„Was in einigen Kreisen in Deutschland überlegt wird, ist meinem Urteil nach irrig“, „diese Situation mit einigen Bischöfen am Oberrhein muss korrigiert werden“. Interview mit Kurienkardinal Burke. Von Ricardo Benjumea (Alfa y Omega)


Vatikan (kath.net/Alfa y Omega) Raymond Leo Kardinal Burke ist der Verantwortliche für das höchste Gericht der Kirche, welches über die korrekte Durchführung der Ehenichtigkeitsverfahren bei allen kirchlichen Gerichten wacht. Aber die Apostolische Signatur ist auch ein hohes Verwaltungsgericht, welches hierarchische Angelegenheiten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Dikasterien entscheidet. Kardinal Burke, 1948 in Wisconsin (USA) geboren, ist eine der am meisten autorisierten Stimmen zu Themen wie der Kurienreform oder den nächsten beiden Versammlungen der Bischofssynode über die Familie. Außerdem ist er ein Bezugspunkt für die kräftige Lebensrechtsbewegung seines Landes und im Vatikan ist er einer der großen Verfechter der Wiederentdeckung des Lateins. Letzte Woche stellte er an der Fakultät für Kirchenrecht der Madrider Universität San Dámaso die Zeitschrift Ius Communionis vor.

Alfa y Omega: Die Reform der Dikasterien ist das Studienthema bei der zweiten Zusammenkunft des Rates der acht Kardinäle. Welches ist, Ihrer Meinung nach, das Ziel der Reform?

Raymond Leo Kardinal Burke: Ich bin nicht Teil des Rates und kenne nicht den Inhalt der Debatten. Es wird von der Zusammenlegung einiger Dikasterien gesprochen, von der Schaffung anderer neuer... Ich kann mir nur eine Reform in Kontinuität mit der Konstitution Pastor Bonus vorstellen. Einige haben gesagt, dass die Reform etwas völlig Neues bringen wird, dies aber würde mir als dem Wesen der Kirche entgegengesetzt erscheinen, die ein organischer Körper ist.

Alfa y Omega: Wie kann die Kurie von diesem missionarischen Geist, von dem der Papst in seinem Lehrschreiben Evangelii gaudium spricht, mehr erfüllt werden?

Kardinal Burke: Es gibt diese Spannung immer, und sie ist etwas Gutes. Auf der einen Seite benötigt die Kirche eine gute zentrale Verwaltung, weil sie universal ist, sie auf der ganzen Welt Eine ist und eine für den Dienst an den Diözesen angepasste Struktur benötigt.

Aber dieser Dienst soll einen missionarischen Impuls haben, und er soll bestmöglich die Lage in den verschiedenen Teilen der Kirche verstehen und angemessen auf deren Bedürfnisse eingehen.

Als jemand, der, zwischen 1989 und 1995 [als Ehebandverteidiger bei der Apostolischen Signatur] sowie jetzt seit 2008, an der Kurie gearbeitet hat, muss ich aber sagen, dass ich diesen Geist des Dienstes am Heiligen Vater in seiner Mission als Hirte der universalen Kirche an der Kurie immer vorgefunden habe.

Dies kann man stärken und intensivieren, und es wird sehr gut sein, wenn man dies tut, aber es ist falsch, zu behaupten, dass die Kurie bisher nicht missionarisch gewesen wäre und sich nicht um die Ortskirchen gekümmert hätte.

Alfa y Omega: In seiner Ansprache an die Apostolische Signatur hob der Papst den Dienst des Ehebandverteidigers in den Nichtigkeitsprozessen hervor, was nicht so sehr auf der Linie der Änderungen zu liegen scheint, die aus einigen Kreisen in Mitteleuropa heraus verfochten werden. Wie lassen sich Barmherzigkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit bei Themen wie der Kommunion für die Getrennten in neuen Verbindungen miteinander vereinbaren?

Kardinal Burke: Man muss verstehen, dass die erste Zutat, die mindeste und wesentliche Zutat in einer pastoralen Liebesantwort die Gerechtigkeit der Wahrheit ist. Ich kann nur aus dem Respekt vor der Wahrheit heraus jemanden lieben.

In Bezug auf die geschiedenen Personen in neuen Verbindungen, muss die Kirche barmherzig sein, sie aufnehmen und ihnen dabei helfen, am Leben der Kirche so weit wie nur möglich teilzunehmen; aber sie kann nicht gegen die Wahrheit fehlen und behaupten, dass die neue Verbindung in Ordnung ist.

Solange keine Nichtigkeitserklärung von dem, was man für eine Ehe hielt, erfolgt ist, besteht das Eheband.

Die Unauflöslichkeit des Ehebandes ist im Matthäusevangelium, seit der Gründung der Kirche, klar anerkannt, weshalb die Kirche die Wahrheit über die Ehe auf jede nur erdenkliche Weise respektieren und fördern muss, als die unauflösliche und für das Leben offene Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau.

Darin kann es keine Änderungen geben. Erbarmen? Selbstverständlich! Aber das Erbarmen kann nicht mit einschließen, dass diese Person Zugang zur Eucharistie erhält.

Was in einigen Kreisen in Deutschland überlegt wird, ist meinem Urteil nach irrig.

Erzbischof Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, hat diesen Punkt in einem Artikel im L'Osservatore Romano sehr deutlich gemacht. Er hat nicht seine persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht, sondern die beständige Lehre der Kirche, die nicht geändert werden kann.

Die Idee zu verbreiten, dass es eine radikale Änderung geben wird, und dass die Kirche aufhören wird, die Unauflöslichkeit der Ehe zu respektieren, ist falsch und sehr schädlich. Eine solche Änderung liegt nicht in den Händen der Kirche. Die Kirche muss den Worten Christi gehorchen.

Diese Situation mit einigen Bischöfen am Oberrhein muss korrigiert werden.

Wenn diese Haltung sich auf andere Orte ausweitet, würden wir bei der Verteidigung einer für den Glauben fundamentalen Wahrheit versagen.

Alfa y Omega: «Die Ehen sind der Ungültigkeit stärker ausgesetzt als in der Vergangenheit», fügte Erzbischof Müller hinzu.

Kardinal Burke: Dies ist sehr wahrscheinlich so. Die Kultur hat einen solchen Tiefpunkt erreicht! Sie ist sehr materialistisch und relativistisch geworden.

Der Sinn für die ins Menschenherz und in das Gewissen eingeschriebene Moral ist verloren gegangen. Daher ist es sehr gut möglich, dass es für die Leute heute schwieriger sei, das Wesen der Ehe zu verstehen.

Aber jeder einzelne Fall [von Nichtigkeit] muss individuell untersucht und bewiesen werden. Wir alle, egal in welcher Kultur wir leben, haben ein menschliches Herz, und im Grunde dieses Herzens finden wir den wahren Sinn der Ehe. Dies ist das Naturrecht. Und wenn wir dies leugnen, leugnen wir die Beziehung, die zwischen unserem Gewissen und Gott existiert, aus dessen Händen wir hervorgehen.

Darum müssen wir sehr vorsichtig sein: Den Einfluss der Kultur anerkennen, ja, aber gleichzeitig unbeirrbar respektvoll mit dem menschlichen Gewissen umgehen.

In meiner eigenen Erfahrung als Priester habe ich beim Umgang mit jungen Paaren in den USA, wo wir eine sehr säkularisierte Kultur haben, mit vielen jungen Leuten zu tun gehabt, die sich, gerade weil ihre Eltern oder Geschwister geschieden waren, für eine Auffassung von Ehe entschieden haben, die nicht in Scheidung enden würde.

Es gibt einen Aspekt, der, wie ich glaube, unterstrichen werden muss, und ich denke, dass es bei der nächsten Synode so sein wird: ja, die Kultur hat sich in Europa oder in den USA sehr weit vom Christentum entfernt, aber unsere Antwort auf diese Kultur kann nicht die sein, uns ihr anzupassen. Wir würden den katholischen Glauben verraten.

Was wir tatsächlich machen sollen, ist, den Glauben auf wirksamere Weise zu lehren und zu bezeugen. Es gibt viele junge Leute, die auf diese Art des Zeugnisses warten, weil ihnen bewusst ist, dass sie in einer bankrotten, sterilen Kultur leben, welche die Menschen unglücklich macht. Und sie wollen ein wahrhaft christliches Leben führen.

Alfa y Omega: In den Fällen, die täglich bei Ihnen eingehen: Nehmen Sie wahr, dass eine bessere Ehevorbereitung nottäte?

Kardinal Burke: Zweifellos. In einer Kultur, wie sie in den USA, oder hier in Spanien, existiert, muss die Ehevorbereitung viel tiefer gehen. Wenn zwei junge Leute heiraten wollen, haben sie oft das Gefühl, dass sie schon vorbereitet sind, und sie wollen keine Zeit verlieren mit Vorträgen und Predigten, aber wir müssen ihnen helfen, zu verstehen, wie wichtig es für sie ist, über die Ehe nachzudenken, sodass ihre Verbindung später nicht in einer Scheidung endet. Sogar in dieser antifamiliären Kultur steht außer Frage, dass jede Scheidung eine Tragödie ist und lebenslange Verletzungen hervorruft.

Alfa y Omega: Kardinal Erdö hat darauf hingewiesen, dass, mehr noch als in der Scheidung, das große Problem heute darin besteht, dass viele junge Leute überhaupt nicht heiraten...

Kardinal Burke: Dies ist eine andere große Schwierigkeit. In vielen Ländern leben viele junge Leute wie Mann und Frau [zusammen], und halten es nicht für wichtig, vor Christus zu heiraten. Dort besteht ein ungeheurer Bedarf an Evangelisierung.

Alfa y Omega: Papst Franziskus hat darum gebeten, die Weise zu überprüfen, in welcher die Kirche die Verteidigung des Lebens präsentiert, weil ihre Botschaft in stark säkularisierten Ländern nicht mehr verstanden wird. Diese Fragestellung hat eine gewisse Verwirrung unter einigen Katholiken erzeugt. Was würden Sie ihnen sagen?

Kardinal Burke: Der Papst hat diese große und schöne Gabe der Nähe; die Leute verstehen ihn; die Zahl der Personen, die nach Rom kommen, sind beeindruckend, größer als je zuvor.

Aber der Heilige Vater hat vielfach darum gebeten, nicht in einen Personenkult zu verfallen, sondern dass die Aufmerksamkeit sich auf Christus richte.

In der Tat besteht das größte Geschenk, das er für all diese Leute hat, die kommen, um ihn zu sehen, darin, ihnen die Wahrheit des Glaubens zu verkünden.

Ich verstehe ja, dass wir nicht immer nur über die Abtreibung reden können, aber gleichzeitig ist dieses eines der schwerwiegendsten moralischen Probleme, denen unsere Gesellschaft heute gegenübersteht.

Wenn man Hunderttausende wehrloser und unschuldiger Menschenleben vernichtet: Was bleibt da von der Achtung vor dem Leben? Dies hat wichtige Rückwirkungen auf Angelegenheiten wie der Sorge für die Armen. Meiner Meinung nach wird, solange die Achtung vor dem menschlichen Leben in seiner unschuldigsten und wehrlosesten Form nicht wiederhergestellt wird, nicht die erforderliche Mentalität vorhanden sein, um andere schwere moralische Probleme zu lösen.

Dasselbe lässt sich in Bezug auf die Pressionen zugunsten der Legalisierung der sogenannten Ehe – die absolut keine Ehe ist – zwischen zwei Personen desselben Geschlechts sagen. Dies widerspricht dem natürlichen Moralgesetz und zerstört die Gesellschaft, etwas Ähnliches wie das, was im alten Griechenland oder in Rom geschehen ist.

Deshalb müssen wir Gott für die Gabe des Heiligen Vaters danken, aber die Leute müssen verstehen, dass er der Stellvertreter Christi auf Erden ist, und dass Christus jeden Einzelnen von uns zu einer Lebensumkehr ruft. Der Herr zeigt großes Erbarmen gegenüber der Ehebrecherin des Evangeliums, aber seine letzten Worte sind: «Sündige nicht mehr».

Und ich verstehe, dass es gute Katholiken geben kann, die, über Jahrzehnte, für die Verteidigung des Lebens und der Familie gearbeitet haben, die jetzt verwirrt sind angesichts dessen, was sie zu hören bekommen von dem, was der Papst sagt.

Deshalb glaube ich, dass er ein Wort an sie richten wird: Ihr müsst weitermachen mit dem, was ihr tut. Denn das ist, was er denkt. Der Papst versucht, sich den Fernstehenden zu nähern, aber das bedeutet nicht, dass er die Lebensrechtsfragen verlassen möchte.

Alfa y Omega: Das ist nicht, was man wahrnimmt, wenn man sich in bestimmten Medien informiert.

Kardinal Burke: Ja. Sie nehmen vom Heiligen Vater irgendeine Äußerung, die ihnen offener erscheint und geben dieser weite Verbreitung, aber wenn er etwas sagt, wie das, was er der Apostolischen Signatur gesagt hat, oder wenn er sich über die Abtreibung äußert, veröffentlichen sie kein einziges Wort. Genauso, wenn er vom Teufel spricht. Selten sieht man irgendeine Erwähnung.

Alfa y Omega: Ein auffälliger Aspekt der Kirche in den USA ist ihre Fähigkeit, mit großer Natürlichkeit das Leben und die Ehe zu verteidigen und gleichzeitig ein klarer Bezugspunkt bei sozialen Fragen zu sein, wie der Verteidigung der Einwanderer. Sehen Sie diese Haltung als beispielhaft für Europa an?

Kardinal Burke: Ich glaube, dass dies ein Beitrag der Kirche in den USA in dieser Zeit sein könnte. Ein italienischer Kardinal sagte mir, dass man die Katholiken ermutigen müsste, fortzufahren auf dieser Linie der Verteidigung des Lebens und der Familie, der Verteidigung der Menschenrechte, des klaren Wortes an die Politiker, wenn sie das Gemeinwohl verraten... Aber das ist nicht leicht; die Bischöfe müssen weiterhin stark sein.

Alfa y Omega: Sie haben mehr als einem abtreibungsbefürwortenden Parteiführer öffentlich gesagt, dass er nicht kommunizieren dürfe...

Kardinal Burke: Wenn ein Politiker die Abtreibung befürwortet, oder die sogenannte homosexuelle Ehe, was eine sehr schwere öffentliche Sünde ist: Wie kann sich diese Person der heiligen Kommunion nähern, ohne sich bekehrt zu haben und einen Akt der Wiedergutmachung gesetzt zu haben?

Alfa y Omega: Liegt der Schlüssel darin, einen Zugang zu den Kontroversen und zu den moralischen Themen zu suchen, der fern von ideologischen oder politischen Kategorien ist? Ist dies –unter anderem– was Sie in Ihrem Buch Divine Love made flesh [Göttliche Liebe, Fleisch geworden] vorschlagen?

Kardinal Burke: Ja, dies ist eine Betrachtung über die Eucharistie, ausgehend von mehreren Artikeln, die ich als Bischof in den Vereinigten Staaten geschrieben habe. Vielleicht wird es eines Tages eine spanische Übersetzung geben.

Alfa y Omega: Des Öfteren haben Sie Ihre Besorgnis wegen der Missbräuche in der Liturgie in den Jahrzehnten nach dem Konzil zum Ausdruck gebracht. Jetzt, da 50 Jahre seit der Konstitution Sacrosanctum Concilium vergangen sind: Meinen Sie, dass das Problem gelöst worden ist?

Kardinal Burke: Nicht gänzlich, auch wenn viele Fortschritte gemacht worden sind. Man muss bedenken, dass, seit der nachkonziliaren Periode, bis Johannes Paul II. vor dem Verfall im liturgischen Leben warnte, die Zahl der Katholiken, die an die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie glauben, zurückgegangen ist.

Es bleibt noch viel Arbeit zu tun, trotz der Anstrengungen von Johannes Paul II., oder danach, von Benedikt XVI., der, als eines seiner großen Vermächtnisse, seine tiefe Liebe zur Liturgie hinterlassen hat, in die Gesetzgebung gegossen mit dem Motu proprio Summorum Pontificum sowie in der Instruktion Universae Ecclesiae der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei. Dort haben wir einen Schlüssel, um die Reform durchzuführen, die Sacrosanctum Concilium beabsichtigte, das heißt, in Kontinuität mit der Tradition der Kirche.

Diese Idee der zwei Formen eines einzigen römischen Ritus, die sich gegenseitig bereichern, so hoffe ich, wird, mit der Zeit, vielleicht, in einer neuen Revision des römischen Ritus akzentuiert werden, sodass die Erneuerung des Konzils ihr anvisiertes Ziel erreicht.

Aber dafür wäre auch notwendig, die Kenntnis des Lateins zurückzugewinnen, die in nur einigen Jahrzehnten fast in Vergessenheit geraten ist. In der Vergangenheit half das Latein den Leuten, einen starken Sinn für die Tradition aufrecht zu erhalten. Jetzt ist es an der Zeit, ihn zurückzugewinnen.

Dieses Interview stammt aus „Alfa y Omega“, einem katholischen Wochenblatt aus dem Erzbistum Madrid, das über die Printausgabe der Tageszeitung "ABC" in ganz Spanien verbreitet wird. Interviewer ist Ricardo Benjumea, Chefredakteur von „Alfa y Omega“. kath.net dankt sowohl „Alfa y Omega“ für die freundliche Erlaubnis zur Übersetzung und Veröffentlichung des Interviews wie auch Stefan Lentner für die Anfertigung der Übersetzung!

US-Kardinal Raymond L. Burke: Papst Franziskus ist ganz klar Pro-Life! (Social justice, pro-life movement and the protection of human life)



© 2013 www.kath.net