Die irrationale Behauptung 'Für mich ist…'

3. Dezember 2013 in Kommentar


Wenn man alles auf gleichwertige „Meinung“ reduziert und auf „die radikale Frage der Wahrheit“ verzichtet. Ein kath.net-Klartext von Bischof Andreas Laun


Salzburg (kath.net) Im katholischen Fernsehsender EWTN hörte ich vor kurzem einen Vortrag, in dem Pfarrer Abel erzählte: Der heilige Nikolaus von der Flüe wurde gefragt, welche Gabe Gottes an den Menschen die größte sei. Seine – wohl viele Menschen überraschende – Antwort lautete: „Die Vernunft“. Und dann nannte er, wohl um alle Missverständnisse zu vermeiden, die „Seele“ und ihre Bestimmung, „Gott zu gehören“. Diese Antwort ist gut katholisch und ihr entspricht, dass Papst Johannes Paul II., wohl in Absprache mit seinem Nachfolger, damals noch Kardinal Ratzinger, Papst Benedikt XVI. eine Enzyklika über Glaube und Vernunft geschrieben hat. Mit Sorge stellt der Papst auch unter Theologen ein „Misstrauen gegen die Vernunft“ (FR 61) fest, einen allgemeinen Relativismus, der zur Folge hatte, „dass sich das philosophische Suchen im Fließsand eines allgemeinen Skeptizismus verlor“ mit der weiteren Folge, dass man alles auf gleichwertige „Meinung“ reduzierte und auf „die radikale Frage der Wahrheit“ verzichtete (FR 5). Dieser katastrophalen Entwicklung gegenüber stellt der Papst fest: „Dem Menschen fällt die Aufgabe zu, mit seiner Vernunft nach der Wahrheit zu forschen, und darin besteht sein Adel.“ (FR 17)

Anlaß zu dieser Erinnerung an die tiefe Liebe der Kirche zu Wahrheit und Vernunft sind zwei Leserbriefe, die leider in „Kirche heute“ erschienen sind und die ich, hätte ich um sie gewusst, nicht zugelassen hätte. Nicht, weil ich die Auseinandersetzung hätte verhindern wollen, sondern weil beide Zuschriften nur Behauptungen aufgestellten, bar jeder Vernunft und rationaler Argumentation. Und dies, in einer typisch heutigen, gefährlichen Form der Irrationalität, und zwar so:

Als Antwort auf einen Artikel von Prof. W. Waldstein, der die Gültigkeit des Hirntod-Argumentes zur Legitimierung der Organ-Entnahme in Frage stellte, schrieb ein Krankenhausseelsorger, er halte Waldsteins Argumente für „haltlos“ und fuhr dann mit emotionalem Pathos fort: „Macht aus meinem Tod Leben. Wenn mein Leib mir nicht mehr dienen kann, so soll er wenigstens einem anderen Menschen dienen.“ Dann zählt der Autor seine Organe auf, die weiter dienen sollen und schließt: „Denn dann weiß ich, dass nicht nur mein Leben, sondern auch mein Sterben einen Sinn hatten und anderen Menschen zum Geschenkt wurden.“ Das klingt edel, aber der Verfasser merkte offenkundig nicht, dass er die von Waldstein kritisch diskutierte Voraussetzung der Transplantation, nämlich die Gültigkeit der Gehirntod-These, mit keinem Wort erwähnte und damit seine Behauptung, Waldsteins Argumente seien „haltlos“ nichts anderes ist als eine blinde Behauptung, fernab dem Anspruch einer vernunftgeleiteten Diskussion.

Ein zweiter Leserbrief in demselben Heft ist ebenso peinlich, weil wider die Vernunft: In diesem „Beitrag“ geht es dem Autor um Paare, die ohne kirchliche Eheschließung zusammenleben. Der Autor meint: „Für mich ist jedes Paar, das eheähnlich zusammenlebt, vor Gott verheiratet.“ Damit habe die Verbindung bereits „sakramentalen Charakter“. Denn, so weiter, die Gatten spenden sich das Sakrament „letztlich im Ehebett“ und die kirchliche Trauung sei dann höchstens eine „Bestätigung“. Darum sei ein „Konkubinat“ dem „Eheband“ gleich zu halten und die beiden können natürlich auch zur hl. Kommunion gehen. Der Skandal liege nur bei wechselnden Partnerschaften vor und darum auch bei Alleinerziehenden. Diesen Leuten müsse die hl. Kommunion verweigert werden. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen berät der Autor die kirchlichen Ehegerichte über die Gründe der Ungültigkeit von Ehen.

Ich will nicht Stellung nehmen zur angeschnittenen kirchenrechtlichen Frage, wohl aber zu dem „ersten Teil“ dieses Leserbriefes und seiner radikalen Unvernunft in den ersten drei Worten: „Für mich ist…“: Man kennt diese Formulierung aus vielen Diskussionen, aber sie sind eben genau der für die Vernunft erstickende „Fließsand“, von dem Papst Johannes Paul II. spricht.

In keiner naturwissenschaftlichen, technischen oder medizinischen Frage würde man wagen zu sagen: „Für mich gibt es keine Schleudergefahr auf Glatteis, für mich sind Aidsviren harmlos, für mich sind Zigaretten gut für die Lunge“ und ähnlichen Unsinn. Nur in ideologisch „interessanten“ Bereichen tut man, als wären solche „für mich Meinungen“ ernst zu nehmen: „Für mich kann jeder Mensch sein Geschlecht selbst bestimmen“ (Gender), „für mich ist der Embryo nur ein Fleischklumpen“ (Abtreibungsärzte), „für mich sind Juden Untermenschen“ (Nazi) und eben auch: „Für mich sind Menschen, die zusammenleben, bereits verheiratet“. Nein, nein und nochmals nein: Das „für mich“ ist bei der Bestimmung dessen, was mir besser schmeckt, gefällt oder nicht gefällt, eine legitime und vernünftige Sprachform, aber in allen anderen Bereichen ist es eine hochgefährliche Absage an die Vernunft.

Papst Benedikt XVI. hat in seiner Regensburger Rede gesagt: Es gibt eine Pathologie der Religion, wenn sie von der Vernunft abgelöst wird, aber auch eine Pathologie der verengten Vernunft. Auch diese Krankheit, das beweist die Geschichte, bringt Leiden und manchmal sogar Tod über die Menschen.

Und G. K. Chesterton hat bei seinen Geschichten von dem Detektiv -Priester „Pater Brown“ eine, in der der Priester einen Schwindler entlarvt, der sich als Priester ausgab. Gefragt, woran er den Mann als Betrüger erkennen konnte, sagte Pater Brown: „Er hat gegen die Vernunft gesprochen, und das ist nicht katholisch.“ Wie wahr, man lese die beiden großen Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. mit ihrem geradezu leidenschaftlichen Plädoyer für die Vernunft in „Fides et ratio“.

Eines der großen Vorbilder ist ihnen Anselm von Canterbury FR 41): „Der hl. Anselm unterstreicht die Tatsache, dass sich der Verstand auf die Suche nach dem begeben muss, was er liebt: je mehr er liebt, umso mehr sehnt er sich nach Erkenntnis. Wer für die Wahrheit lebt, strebt nach einer Erkenntnisform, die immer mehr von Liebe zu dem entbrennt, was er erkennt, auch wenn er einräumen muss, noch nicht alles getan zu haben, was in seinem Verlangen gelegen wäre… Das Streben nach Wahrheit drängt also die Vernunft, immer weiterzugehen; ja, sie wird gleichsam überwältigt von der Feststellung, dass ihre Fähigkeit immer größer ist als das, was sie tatsächlich erreicht.“

Zu dieser brennenden, katholischen Wahrheitsliebe gehört die Achtsamkeit, um sich von der „Verengung“ der Vernunft auf ein irrationales „Für mich ist…“ oder auf argumentationslose Behauptung „der eigenen Meinung“, nur weil diese die „eigene“ sei oder gar die der Mehrheit, frei zu halten. Nur die „gesunde Vernunft“ ist das, was der hl. Nikolaus von der Flüe die „größte Gabe Gottes“ an den Menschen nannte.

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