(K)Ein Papst auf Knien?

4. November 2013 in Kommentar


Auch Papst Franziskus ist durch innerkirchliche Kritik von „sprungbereiter Feindseligkeit“ betroffen. Bei ihm nehmen sich derzeit Ultrarechtskatholiken die Freiheit zu bösartiger Kritik. Ein kath.net-Kommentar von Petra Lorleberg


Stuttgart (kath.net/pl) Ehrlich gesagt, die Vorwürfe einiger Papst-Kritiker stören mich ganz gewaltig. Nein, ich meine damit nicht die derzeit etwas leiseren, doch beim letzten Papst gern bissigen und undifferenzierten Papst- und Kirchenkritiker aus dem Dunstkreis von „Wir sind Kirche“ und von priesterlichen Ungehorsamsinitiativen – obwohl mich jene natürlich ebenfalls sehr stören. Doch aktuell ärgere ich mich über die Vorwürfe angeblich kirchentreuer Ultrarechtskatholiken gegen den amtierenden Papst.

Wir dürfen zugestehen: Natürlich wird sich nicht jeder mit jedem Papst gleich leicht tun. Ein normaler Vorgang, der mit Geduld und Höflichkeit getragen werden kann und der der Tatsache Rechnung trägt, dass jeder Papst seine eigenen Charismen und Stärken in das verantwortungsreiche Amt mit einbringt.

Doch praktisch vom ersten Moment des Erscheinens des neugewählten Papstes Franziskus auf der Mittelloggia des Petersdoms an haben sich manche Katholiken die Freiheit genommen, einen gültig gewählten Papst abzulehnen.

Und warum? Die Vorwürfe waren gelegentlich banal: Er hat die Menschen um ihr Gebet gebeten. Er hat keine Mozetta angezogen. Dann kam die tagelange Diskussion darüber, dass der Papst keine roten Schuhe trug.

Man schreckte aber auch nicht vor schlichten Falschmeldungen über angebliche Papstaussagen in der „Kammer der Tränen“ zurück. Wir erinnern uns: Beim Umkleiden in die päpstlichen Gewänder habe Franziskus mit Blick auf prächtigere Möglichkeiten gegenüber seinem Zeremoniar Guido Marini angeblich geäußert, dass der „Karneval“ nun vorbei sei - doch diese Äußerung war nie gefallen, wie aus dem Papstumfeld zu erfahren war. Auch ein angeblich unmittelbar bevorstehender Rausschmiss von Marini war vor einiger Zeit durchgehechelt worden, doch nach über einem halben Jahr Pontifikat ist dieser entgegen aller Unkenrufe nach wie vor der Zeremoniar des Papstes und man kann immer wieder Sympathie und Harmonie zwischen den beiden beobachten.

Die bösartigen Vorwürfe gegen Papst Franziskus kommen nicht zur Ruhe. Katholiken, die sich rechthaberisch und streitsüchtig gebärden, beobachten den Papst offenbar „mit sprungbereiter Feindseligkeit“. Es darf durchaus nachdenklich machen, dass dieser Ausdruck ursprünglich von Papst Benedikt XVI. stammt und zunächst auf einen ganz anderen innerkirchlichen Personenkreis gemünzt gewesen war, kath.net hat berichtet.

Beispiel: Der neue Kreuzstab

Beinahe jede Aktion des Papstes wird mit kritischen, ja sogar mit hämischen Bemerkungen bedacht. Als jüngstes Beispiel möchte ich den in der Allerheiligenmesse von Papst Franziskus benutzten Kreuzstab anführen. Man kann über den künstlerischen Wert dieses Kreuzstabes durchaus geteilter Meinung sein und auch papsttreue Katholiken dürften es in sachlicher Tonlage äußern, falls ihnen dieser Stab nicht ansprechend vorkäme.

Doch ist für eine solche Sachkritik der Satz „Sieht scheiße aus“ wirklich angemessen? Ein anderer Katholik äußerte: „Ich kann auf der Ferula Jesus nicht erkennen. Ich bin entsetzt.“

Auf facebook kursieren sogar Aussagen, dass man in der Darstellung des Korpus des Kreuzstabes das „Tier“ aus der Apokalypse erkennen möchte, also eine Gott entgegengesetzte Gestalt. Man schluckt trocken angesichts der Ungeheuerlichkeit dieses Vorwurfes: Unser aktueller Papst sollte also ein Vertreter einer Macht sein, die sich gegen den dreifaltigen Gott richtet? Solche Vorwürfe kennt man sonst nur von manchen fehlinformierten evangelischen und freievangelischen Christen, die sich noch nicht ausreichend mit dem gemeinsamen Glaubensfundament der drei großen christlichen Traditionszweige beschäftigt haben, aber nicht von Christen, die sich als praktizierende Katholiken bezeichnen.

Ein Papst, der nicht kniet?

Einen einsamen Höhepunkt erreicht diese unselige Diskussion derzeit bei der Behauptung: Papst Franziskus verweigere Kniebeugen und Knien. Daraus folgern angebliche Fachleute „unausweichlich“, der Papst sei nicht rechtgläubig oder dass er nicht den dreifaltigen Gott anbete oder was auch immer der blühenden Fantasie dieser Kritiker gerade entspringt.

Schauen wir diese vieldiskutierte Thematik des Kniens also näher an. Ist der Vollzug der Kniebeuge bzw. des Kniens – etwa vor der Heiligen Eucharistie – tatsächlich völlig unverzichtbar? Zu dieser Frage sind mehrere Aspekte zu beachten:

1. Hintergrundinfos zu Knien und Kniebeuge in der Liturgie:

Das Knien wird im „Lexikon für Theologie und Kirche“ als die vorherrschende liturgische Körperhaltung „im Gebet des einzelnen“ bezeichnet. Doch als die grundlegende liturgische Körperhaltung „des Christen als eines mit Christus Auferstandenen“ wird „das Stehen“ genannt, „dessen österliche Bedeutung durch das Ausbreiten statt Emporheben der Hände noch unterstrichen wird. Zugleich ist Stehen uralter Ausdruck der Ehrfurcht, mit der der Christ vertrauensvoll vor den Vater tritt sowie der Bereitschaft zum Hören und zum Aufbruch, mit der er das Kommen Christi erwartet und im voraus ergreift“.

In diesem Lexikonartikel über die „liturgische Körperhaltung“ wird außerdem daran erinnert, dass das Konzil von Nicäa das Knien für die Sonntage und die Osterzeit sogar verbot (sic!).

Und über diesen Lexikonartikel hinaus lässt sich außerdem feststellen: Zwar erfreuten sich in der Liturgie der westlichen Kirche das (inzwischen schon längst auch liturgisch vorgeschriebene) Knien und die Kniebeuge im Lauf der Jahrhunderte wachsender Beliebtheit. Doch die Liturgien der orthodoxen Kirchen bewahrten stärker die ursprünglichere Bevorzugung des Stehens vor dem Knien.

2. Was wissen wir über die gesundheitliche Situation von Papst Franziskus?

Aus völlig unerfindlichen Gründen nennen solche Papstkritiker nur sehr selten die tatsächliche Begründung dafür, warum Papst Franziskus wenig kniet und auch während der Eucharistiefeier keine der vorgesehenen Kniebeugen vollzieht. Menschen, die päpstlicher als der Papst sein wollen, sind offenbar nicht fähig, die gesundheitliche Situation eines 76-Jährigen in ihre harsche Beurteilung mit einzubeziehen.

Eine genaue Auflistung der gesundheitlichen Probleme unseres Heiligen Vaters legt uns der Vatikan nicht vor und muss dies auch nicht. Doch praktisch von Anfang an war die gesundheitliche Problematik nicht unbekannt. Bereits im Zusammenhang mit der Diskussion um die roten Schuhe erwähnte Vatikansprecher Federico Lombardi, dass Franziskus orthopädische Schuhe tragen muss. Und nur gut zwei Wochen nach Franziskus´ Papstwahl schrieb schon Paul Badde über den Papst aus Lateinamerika: „Weil er wegen Gelenk- und Rückenproblemen auch in den heiligsten Momenten, etwa nach dem Abendmahl, sein Knie nicht beugen kann, bückt er sich selbst in diesen Momenten so tief, wie wir es noch bei keinem Papst gesehen haben“, kath.net hat berichtet.

Sicher bekannt ist inzwischen immerhin, dass Papst Franziskus bereits mehrfach mit dem Ischiasnerv Probleme hatte und dass sein Gang (nicht zuletzt auch, wenn er Treppen hinabgehen muss) keineswegs Leichtfüßigkeit und unbeschwerte Bewegungsfreude aufweist.

Die in Italien lebende Ärztin Dr. Christa Wiesenberg erklärte über den mutmaßlichen Gesundheitszustand des Papstes gegenüber kath.net: „Papst Franziskus ist aus gesundheitlichen Gründen offenbar nicht in der Lage, regelmäßig eine Kniebeuge zu vollziehen. Er kann bestenfalls eine Kniebank nutzen, und wenn man einmal etwas genauer hinsehen würde, würde man unschwer erkennen, dass auch dies für ihn ausgesprochen beschwerlich ist. Ich gehe von einer Erkrankung seiner Kniegelenke aus, die ihm ein freies Knien (also ohne Kniebank) sehr erschwert.“ Wiesenberg vermutete weiter, dass Papst Franziskus wahrscheinlich auch an Wirbelsäulenbeschwerden leide: „Noch in relativ jungen Jahren musste dem jetzigen Heiligen Vater ein Teil seiner Lunge entfernt werden (was ja auch Ursache dafür ist, dass er wegen mangelndem Luftvolumen nicht allzu laut sprechen und kaum oder gar nicht singen kann). Daraus resultieren in der Folge oft Verwachsungen mit dem Lungen- und Rippenfell, vor allem, wenn es sich um eine zuvor komplizierte Infektion der Lunge handelte, und hieraus wiederum ergibt sich häufig eine Fehlhaltung der Wirbelsäule, die zu chronischen Beschwerden führt.“ Die Ärztin stellte daraufhin fest: „Ich bewundere Papst Franziskus dafür, wie er trotz dieses Handicaps so freudig und ermunternd auf uns alle zukommt und sich seine körperlichen Beschwerden nicht anmerken lässt. Das spricht auch von Größe!“

3. Gibt es Hinweise, wie Papst Franziskus selbst das Knien bewertet?

Die erbarmungslosen Papstkritiker sind eingeladen, nicht nur die körperlichen Einschränkungen des Papstes zu bemängeln, sondern auch seine Predigten und Ansprachen zu lesen. Und da finden sich erstaunliche Aussagen, die zeigen, dass Papst Franziskus das Knien (wie so mancher andere Katholik, gerade unter den älteren Semestern) zwar körperlich nicht mehr häufig vollziehen kann, sich ihm aber die Bedeutung des Kniens innerlich ausgesprochen tief erschlossen hat.

So erklärte Franziskus während einer Predigt im Gästehaus Santa Marta über die Betrachtung des Geheimnisses Gottes: „Das, was uns Paulus hier über das Heil, über unsere Erlösung sagt, versteht man nur auf Knien, in der Kontemplation. Nicht nur mit der vernünftigen Einsicht.“ Denn in der Kontemplation brauche es „Intelligenz, Herz, Knie, Gebet... alles zusammen, um in das Geheimnis einzutreten“.

Und in einer Predigt über den Weg des Menschen vom Baum der Versuchung zum Baum des Kreuzes äußerte der Papst: „Gott nämlich hat seinen Sohn nicht in die Welt geschickt, um sie zu verdammen, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde. Dieser Baum des Kreuzes rettet uns, uns alle!“ Doch das „Geheimnis des Kreuzes“ „kann man nur auf Knien verstehen, im Gebet, aber auch durch die Tränen: die Tränen sind es, die uns diesem Geheimnis nahe bringen“. „Um in dieses Geheimnis einzutreten“, erläuterte Franziskus in jener Predigt abschließend, „das kein Labyrinth ist, diesem aber etwas ähnelt, bedürfen wir der Mutter, der Hand der Mama. Sie, Maria, lasse uns verspüren, wie groß und wie demütig dieses Geheimnis ist, wie honigsüß und bitter wie Aloe. Sie begleite uns auf diesem Weg, den kein anderer als wir selbst zurücklegen kann. Jeder muss ihn gehen! Mit der Mama, weinend und auf Knien“.

Solche Worte spricht ein Papst, dessen Körper offenbar nicht mehr gut knien kann, der aber in seinem Herzen den Wert des Kniens voll bejaht. Wer möchte es sich nach solchen Sätzen eigentlich wirklich noch anmaßen zu verurteilen, dass ein 76-Jähriger aus körperlichen Gründen nicht mehr oft niederkniet?

In diesem Zusammenhang könnte einem vielleicht das warnende Wort Jesu einfallen: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.“ (Mt 7,1). Vielleicht ist für einige solcher Katholiken, die meinen, sie dürften den Papst be- und verurteilen, die Zeit gekommen, sich von einigen pseudokatholischen Schriftwerken (beispielsweise der „Warnung“) und von irreleitenden sektiererischen Internetseiten abzuwenden. Vielleicht wäre es für sie diesbezüglich auch an der Zeit für eine Beichte über dieses Thema – gern auf ihren Knien.

Übrigens hatte Papst Franziskus, jener junge 17-jährige Jorge aus Buenos Aires, der Fußball spielte und tanzen ging, seine Berufung zum Priestertum während einer Beichte empfangen. Der Beichtstuhl, in welchem er am 21. September 1953 beichtete, existiert noch heute - und er hat keine Sitzgelegenheit! Jorge Mario Bergoglio wurde KNIEND ins Priestertum berufen.

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Papst Franziskus und Papst emeritus Benedikt XVI. knien gemeinsam vor dem Tabernakel - Mai 2013 in Benedikts Altersruhesitz „Mater ecclesiae“


Buenos Aires: In diesem Beichtstuhl kniend fand ein junger Mensch namens Jorge Mario Bergoglio (jetzt Papst Franziskus) seine Berufung zum Priestertum


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