'Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott'

15. Oktober 2013 in Aktuelles


Erzbischof Robert Zollitsch stellt das Programm des „Vorhofs der Völker“ vor


Vatikan-Berlin-Bonn (kath.net/DBK) Vom 26. bis 28. November 2013 wird der „Vorhof der Völker“ in Berlin zu Gast sein. Heute hat der der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, das Programm in Rom der Presse vorgestellt.

„Dem ,Vorhof der Völker‘ geht es darum, den Reichtum und die Tiefe des katholischen Glaubens ansichtig zu machen, die Positionen des Nichtglaubenden zu wertschätzen, aber auch die Spuren des Unglaubens im Glauben zu sehen“, so Erzbischof Zollitsch. Insgesamt wird es um vier unterschiedliche Themen gehen: „um die Tiefe des ethischen Humanismus und um die Weite des Gottesglaubens; um die Freiheit der Kunst und die Schönheit, um Ehrfurcht und Schöpfung; um Bilder und Vorbilder vom Menschen; und nicht zuletzt um die Anmut und Würde von Menschlichkeit und Frömmigkeit.“

Der „Vorhof der Völker“ lädt zu öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen ein und sucht hierzu exemplarische Orte in Berlin auf, um mit jenen das Gespräch zu suchen, die in besonderer Weise an den Grenzgängen zwischen Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Religion interessiert sind. „Zentral geht es in der Debatte um die Frage, ob der Glaube an Gott eine Minderung oder Bedrohung der Freiheit oder ob er erst deren Ermöglichung ist. Diese Frage sucht ihre Bewährung im Gespräch über konkrete Freiheitserfahrungen zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden und über die reale Freiheitsgeschichte der Menschen mit und ohne Gott“, so Erzbischof Zollitsch.

Orte in Berlin sind das Rote Rathaus, die Charité, das Deutsche Theater und das Bode-Museum. „Mit ihren ganz eigenen und unterschiedlichen Erfahrungen von Freiheit ist die deutsche Hauptstadt ein inspirierender Ort, um über den Charakter menschlicher und gesellschaftlicher Freiheit, ihre Voraussetzungen, Gefährdungen und Wurzeln in fairem Austausch der Ansichten zu debattieren“, so Zollitsch weiter.

Die Deutsche Bischofskonferenz ist ein Zusammenschluss der katholischen Bischöfe aller Diözesen in Deutschland. Derzeit gehören ihr 67 Mitglieder (Stand: Oktober 2013) aus den 27 deutschen Diözesen an. Sie wurde eingerichtet zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur Koordinierung der kirchlichen Arbeit, zum gemeinsamen Erlass von Entscheidungen sowie zur Kontaktpflege zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Gremium der Deutschen Bischofskonferenz ist die Vollversammlung aller Bischöfe, die regelmäßig im Frühjahr und Herbst für mehrere Tage zusammentrifft.

Das Statement von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch in voller Länge: "Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott"

Nicht erst seit dem Fall der Mauer und der Friedlichen Revolution von 1989 sind der Metropole Berlin Freiheitserfahrungen besonderer Art eingeschrieben. Der Streit um das rechte Verständnis der Freiheit des Menschen und die Frage nach einem Humanismus mit oder ohne Gott hat in Berlin eine lange und wechselvolle Geschichte und auch ihren Sinn für Säkularität, Religion und Glauben nachhaltig geprägt.

Vom 26. bis 28.November 2013 ist der „Vorhof der Völker" in Berlin zu Gast. Hier treffen sich Gottgläubige, Agnostiker und Atheisten und diskutieren mitten in der Hauptstadt über ausgewählte Themen:

Es geht um die Tiefe des ethischen Humanismus und um die Weite des Gottesglaubens;
um die Freiheit der Kunst und die Schönheit, um Ehrfurcht und Schöpfung;
um Bilder und Vorbilder vom Menschen
und nicht zuletzt um die Anmut und Würde von Menschlichkeit und Frömmigkeit.

Der „Vorhof der Völker" lädt zu öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen ein und sucht hierzu exemplarische Orte in Berlin auf, um mit jenen das Gespräch zu suchen, die in besonderer Weise an den Grenzgängen zwischen Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Religion interessiert sind.

24 Jahre nach dem Fall der Mauer liegt der thematische Akzent nicht auf der Friedlichen Revolution von 1989 und ihren politischen Folgen. Der Horizont der Fragestellung ist weiter und grundsätzlicher: Ist Gott Grund und Bestimmung menschlicher Freiheit oder ihr größter Feind und Gegner?

Berlin ist die Stadt des Berliner Idealismus, die Stadt, in der Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Daniel Schleiermacher, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel zwischen 1790 und 1850 intensiv über die Bestimmung des Menschen, über menschliche und göttliche Freiheit und über das Verhältnis von Religion, Moral und Kunst nachgedacht haben. Ihre philosophischen und theologischen Vorlesungen haben sie immer auch vor Hörern aller Fakultäten, nicht zuletzt vor Politikern, vorgetragen. Und es war Berlin, wo der der große protestantische Theologe und Philosoph Friedrich Daniel Schleiermacher 1799 die Schrift, „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern" veröffentlicht hat.

Ist der Glaube an Gott eine Minderung oder Bedrohung der Freiheit oder ist er erst deren Ermöglichung? Diese Frage sucht ihre Bewährung im Gespräch über konkrete Freiheitserfahrungen zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden und über die reale Freiheitsgeschichte der Menschen mit und ohne Gott. Es geht um die Beiträge von Glaubenden und atheistischen Humanisten zu dieser Geschichte und um die Auflösung verzerrter Wahrnehmungen, denen beide – nicht zuletzt in Berlin – allzu oft erliegen. Zu den geläufigen Vorwürfen der Christen gegenüber Atheisten gehört die Rede, dass der Atheismus ethische und moralische Haltungen nicht nur beeinträchtige, sondern auch zwangsläufig zu deren Schwächung und Auflösung führe. Umgekehrt sehen Säkularisten und Atheisten Religionen oft als gefährliche irrationale Fanatismen an. Diese wechselseitigen Vorwürfe haben erheblich dazu beigetragen, das Verhältnis von Gottesglauben und atheistischem Humanismus zu belasten. Wie aber verhalten sich Ethik und Gottesglaube zueinander?

Der Auftakt des Vorhofs der Völker im Roten Rathaus ist daher nicht zufällig dieser zentralen Frage gewidmet unter dem Titel: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt" (Dostojewski). Über ethischen Humanismus mit und ohne Gott. Die Freiheit des Menschen steht heute vor bisher unbekannten Möglichkeiten. In besonderer Weise sind davon die Felder der Medizin und der Kunst berührt. Wie steht es in diesen Bereichen um die kreative und schöpferische Kraft des Menschen, um einen angemessenen Umgang mit der menschlichen Freiheit, die der Gefahr eines Diktats des Möglichen ausgesetzt ist? Was sind die Grenzen der Freiheit in der Medizin und in der Kunst?

Der medizinische Blick auf die Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott findet seinen Ort in Berlin in der berühmten Charité. Die Charité ist nicht nur eines der bedeutendsten Krankenhäuser Europas, sondern gleichzeitig Ort herausragender medizinischer Forschung und Lehre. Thema in der Charité ist: „Siehe, der Mensch! Gottes schöpferisches Geschöpf oder Designer seiner selbst?"

Anthropotechnik, Genetic Engineering, Transhumanismus: diese Stichworte stehen für Entwicklungen, die stärker als alles Vorherige den Menschen selbst betreffen – mit der Aussicht auf eine unabsehbare Steigerung seiner Fähigkeiten. Grenzen werden aufgehoben, was bislang als „unverfügbar" galt, wird zum Gegenstand experimenteller Erprobung.

„Religion auf der Bühne. Über Ehrfurcht, Blasphemie und künstlerische Freiheit" – so lautet schließlich das Thema im Deutschen Theater in Berlin. Die Theaterlandschaft Berlins ist in Deutschland einmalig und herausragend. In Berlin ist der „Vorhof der Völker" in seinem wohl bedeutendsten Theater, im Deutschen Theater, zu Gast und fragt nach der Religion im Gegenwartstheater: Religion ist gegenwärtig auf der Bühne als kräftiger Ausdruck der Sehnsucht nach Erlösung, als scheue Rückfrage nach Gott an den realen und gespielten Grenzen von Religion und Säkularität und als Tabubruch und Grenzüberschreitung.

Die Fragen des Vorhofs der Völker in Berlin sind elementar und grundlegend: Was ist der Mensch? Wie verhalten sich Ethik und Gottesglaube sowie Kunst- und Religionsfreiheit zueinander? Um Antworten auf diese Frage wurde in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren immer wieder gerungen und mehr als früher müssen die Antwortversuche von jedem Einzelnen gegeben und verantwortet werden.

Der Streit um Gott und die menschliche Freiheit ist alt und trennt seit jeher Gläubige und Atheisten in der Deutung von Freiheitserfahrungen. In der Gegenwart haben die Ambivalenzen der Freiheitserfahrungen angesichts unhintergehbarer Pluralität von Weltanschauungen und Religionen zugenommen. „Glaube als Option" (Hans Joas) – das ist die unhintergehbare Situation des Zeitgenossen, für den der christliche Glaube eine von mehreren Optionen – etwa neben der „säkularen Option" – geworden ist. Weit mehr als früher sind so die tiefgehenden Ambivalenzen von Freiheit sichtbar, ihre unausweichliche Optionalität, die als Chance begrüßt (Charles Taylor), aber auch als Verhängnis und Überforderung beklagt wird (Sartre: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.").

Jeder einzelne findet sich vor die Wahl gestellt, ist fasziniert und angezogen von der Gottesfrage; steht gleichzeitig zwischen Aufklärung und Romantik; kann über die „Gretchenfrage" kaum reden und kann doch der Not nicht entkommen, den Ort der Rede über Glauben und Unglauben in der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und Politik definieren zu müssen. Glaubende und Nichtglaubende stehen gleichermaßen vor der Aufgabe, der „Macht des Möglichen" nicht zu erliegen und für ihre Deutungen von Freiheitserfahrungen mit komplexen religiös-säkularen Wechselwirkungen zu rechnen. Gehen sie in dieser Haltung aufeinander zu, können sie miteinander und füreinander bereichernde Beobachtungen machen. Mehr als früher lebt das Gespräch zwischen Glaubenden und Atheisten von der konkreten Nachdenklichkeit der „Gläubigen, die Gott suchen" und der „frommen Atheisten", die die Fragen und Anliegen der Religion nicht einfach abtun und beiseite schieben.

Schon lange stehen sich nicht mehr einfachhin klare Fronten von Atheisten und Glaubenden gegenüber, in deren Begegnung es einfachhin nur darum ginge, Recht zu haben. Es geht um die aufmerksame kulturelle Inneneinsicht in die konkreten Erfahrungen von Freiheit mit und ohne Gott; es geht um das Aufbrechen falscher Erzählungen übereinander; um die Abwehr von Reduzierungen der Freiheit auf Moral und Ethik. Es geht um ein Innewerden der Tiefe und Weite von Freiheitserfahrungen; um Kreativität und Schöpfung und die Schärfung des Sinns für die Lebenshaltungen, Gesten, Verkörperungen seiner Freiheitserfahrungen.

Ein Höhepunkt des „Vorhofs der Völker" ist daher auch ein ästhetisch-religiöses Experiment mit Oberstufenschülern und Studenten im Bode-Museum in Berlin. Die profanen und sakralen Skulpturen des Bode-Museums sind in einzigartiger Weise Ausdruck und Darstellung von gläubigen und ungläubigen Gesten und Lebenshaltungen. „Glaubst du, was du weißt, oder weißt du, was du glaubst?" ist die Leitfrage einer Choreographie von Prozessionen, von Licht und Schatten, Auftritten, Musikstücken und Gesprächen, die inmitten der Skulpturen die verbindende Erfahrung von Musik und Kunst für das Gespräch zwischen Gläubigen und Atheisten sucht.

Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott gibt es in Berlin im Überfluss. Sie sind so verschieden wie die Menschen dieser Stadt. Ihre Lebens- und Freiheitswege kreuzen sich immer wieder, wie die Prozessionen im Bode-Museum. Dem „Vorhof der Völker" geht es darum, den Reichtum und die Tiefe des katholischen Glaubens ansichtig zu machen, die Positionen des Nichtglaubenden zu wertschätzen, aber auch die Spuren des Unglaubens im Glauben zu sehen.

Mit ihren ganz eigenen und unterschiedlichen Erfahrungen von Freiheit ist die deutsche Hauptstadt ein inspirierender Ort, um über den Charakter menschlicher und gesellschaftlicher Freiheit, ihre Voraussetzungen, Gefährdungen und Wurzeln in fairem Austausch der Ansichten zu debattieren. Ich freue mich schon heute auf die Veranstaltungen und die damit verbundenen Gespräche, Erfahrungen und Begegnungen.


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